61Tagebuch 4. III. 1959 – 17. XII. 1959 [Rudolf Carnap: Tagebücher], Eintrag Mo 9. XI. 1959

Semantik Notes. – Notizen über Besprechung mit G usw. am 7. – 1 – 8 ½Christoph hier. Nachmittags mit ihm spazieren. Dann wieder im Patio gesessen. (Über seine These. Er wird Vieles umarbeiten aufgrund der Gespräche mit amerikanischen Philosophen; und in NY hat er viel in der Publ. Libr. gearbeitet. Ich sage ihm vom Hempel-Oppenheim Aufsatz. Über Religion; er hat Christiane kürzlich taufen lassen. Er selbst ist protestantisch, aber nicht traditionell; er nimmt Gott als die Energie oder Kraft, die sich in Welt äußert; Unsterblichkeit, nicht individuell, sondern Aufgehen im Größerem; „es kann doch nicht einfach alles zu Ende sein“. Ich erkläre meine Auffassung als „Humanismus“ im amerikanischen Sinne; er kennt den Term nicht. Er möchte, dass Parapsychologie ernster genommen würde. Ich: ja; man sollte nicht durch Vorurteile die Erforschung dieser Fragen hindern; aber ich glaube, die weltanschauliche Bedeutung dieser Phänomene, wenn sie bestätigt würden, würde nurnicht? so umwälzend sein wie manche Anhänger glauben. – Wir fragen über Konni. Er sagt: Manches an ihm ist zu erklären damit, dass er mehr ein körperlicher als ein rationaler Mensch ist.) Ich gehe 8 ½ zu Bett. Kurz vor 11 fährt Ina ihn zum Hotel. Von 12h ab werde ich besorgt; schließlich immer ernstlicher; mein Gefühl schwankt zwischen Angst und Zorn (vielleicht sitzt sie bei Klopfer oder mit Christoph im tr Restaurant und ist so gedankenlos, nicht anzurufen.) Schließlich 12:40 rufe ich Hotel Drucker an (wenn Christoph sagen wird, sie ist um 11 nach Hause gefahren ist, muss ich doch wohl die Polizei anrufen und fragen, ob 🕮 ein Unfall mit dem Auto war, oder bei welchen Hospitälern in dieser Gegend ich nachfragen sollte; wenn sie im Hospital ist, muss sie sicher bewusstlos sein, sonst würde sie veranlasst haben, dass man mich anruft.) Das Hotel antwortet nicht! Ich werde verzweifelt; soll ich die Polizei anrufen? Sie werden sagen: Woher weiß ich, dass sie nicht dort im Hotel bei ihm ist? Aber wenn ich nicht anrufe, und morgen erfahre, dass sie im Hospital lag, sterbend, und immer wartete, wann ich endlich käme! Gegen 1h kommt Ina, ich rufe, ob ein Unfall war; sie lacht nur, sie hat mit ihm gesessen, sie hatte keine Uhr. Ich werde so wütend und schreie sie an: „Wie kannst Du mir das tun, lässt mich hier verzweifelt liegen und rufst nicht an“. Sie sitzt auf meinem Bett. Ich schlage sie ins Gesicht und schreie: Scher Dich weg, Du Verdammte, ich will Dich nicht sehen! Sie schaut mich mit großen Augen an und geht schweigend hinaus. Dann erst komme ich zur Fassung und kann ruhig atmen; ich sage immer wieder: „Gott sei Dank, sie ist wieder hier!“ und fühle große Erleichterung. Dann gehe ich zu ihr in die Küche und nehme sie in den die Arme und küsse sie und bitte sie um Verzeihung. Sie kommt wieder mit mir und sitzt auf meinem Bett. Ich bin so froh, „wiedergeschenkt“ zu haben. Ich frage, ob sie mit ihm geschlafen hat; sie lacht nur: „Mit dem Jungen?!“. Sie haben zusammen im Auto gesessen. Sie hat die Zeit vergessen, fragte ihn schließlich, wie spät es sei, es sei vielleicht schon bald 12; er sagte: 20 vor 1. Daraufhin sagte sie, sie müsste aber gehen, obwohl sie seine Beichte und Herzausschüttung nicht gerne unterbrach. Sie sagt mir, sie ist froh, dass ich „menschlich“ bin. (Sie erzählt: Er war verliebt in Eline, sogar „hörig“, bevor er an die Front ging, aber sie lehnte seine Liebeswünsche ab. Als er 2 Jahre später nach Verwundung und Hospital zurückkam, 1946, fand er, dass sie Affären gehabt hatte mit 3 Amerikanern (!), darunter Lipski, der selbst verheiratet war. 🕮 Diese „Schande“ für ihn, nach der Niederlage, von Seiten der „Sieger“ war ihm unerträglich. Seitdem hat er einen brennenden Hass gegen Amerikaner und alles Amerikanische. Er ist ambivalent gegen Eline, eine „Hassliebe“, und er hasst Chacha, macht sie mit verantwortlich für Elines Affären, die für Chacha, selbst sexuell unbefriedigt, eine stellvertretende Befriedigung waren. Er bemüht sich aber um Elines und Christianes willen, freundlich zu Chacha zu sein. – Aus einem Brief von Eline heute entnimmt er, dass Nena meinte, dass Chachas langer Aufenthalt in Mexiko doch schließlich auch eine Belastung für Grete war.)