Otto Neurath an Rudolf Carnap und Charles W. Morris, 30. April 1940 April 1940

DURCHSCHLAG AN CARNAP

Lieber Morris‚

Ihr Brief vom 20.IV. kam eben an, nun erwarte ich noch das Buch mit Schiff. Mein Brief an Carnap hat sich mit diesem gekreuzt, inzwischen habe ich ja auch telegraphiert, daß man mit Verhandeln bei der PRESS warten soll. Ich wiederhole kurz. Meine beiden Verleger hier sind völlig ruhig und verhandeln über neue Verträge, z. B. interessieren sich beide für die Übersetzung des Buchs von Kaempffert und der eine unterhandelt bereits mit dem Verlag über Übersetzungsrechte seit einigen Tagen. Es ist erfreulich, daß wir untereinander in der Atmosphäre der „Unbekümmertheit“verkehren.

Wichtig schiene mir (das hat mit Verhandeln nichts zu tun), daß die PRESS oder sonstwer eine größere Anzahl Hefte und Bände aus der LIBRARY OF UNIFIED SCIENCE einfach fix kauft. Das ist keine beunruhigende Maßnahme, weil es ein gewöhnlicher Kauf ist, ohne besondere Begründung. Es kann unter Umständen passieren, daß der Abtransport von Büchern schwierig wird, hingegen könnt Ihr, wenn was passiert und ich Euch telegraphiere, jederzeit neue Verträge abschließen – und wenn das auch viele Wochen braucht. Was tuts? Nichts ist davon eilig. Hingegen ist jede Beunruhigung von Übel. Es ist wichtig, daß gegenseitiges Vertrauen herrscht. Ich halte die Verleger für nicht ängstlich und sie uns nicht. So möge es bleiben. Wie gut, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Wie seinerzeit mit M[einer]. Es war sehr gut, daß wir warteten, bis er die Situation für untragsam hielt. Er ist uns jetzt noch behilflich, weil er es sicher angenehm empfand, daß wir ihm Vertrauen entgegenbrachten. Ich hoffe sehr, daß Ihr das voll würdigt, selbst wenn Ihr selbst nicht ganz zustimmen könnt.

Sie betonen mit Recht, daß der Kontakt mit EUROPA wichtig ist. Ich glaube, ich würde das selbst dann meinen, wenn ich drüben wäre. Manche meiner Bekannten in US sehen drüben Freiheit, Entfaltung, Chancen und hier vorwiegend Bedrückung, Beengung usw. Das gilt alles mit Grenzen. Ich will wahrlich den Fall RUSSELL nicht übertreiben, aber wir sehen, wie bestimmte Ideologien sehr geneigt sind, eine freiere Auffassung, eine kritische soziale Einstellung zu attackieren. Heute kommt Russell dran, morgen kommen andre dran. Es scheint mir nicht gleichgiltig, daß wir hier in einem Lande mit weitgehender TOLERANZ einen Stützpunkt haben. Vielerlei sehr ausgesprochene Anschauungen, aber seit Jahrhunderten Toleranz und eine Aktion wie gegen Russell schwieriger. Man kann freilich schwer prognostizieren. Aber wichtig ists, daß wir einen Verlag haben, der sich so verläßlich in schwerer Zeit zeigt. Ich sehe die Schwierigkeiten in der Welt etwas gleichmäßiger verteilt. Ich bin immer sehr beglückt in den US, aber ich weiß doch, daß es dort Schwierigkeiten geben kann. 🕮

Ich hoffe, daß Ihr das nicht ganz unbegründet findet. In Wien waren die Attacken auf Schlick sozusagen privater Natur – aber in den US (das hängt mit der dortigen Rechts- und Prozeßordnung zusammen) kommt relativ früh ein JUSTICE in Aktion. Aber wie gesagt, ich will dies alles nicht überschätzen.

Ich werde, sobald ich die Kosten kenne für die REPORTS unseres Kongress[es], auch unsererseits abrechnen. Der erste Teil des Kongreßberichtes wird in absehbarer Zeit erscheinen.

Na, es war Zeit, daß Frank sich des Freundlich-Mauskripts annahm. Es wäre mir lieb, wenn ich einen Durchschlag seiner Seiten bekommen könnte. Bitte drängen Sie ihn öfter.

Ich schrieb, daß ichs sehr gut finde, wenn wir mit der Zusammensetzung der Komitees beginnen, daß wir aber nicht vergessen, EUROPA als noch bestehend zu betrachten. Sehen Sie, ich kenne das vom Weltkrieg her. Allzuviele Dinge werden unternommen unter dem Eindruck, als ob nun KRIEG alles für immer zerstöre. Wir müssen, so gut es geht, eine Organisation haben, die auch dann noch gut ist, wenn der Krieg zuende ist, damit wir nicht ewig darunter leiden, daß wir jetzt zusehr Kriegseinrichtungen geschaffen haben. Da, wie mir scheint, dieser Gesichtspunkt mir besonders wichtig ist, möchte ich über die Komiteepläne, eventuell per CABLE, orientiert sein.

Nun kommen also in absehbarer Zeit WIRTH, FREUNDLICH, ZILSEL, SANTILLANA, ROUGIER (so versprach er mir), NEURATH (so versprach er, und er hat so viel schon gearbeitet). Eine wirkliche Sorge ist der BIOLOGE. Hempel wird jetzt arbeiten. Jørgensen ist jetzt noch nicht erreichbar, Brunswik kommt, von Næss ist ein Mskpt da (endgiltig?).aHsl. Einschub.

Mit Interesse verfolgen wir den Weltlauf. Wir sind besorgt, aber nicht ängstlich. Die Idee der Text Books scheint mir sehr gut. Ich würde raten, wenn es geht diese Sache mit der LIBRARY zu verbinden, eventuell als besondere Reihe. Alle solche Dinge tragen einander – aber zunächst müssen Sie Näheres berichten.

Ich sende Ihnen, was ich Herrn Blumenthal schrieb. Sind Sie sich darüber klar, welcher Art diese Gruppe ist, die Sie an mich gewiesen haben. Ich finde es sehr nett, daß solches Interesse besteht, obgleich ich glaube, daß die Schwierigkeiten unterschätzt werden. Aber vielleicht lassen sich diese Bemühungen in nützliche Bahnen lenken. Ich wäre für Information sehr verbunden.

SAARNIO ist jetzt, glaube ich, in weniger bedenklicher Lage als REACH. Aber ich begreife, es ist schwer, etwas zu tun.

Es wäre schön, wenn Sie mir gelegentlich Berichte, die über Ihre Vorträge erscheinen, zusenden wollten. Könnte man nicht im JOURNAL über solche Vorträge kurz referieren? Wir haben das ja früher getan. Und solche konkrete Bemühungen sind wertvoll.

Also, das wäre zunächst mal das Wichtigste. Die Sonne scheint und die Blumen duften und die Welt ist normal unsinnig –

Grüßen Sie Frau und Töchterlein (bald wird man Tochter sagen müssen)

wie immer herzlichst

Ihr
Otto Neurath

Brief, msl., 2 Seiten, USMR 2-14 (Dsl. ebenfalls USMR 2-14); Briefkopf: gedr. International Institute for the Unity of Science mit näheren Angaben, msl. 30.IV.40.


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