61Tagebuch 4. III. 1959 – 17. XII. 1959 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Sa 25. IV. 1959

7 ½ – 8 im Bett zusammen geplaudert. (Sie sagt mir frei, dass sie keine Erwartung von Sex hatte, und dass ihr das überhaupt nicht so wesentlich ist. – Sie lebt noch so stark mit Broder, dass es für sie ein Grund dauernden Bleibens in Mexiko ist, dass er mal dagegen gesprochen hat; das Land sei ihm so fremd, dass seine Seele dann mit ihr nicht Kontakt haben könnte.) – Wir sitzen auf der Terrasse. Sonniger Tag. Chacha liest mir Teile des Vortrags über Grafologie vor, den sie am Dienstag vor einem Frauenverein lesen wird. (Ich schlage einige Verbesserungen vor, zum leichteren Verständnis.) – Mit Grete kurz in ihr Arbeitszimmer (eine steile Treppe hinauf. Herrliche Aussicht. Sie zeigt mir die Bilder, die sie gemalt hat. Fast alle in etwas gedämpften Tönen; gute Darstellungen der Stimmung einer Landschaft usw.) Dann steige ich mit ihr auf das Dach des Hauses, Hinneigung durch eine seltsame Öffnung; nachher wieder zurück. Es war anstrengend für den Rücken, und ich glaubte, ein kleines Ziehen im Rücken zu spüren. Auf der Terrasse, auf dem Liegestuhl. (Ich gebe Chacha Scheck $ 30, für Mitbringsel für mexikanische Sachen für die 4 Kinder, zahle etwas für Erika, und für sie selbst.) – Ich bin müde. Auch Chacha hat jetzt . Darum zieht sich jeder für eine Stunde in sein Bett zurück. – Mittagessen, dann nap. – 5 ½ – 8 Gespräch mit Sven in meinem Zimmer (ich erzähle von Analyse und Mutterbindung. Er hatte mit Psychologieprofessor Vetter in München 2 oder 3 Besprechungen, musste dann abreisen. Er wusste schon, dass seine Schwierigkeiten aus Mutterbindung kamen. Erstaunlicherweise auch die Bisexualität. Die Natur der Gefühle zu Freunden und Berufskollegen. Er hatte zuweilen Beziehungen zu Mädchen, aber das ging schnell wieder auseinander. Er weiß schon, und ich betone die Wichtigkeit, dass er wegziehen muss aus der Familie. Ferner rate ich dringend, die Hilfe eines Analytikers oder Psychologen zu suchen. – Es fällt ihm sehr schwer, eine Freundin oder einen Freund zu suchen. Er möchte zu einer größeren Gemeinschaft gehören als der Familie, aber er findet keine, wenigstens nicht in Deutschland. Und die Eltern scheinen herabzusehen auf alle Mexikaner. – Ich sage, dass es ihm manchmal nicht leicht sein wird, 🕮 weiter zu gehen, etwa mit Analyse; dass er aber innere Kräfte und Willen hat durchzuhalten.) – Auf Chachas Rat gehe ich zu Mädeles Haus, mit Sven (weil sie sonst nachher noch herüberkommen wollte. Sie sind beim Abendessen, und wir setzen uns dazu. Ich plaudere 5 Minuten über Mexiko. Dann sage ich, dass wir gehen müssen, weil sie schon drüben mit dem Essen auf uns warten würden. Sie wollen nachher noch kommen. Ich sage, ich muss dann packen und will früh zu Bett gehen.) – Abendessen. Wir sind alle heiter. - Grete gute Nacht; ich danke ihr sehr. – Chacha packt meinen Koffer. Dann noch etwas zusammen gesprochen. (Wir schauen jetzt ruhiger auf unser Leben zurück. Sie sagt, sie wird morgen nicht zu traurig sein. Ich danke, dass sie so lieb und verständnisvoll war. Sie sagt, ich war auch lieb. Ich soll nicht Briefe von ihr erwarten, weil sie kaum durchkommt, den Kindern zu schreiben.) – Ansichtskarten und Tagebuch geschrieben, und kurz in Hannas Martins Buch geschaut. Bis 11h. Sehr müde.