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Mein lieber Carnap!
Die Post macht es jetzt gut, Dein Brief mit Poststempel vom 30.IV. war am 4.V. hier. Auf die Details des Briefes gehe ich später einmal ein. Alles will ich gern mit Euch besprechen.
Heute wende ich mich an Dich mit der ernsten Bitte, mir dadurch einen Freundschaftsdienst zu erweisen, daß Du mir den Vertrag umgehend unterfertigt zurücksendest.
Schau, es war nicht leicht, sich hier durchzusetzen, obgleich wir hier, wie anderswo, viele Freunde und Förderer haben. Holland ist mehr reserviert, es dauerte z. B. lang, bis wir Kontakt mit Regierungsstellen hatten. Das Wichtigste ist ja immer Vertrauen – das muß erworben werden.
Van Stockum & Zoon haben im Vertrauen auf meine Informationen sich entschlossen, LIBRARY und JOURNAL zu machen. Sie sind auch Buchhandlung und daher am Kontakt mit der PRESS interessiert, sie vertreiben jetzt BASIC ENGLISH usw. Ihr seid alle sehr einverstanden gewesen, daß so die beiden Sammlungen und die Zeitschrift, die wider Erwarten niemand nehmen wollte, unter Dach kamen. (Alles vor dem Harvard-Kongreß, der das Interesse für uns in den US dokumentierte.)
Nun haben die Verleger natürlich Geld investiert, Propaganda begonnen und sich für die Sache exponiert, weil sie damit rechnen, daß das, was sie mutig in schwieriger Zeit übernehmen, später einmal sich rentieren werde. Ich fühle mich, das wirst Du verstehen, dem Verlag gegenüber moralisch verantwortlich, daß mindestens das erscheint, was ich Ihnen zusagen durfte: CARNAP, KELSEN, MISES usw.
Ich war tief betroffen, als Dein Brief kam. Das kann ich doch dem Verlag gar nicht mitteilen. Ich telephonierte aber sofort (immer darauf aus, ein Kompromiß zu finden) und schlug vor, eventuell Deine Sache in USA zu DRUCKEN. Man war zwar verwundert, meinte, das käme teuer, aber schließlich sagte man, entgegenkommend wie immer, im Prinzip zu, so daß ich Dir gleich telegraphieren konnte.
Wenn nötig, würde ich dafür sein, daß das Institut materielle Opfer bringt, um das Erscheinen Deiner Sache bei Van Stockum & Zoon zu ermöglichen, die sich so außergewöhnlich gut gegen uns benommen haben.
Aber nicht nur wegen dieser moralischen Verpflichtung lege ich großen Wert darauf, daß, solange es nicht unbedingt nötig ist, keine Veränderungen angebahnt werden. Es wird von den kleinen Ländern im Auslande verlangt, daß sie Haltung bewahren und nicht einfach zusammenklappen. Das bedeutet aber, man muß alles vermeiden, was Defaitismus erzeugt. Ja, wenn der Verlag selbst ängstlich wäre, seine Produktion einschränkte usw., dann wäre es eine Donquichotterie, ihn stützen zu wollen. Davon ist keine Rede. Eben schrieb mir der eine der Direktoren (Mitinhaber), daß sie Kaempfferts Buch, das ich ihnen angeraten hatte, ins Holländische jetzt übersetzen lassen wollen und bereits die Anfrage an den Verlag schickten. Ich glaube, daß ich mich dem Verlag gegenüber so verhielte, wenn ich jetzt anderswo wäre. Erinnere Dich, daß ich nicht dafür war, die Zeitschrift von Meiner wegzunehmen, solange man sie bei ihm halten konnte. Man soll wechselseitiges Vertrauen auf jede Weise stützen.
Bitte, vergiß nicht, daß das Leben sonderbare Veränderungen
Du sprichst ja von Europa wie von einem untergehenden Kontinent. Mag sein, daß wirklich Entscheidendes passieren wird, mag sein – aber alles, was man tun kann, ist sich gut überlegen, was man tun kann, wenn Schlimmes eintritt. Ich bin aber nicht dafür, präventive Maßnahmen zu ergreifen, die, wenn wir sie nicht Van Stockum mitteilen – als unfair erscheinen, und wenn wir sie mitteilen, eigentlich die Chance der unentwegten Zusammenarbeit erschüttern und defaitistisch wirken. Aber darüber wollen wir uns ja noch unterhalten.
Überlegen wir, was eigentlich passiert, wenn Schlimmes eintritt. Dann wird kurze Zeit weder von der LIBRARY noch vom JOURNAL was Weiteres gedruckt, dann erscheint beides anderswo weiter (wenn möglich unter Wahrung der Rechte VAN STOCKUM & ZOON’s). Ich denke mir, daß wir das rascher in die Wege leiten können als seinerzeit die Überleitung der ERKENNTNIS. Denk doch, welch lange Zeit das dauerte. Ich glaube, daß, wenn wir richtig in solch schlimmem Fall vorgehen, höchstens 2–3 Monate Intervall eintritt – das kommt den Käufern nicht einmal zum Bewußtsein.
Hingegen kann man SOFORT Exemplare des JOURNAL und der LIBRARY fix kaufen (aber bitte ohne alarmierende Begründung – wie ich schon mal schrieb). DAS WÄRE EINE SEHR NÜTZLICHE SACHE, weil man zwar Ungedrucktes anderswo neu drucken kann, aber vorhandene Vorräte nicht so leicht transportieren kann. Auch diese Schwierigkeit wollen wir nicht überschätzen. Ich war – obgleich ich abgehärtet bin hinsichtlich dessen, was geht – doch ein wenig verwundert, als die Auflage mit Bildern meines Buchs (ohne Text) während des Krieges nach Schweden gegangen ist und (als man hier wieder eine große Zahl rasch brauchte, weil der zweite Druck meines Buchs herausgebracht werden muß) eine gewaltige Sendung von Schweden wieder nach Holland gebracht wurde – in allerletzter Zeit.
Die leidige Verzögerung mit dem JOURNAL hängt wohl damit zusammen, daß das Personal mit der „liberalen“ Behandlung von Sendungen gerechnet hat, die hier in Europa, wenn sichs um Bücher handelt, üblich ist. Es hat nun außerdem irgend eine Verzögerung stattgefunden, die als Versäumnis anzusehen ist – das vermute ich, weil ein anderer Direktor die gesamte Unity-of-Science Sache übernommen hat und sich offenbar Mühe gibt, alles in Ordnung zu bringen. Das ist ein Erziehungsprozeß. Wenn es nichts Schwierigeres in der Welt gäbe, wärs gut.
Was die Gomperz-Verzögerung anlangt, so hat er mir den gefertigten Vertrag April 1939 geschickt, im Text war das Griechisch kaum lesbar, dann hat ers in Maschine (auch nicht prima) geschickt, es war soviel zu korrigieren, daß er noch eine Korrektur bekam. Statt nun restliche Fehler auszubessern „…überdies habe ich mich entschlossen, die amerikanische Rechtschreibung einigermaßen durchzuführen…Feilungen…größere Änderungen…streichen…Das Imprimatur konnte ich nicht erteilen“. Als er nach Drängen das Imprimatur auf Grund neuer Korrektur schickte, war natürlich einige Zeit vergangen. Ich habe mich über all das weiter nicht beschwert, sondern aus der bekannten „Psychologie“ der Autoren erklärt – immer wieder wollen sie was anders haben, es ist wohl ungewöhnlich, in ZWEITER KORREKTUR
Nun glaube nicht, daß ich die Unzufriedenheit der PRESS nicht ernst nehme. Ich finde sie begreiflich und vor allem unerquicklich, weil wir ja mit der PRESS viel zusammen arbeiten wollen. Aber, bitte, behandle Du nicht die Mitteilungen der PRESS als geschichtliche Dokumente, ehe wir nicht wissen, was die internationale Tansportfirma und STOCKUM ihrerseits erzählen. Natürlich erzählt die PRESS korrekt – ich zweifle nicht daran. Es fragt sich nur, wieso kommen die Holländer dazu, die mit dem amerikanischen Konsulat verhandelt haben, etwas falsch zu packen? Selbstverständlich nicht eines Vorteils wegen – was sollen die paar Bände MISES helfen. Ich denk mir eher, daß der Angestellte, der packte, auch den Mises zur Versendung bekam, und nicht wissend, daß dazu ein besonderes Konsularformular (manchmal mit Eid usw.) nötig sei, füllte vielleicht eine Lücke in der Kiste mit MISES aus. („Oh großer Cäsar…“, um mit Shakespeare zu reden). Vergiß nicht, daß die Europäer viele Zollgrenzen haben, aber nicht jenes hochentwickelte Zollritual, das in USA besteht. Ich habe selbst immer geschwitzt, wenn ich Zollerklärungen ausfüllte. (NB. Ich füllte einen zu hohen Betrag aus und die liebenswürdigen USA-Beamten in New York haben dann erst herausgefunden, daß das Ritual mit einem kleineren Opfer für unsere HARVARD-Vorträge zufrieden sei. Statt eines Kalbes wurde nur ein Huhn geschlachtet. Ich glaube, unter Eid – ach Carnap, Du mußt all das ein wenig wie eine Novelle vor Dir sehen, dann gehts leichter zu schlucken). Ich kann nun schwer bei meinen lieben Holländern eine Untersuchung anstellen – aber wenn ich mal mit dem Direktor was verhandle und wir auf den wundersamen Teich blickend Thee trinken, will ich sehen, was er mir davon erzählt. Aber ich werde jetzt sehr dahinter sein, daß alles versendet wird, wie es sich gehört.
Du fragst wegen neuer Manuskripte. Ich schrieb Euch allen schon, daß neues Material nötig ist. Es ist jetzt alles bis auf zwei kleine Sachen (eins ein Zusatz von Gomperz, den wir als separaten Artikel bringen, um das Prinzip nicht zu durchbrechen, daß auf dem Kongreß jeder nur einmal dran kommt) gedruckt in Heft 6. Sogar der schon stark abgelagerte Juhos ist dabei. Ich habe ganz und gar nicht den Eindruck, daß jetzt die Wartezeiten länger sind als ehedem. Ganz im Gegenteil.
Es kommt nun in Heft 1–3 der erste Teil des Kongresses. Vielleicht wäre es nett, dann wieder mal ein Heft anderes dazwischen zu
Jetzt muß man wieder warten, bis man mit Jørgensen und Næss Kontakt bekommt. Was ist das für eine Welt, es geht zu wie zur Zeit der Napoleonischen Kriege – aber wie in anderen Kriegszeiten geht das Leben mit Kunst und Wissenschaft seinen Gang. Gestern zeigte ein junger Bildhauer seine Plastiken in Photos und auch Aquarelle. Er macht riesige Sachen von 2 Meter Höhe und mehr – nur so für sich. Verkaufen kann er nur kleine Holzplastiken. Und solche gibts wohl mehr. Es lebt. Der Haager Gemeinderat hat eben beschlossen, das Rathaus zu bauen – und als Bedenken kamen, gerade jetzt anzufangen, wurde berichtet, das berühmte sei seinerzeit auch im Kriege begonnen worden. Ich arbeite mit wirklich großem Interesse an meinem Enzyklopädieartikel – vielleicht weil die Welt so greulich ist. Lebendiger Stoizismus und skeptischer Epikureismus sind zusammen erfreulich. Ich denke mir das so.
Sei lieb und gut, hilf mir, meine Haltung bewahren gegenüber unserem Verlag, und unterstütze mich auch sonst in meinem Bemühen, das ja für uns alle nützlich ist, tu mir den Freundschaftsdienst, um den ich Dich bat, und schick mir den gefertigten Vertrag. Bitte!
Herzliche Grüße an Dich und Ina und alle Bekannten
herzlichst Dein
Otto Neurath
Brief, Dsl., 4 Seiten, ON 222; Briefkopf: msl. 1 Kopie an Carnap\,/\,1 Kopie an Morris\,/\,mit Luftpost und 6. Mai 1940; ohne Signatur.