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Lieber Carnap‚
Die Sache Norwegen war nicht so dringend, nur eine der Vorsichtsmaßregeln, die man eben so nimmt. Ich hoffe, einiges in dieser Richtung tun zu können. Bisher sind die Norweger aber ablehnend. Man weiß eh nicht, wie es mit Norwegen stehen wird in einiger Zeit.
Ich übrigen bin ich, wie immer, nicht fürs Übereilen eingenommen. Natürlich kann man auch mal damit schief fahren, aber wer einigemale sich übereilt, fährt auch leicht schief. Ich bin daher auch dafür, alles hier zu drucken, solange es irgend geht, die Änderung des Erscheinungsortes ist nicht zeitraubend, man kabelt der PRESS und bittet sie einzuspringen. Der Verlag STOCKUM ist ungewöhnlich nett und angenehm. Ich finde, es ist allerhand, daß sie in diesen schwierigen Zeiten so viel neue Verträge abschließen. Aber es sind eben schwer zu erschütternde Holländer.
Hier gibts immer von Zeit zu Zeit „politische Spannungen“, z. B. seit gestern. Belgien hat seinen Generalstab für den Kriegsfall aufgestellt und Phase „D“ eintreten lassen. Hier ist ja längst mobilisiert und daher wurden nur neue Urlaube gesperrt, die alten aber nicht mal eingezogen. Seit wir hinter dem Inundationsgebiet leben, fühlt man sich ohnehin wesentlich sicherer, da Überraschungen schwer möglich sind. Wir sind sozusagen auf einer sehr großen Insel. Du wirst ja Photos in den Zeitungen und im Film von den inundierten Flächen gesehen haben. Es macht einen umfangreichen Eindruck.
Es lebt sich idyllisch weiter, und da die Welt so traurig ist, sucht man Zuflucht in Lektüre, Schachspiel, Schreiben, Musik hören, ja wir haben sogar uns von Freunden vorsingen lassen und mitgesungen, zum Teil Volkslieder. Holländische Freunde lesen uns 700 Jahre holländische Poesie vor.
Mein Buch über TOLERATION AND PERSECUTION wird wohl interessant werden. Eben habe ich den Aufsatz für den FREEDOM-Sammelband fertig,
Was ich von der Situation denke? In der ganzen Welt unerfreulich bis obenhinaus, aber da Descartes
Aber Freunde machen einem Sorgen. Man kann sehr schwer Nachrichten bekommen. Man muß, wenn man aus dem Ausland schreibt, manchmal geradezu fürchten, jemandem zu schaden. Im allgemeinen schreiben wir nur Leuten, wenn man uns drum bittet, etwa an die Eltern von Strauss
Ich werde MORRIS
Paul
MODERN MAN IN THE MAKING hatte eine gute Presse in USA – jetzt kommen schon die Briefe von amerikanischen Schulkindern, die allerlei fragen, Briefmarken haben wollen und einen von mir gezeichneten Elephanten. Na ja. Die holländische Übersetzung ist eben ausgedruckt und wird sogar vom Chef des statistischen Amtes von Amsterdam, Universitätsdozent, eingeleitet. So wird man „hoffähig“. Auch sonst fungiere ich hier als Vertreter einer „klassisch“ gewordenen Opposition, werde von den normalen philosophischen Gesellschaften eingeladen, mich zu äußern – was sogar honoriert wird, wenn auch bescheiden. So wurstelt man sich weiter durch dieses irdische Jammertal, dessen Jämmerlichkeit man an den angenehmen Ausschnitten abmißt, die einem zur Verfügung stehen. Mögen Sie Dir und Ina
Mit Grüßen von mir und Mieze
Dein
Otto Neurath
Brief, Dsl., 2 Seiten, ON 222; Briefkopf: msl. 15. Jan. 1939, hsl. korrigiert zu 1940; ohne Signatur.