\brief{Rudolf Carnap an Otto Neurath, 8. April 1940\labelcn{1940-04-08c-Neurath-an-Carnap}}{April 1940} \anrede{Lieber Neurath:} \anrede{Betrifft: \uline{Library and Journal.}} \haupttext{ Ich habe die augenblickliche Situation mit Morris eingehend besprochen und wir sind zum Ergebnis gekommen, daß wir doch sehr ernst in Erwägung ziehen müssen, ob das gegenwärtige Arrangement nicht geändert werden sollte. Besonderen Anlaß hiezu geben einige Erfahrungen, die zeigen, welche sehr starken Verzögerungen augenblicklich entstehen. Die Abonnenten des Journal hier im Lande haben bisher noch nicht die Nummer 1 bekommen, die von Juni 1939 datiert ist und im August herausgekommen ist (Morris und ich haben das Heft anscheinend nur infolge einer besonderen Sendung, die vermutlich mit Dir im August herüber gekommen ist, bekommen). Ferner sollte die Press hier einige hundert Exemplare vom Heft 1 bekommen zur Gratisverteilung als Propaganda. Auch diese haben sie bisher nicht bekommen. Es scheint, daß eine Sendung seit langer Zeit beim Zollamt liegt, aber aus uns unbekannten Gründen der „Press“ bisher nicht ausgeliefert werden konnte. Ferner erwähnt Gomperz in einem Brief nebenbei die Tatsache, daß sein Buch seit 14 Monaten im Druck ist. Er schreibt nichts über die Gründe; daher weiß ich nicht, ob er nicht vielleicht selbst durch nachträgliche Änderungen oder Verzögerungen beim Korrekturlesen mit Schuld an der großen Verzögerung trägt. Die Hauptgründe liegen, vermutlich in beiden Fällen, teilweise an den Transportschwierigkeiten und teilweise vermutlich auch an Schwierigkeiten der Ausführung der Verlags- und Druckarbeit in Holland. Alles natürlich verursacht durch den Krieg; es ist jedoch nicht abzusehen, wie sich diese Umstände bessern sollten und wir müssen vielleicht mit der Möglichkeit rechnen, daß es sich verschlimmert. Sollten wir nicht vielleicht überlegen, ob es besser wäre, die University of Chicago Press als eigentlichen Verleger zu haben und Stockum als Agent für Europa? Das wäre also das Umgekehrte unseres bisherigen Planes, der sich aber bisher überhaupt noch nicht richtig ausgewirkt hat. Bitte schreib mir umgehend, ob Du einverstanden bist, daß wir Verhandlungen mit der Press in dieser Richtung aufnehmen, und zwar sowohl für Library als auch für Journal. Es ist natürlich ein Nachteil für diesen Plan, daß die Herstellungskosten hier größer sind als in Holland. Aber was nützt der billige Druck, wenn die Zeitschrift die Leser nicht erreicht? Wir bekommen auch schon von verschiedenen Seiten Anfragen, wann der Kongreßbericht erscheint. Falls mit diesem ähnliche Verzögerungen eintreten, dann wird das Ende des Berichtes die Kongreßteilnehmer nicht vor 1941 erreichen, sicherlich ein höchst unbefriedigender Zustand. Außer dem generellen Problem, was mit der Library im allgemeinen gemacht wird, ist für mich jetzt die spezielle Frage akut, was mit meiner Semantik wird. In Hinsicht auf die großen Verzögerungen, die wir jetzt beobachten, scheue ich mich natürlich, die Monographie zum Druck nach Holland zu schicken. Würdest Du nicht auch meinen, daß vielleicht der folgende Weg die beste Lösung darstellen würde und würde wohl auch Stockum dazu seine Zustimmung geben? \neueseite Ich könnte die Press fragen, ob sie bereit sind, das Ms. (das Ende Mai oder Anfang Juni druckfertig wird) hier zum Druck zu geben. Dann haben wir während des Druckes mehrere Monate Zeit, um bei Verhandlungen mit der Press und mit Stockum zu sehen, ob wir zu einer befriedigenden Vereinbarung wegen der Library kommen können. Falls sich keine befriedigende Lösung findet, könnte dann die Press dieses und die folgenden Hefte über Semantik als selbständige Veröffentlichungen herausbringen. Bitte schreibe mir, ob Du einverstanden bist, daß ich Verhandlungen mit der Press in diesem Sinne aufnehme. Eine ähnliche Frage, die aber noch nicht so dringend ist, betrifft die englische Übersetzung meines „Abriß der Logistik“. Die Ausarbeitung des deutschen Textes habe ich im Herbst beendet und Rosinger hat jetzt angefangen, ihn ins Englische zu übersetzen. Ich vermute, daß er diese Arbeit im Sommer beenden könnte. Der ursprüngliche Plan war, die englische Übersetzung hier bei der Press zu veröffentlichen, und die Press hatte schon ihre Zustimmung dazu gegeben. Die Frage ist nun, ob wir das englische Buch nicht lieber in die Library nehmen sollten. Wenn ja, so könnten wir mit den Einzelheiten warten, bis die allgemeine Frage der Library geklärt ist. Wenn Du aus irgend einem Grunde nicht dafür bist, so schreibe es mir gleich, dann will ich hier mit der Press einen Vertrag darüber als selbständiges Buch abschließen. Herzliche Grüße,} \grussformel{Carnap} \briefanhang{9. Apr. Die Weltgeschichte geht schnell vorwärts. Im Augenblick wo ich dies abschicken will, kommt die Nachricht von der Besetzung von Dänemark und Oslo. Ich habe den Eindruck, daß dies die ganze Lage in Europa entscheidend ändert. Für die im Brief diskutierten Fragen bedeutet dies, daß für Library und Journal jetzt Holland nicht mehr der richtige Erscheinungsort ist und daß wir sofort Wege suchen müssen, beides nach hier zu übertragen. Ich denke mir, daß wir alle drei hierin einig sind (Morris wird Dir vermutlich darüber schreiben). Alles was schon im Druck ist, für Library und Journal, wird wohl am besten noch drüben fertig gemacht, soweit es noch möglich sein wird. Aber ich möchte vorschlagen, daß nichts mehr dort zum Druck gegeben wird (ausgenommen kleinere Sachen, die noch in schon angefangene Hefte gehören). Inzwischen wollen wir sehen, welche Möglichkeiten hier bei der Press vorliegen. Wir werden natürlich keine bindenden Schritte machen, ohne alles Dir zu unterbreiten und Deine Zustimmung einzuholen. Und dann müssen die Fragen auch mit Stockum verhandelt werden. Ich bin in Sorge wegen unsrer Freunde im Norden. Sobald Du etwas erfährst, bitte schreib es. Und ich denke mir, daß Du für Euch und das Institut jetzt wohl auch ernste Erwägungen der Verlegung anstellen wirst. } \grussformel{C.} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/847075}{ON 222}; Briefkopf: gestempelt \original{Rudolf Carnap\,/\,Faculty Exchange\,/\,University of Chicago\,/\,Chicago, Ill.}, msl. \original{8.~April 1940}.}