64Tagebuch 4. I. 1962 – 22. V. 1962 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Di 22. V. 1962

Für Seminar; und meine Abschiedsworte überlegt. – 3-5:30 mein letztes Seminar. (Außer David, Montague, Kalish, sind auch noch da heute: Abe Kaplan, Meyerhoff, Wilson, Furth ; auch Scriven (bis 4; er wohnt bei Kaplan; gestern Nachmittag hatte er Vortrag hier über Probleme der Voraussagbarkeit von menschlichem Verhalten15Später veröffentlicht als „An Essential Unpredictability in Human Behavior“ in: Scientific Psychology: Principles and Approaches, edited byBenjamin B. Wolman and Ernest Nagel. Copyright © 1965.; er sagt, er bleibt über den Sommer noch in Stanford, sodass wir uns vielleicht noch dort sehen werden). Heute über Werte: (1) determinism und freier Wille; Miss Lind spricht mehrmals, dass Verantwortlichkeit nicht vereinbar ist mit determinism, aber es wird nicht recht klar. Abe stellt eine Frage, um anzuregen, dass ich sage, dass determinism (wenigstens gewisser Grad) nötig ist für Verantwortlichkeit. David sagt: Es gibt viele Grade von Beeinflussung: Hypnose, „Gehirnwaschen“, Überredung usw.; wo ist die Grenze der Verantwortlichkeit? Ich: Da ist keine scharfe Grenze; ich bin Pragmatist, also „Verantwortung“ so deuten, dass auf praktische Konsequenzen Bezug genommen wird, z.B. Erziehbarkeit. – (2) Natur von Wertaussagen (aufgrund von Reply§ 32 auf Abe Kaplan). Auch ausführlich über „utinam“; und warum ich künstliches Wort nehme. Bis 5:30! Dann sage ich: Ich weiß nicht, ob Ihr noch Diskusion wollt: 🕮 Abe schüttelt entschieden den Kopf. So mache ich Schluss. – Dann spreche ich noch für einige Minuten zum Abschied. Philosoph zu sein, ist ein schöner Beruf: denken und dann erklären und besprechen. Erstaunlich, dass ich dafür bezahlt werde; ich würde es eh tun. Ich will keine väterliche Weisheit geben, das nützt doch nichts. Wenn der Vater sagt: die Frauen sind der Teufel, kümmert der Sohn sich nicht darum. Wenn ich sagen würde: Hütet Euch vor metaphysischen Problemen, die sind der Teufel! Ich hoffe, Ihr hört nicht hin. Vielleicht kommt ein metaphysisches Problem daher, lächelt zu Dir, und Du verliebst Dich darin. Es ist mehr Sache des Herzens als des Gehirns, welche Probleme Ihr wählt, wie Ihr sie angeht usw.; so folgt Eurem Herzen. Ich war sehr glücklich hier als Philosoph; ich wünsche Euch dasselbe; in Philosophie, oder in irgendeinem anderen Beruf, wenn Ihr Euch ganz widmet, bekommt Ihr volle Befriedigung. Sogar in miserablen Berufen, z.B. Präsident von USA. Meine besten Wünsche, und good bye. – Sie klatschen Beifall, immer stärker; Abe steht auf, und schließlich alle; es geht lange an. Schließlich stehe ich auf; es geht noch weiter. Dann nicke ich und sage: danke, und schüttle Abes Hand. – Ich spreche noch mit einigen über TP; unterschreibe meinen Namen auf Fotos für die beiden Chinesen und . – Draußen treffe ich Mia; sie sagt, das war eine schöne Ansprache.) Ich fahre allein hin und zurück; bin nachher nicht zu müde. Der Abschied bewegt mich. Aber ich fühle auch große Erleichterung, dass die Arbeit für Klassen vorüber ist.cDer Rest dieses Konvoluts (das bis 31. XII. 1962 reicht) wird am Beginn des folgenden Bandes abgedruckt.


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