\brief{Otto Neurath an Rudolf Carnap und Charles W. Morris, 26.~Juli 1939}{Juli 1939} \anrede{Kopie an Carnap} \anrede{Lieber Morris!} \haupttext{Endlich ist von Rougier Titel seines Vortrags gekommen \noindent LES NOUVELLES LOGIQUES DE LA MECANIQUE QUANTIQUE et l'EMPIRISME RADICAL \noindent Es wäre schade gewesen, wenn kein Franzose gekommen wäre. Er schickte auch den Text (etwas mehr als 2000 Worte). Er regt an, den Vortrag für den 5.~Sept. anzusetzen. Ich schreibe an Bertalanffy unverbindlich anfragend, wie Sie anregen. Aber ich habe große Bedenken, daß jemand Biologie übernimmt, dessen vitalistische Grundtendenzen wir kontrollierend abschwächen sollen. Es sollte jemand, der keine solche Neigungen hat, erzählen, welche Probleme die Biologie zeigt, und wie man sie \uline{formulieren} kann. Durch die politischen Ereignisse sind wir in der Fertigstellung arg gehemmt worden (mein Enzyklopädieartikel wird gleich nach dem Kongreß fertig gestellt, wenn ich einige Reaktionen auf mein Referat beobachtet habe, wo ich einige Hauptfragen berühre, die sich ergeben können beim Betrieb der Sozialwisssenschaften). Ich glaube, daß Goldstein sehr in Frage kommt. Ich will Woodger seinetwegen fragen. Daß Woodger's Arbeit, wie ich anrege, in Bd. II kommt, ist sehr erfreulich. Es ist ihm sicher nur recht, die Leser werden auch zufriedener sein, unter Biologie könnten sie enttäuscht sein, so aber wird eine unbekannte Technik verkündet. Alles wartet auf etwas Wunderbares und man wird nicht enttäuscht, wenn unser Magier auftritt. An der Stelle kann man auch eher ein \glqq Experiment\grqq\ unterbringen, was es doch ist. Die \glqq Abstracts\grqq\ sind im Druck, ein Teil der Einladungen ist verschickt, der Rest ist im Versenden. Da wir die Korrekturen der Abstracts nicht nach USA mehr senden können, werden wir sie sorgsam lesen, die Separata für HARVARD werden von den PROOFS genommen, so daß die Autoren noch korrigieren können, und die endgiltigen Texte erscheinen ab Nr.~1 von Bd.~IX unserer Zeitschrift und alles ist OK. Als Vorsitzende sollten jedenfalls möglichst viele Nichtamerikaner fungieren, die mit uns in altem Kontakt sind, natürlich J\o{}rgensen, Rougier, dann auch Dürr -- etwa in der einen logischen Nachmittagtagung. Er schätzt das, glaube ich. Natürlich auch Mitglieder des großen Komitees, wie R.~v.~Mises, Kelsen, von Amerikanern wohl irgendwer von Harvard, einmal wohl Sarton, der sich so warm interessiert, einer von den Logistikern (Chruch?), jedenfalls Reichenbach, Sie, Carnap; Frank hat bisher \uline{immer} das Schlußwort gehalten. Ich rege an, daß \neueseite{} [er] es wieder tut. Er macht es sehr liebenswürdig und witzig und die Aneinanderreihung seiner Schlußworte ist recht anregend zu lesen. Er repräsentiert die \glqq alte Tradition\grqq\ und würde jetzt gute Gelegenheit haben, auf Einstein neben Mach hinzuweisen, da er mit ihm ein langes Gespräch über logischen Empirismus hatte. Usw. Usw. Ich stimme mit Ihnen und Carnap überein, erst sollen \uline{alle Vorträge} eines Tages gehalten sein und darnach soll gemeinsam die Diskussion abgeführt werden, und nicht etwa nach jedem Vortrag. Ich würde meinen, daß man im Rundschreiben an die Vortragenden \uline{ausdrücklich} betont, daß sie \uline{nicht} ihre \glqq abstracts\grqq\ \uline{vorlesen sollen}, sondern nach Bedarf einzelne Punkte ausführen oder auch noch etwas Ergänzendes hinzufügen zusammen mit einer kurzen Zusammenfassung des Gesamtinhalts. ABER NICHT WÖRTLICH VORLESEN -- es geschah das einmal in Cambridge, mehrmals beinahe, und immer reagierten die Hörer mit Schlafneigung -- wie denn anders, man kann, wenn man eifrig ist, mitlesen und aufpassen, ob der Vortragende gut abliest. Für welches Panel soll ich mich besonders vorbereiten? Gelten die ursprünglichen Pläne noch? Es wäre natürlich wunderbar, wenn wir kurze Notizen über die Diskussionen bekommen könnten, weil wir dann von den Diskutierenden Beiträge einfordern können, wie wir das z.\,B. auch in Cambridge taten. Ein Gesamtbericht, wie über PARIS, ist dann vielleicht nicht nötig, wenn wir genug Beiträge (\glqq Ergänzungen\grqq) bekommen und eventuell einiges aus den erwähnten Notizen als Überleitung einfügen. Haben Sie solche freundliche Helfer? Der PARIS-Bericht war notwendig, weil ja der Gesamtbericht nicht in der ERKENNTNIS, sondern bei Hermann \&\ Cie. erschien. Obgleich er unverhältnismäßige Mühe gemacht hat (z.\,B. mußte doch jeder Redner genannt werden. Einer hat sich richtig beklagt, man habe ihn wegen abweichender Meinung nicht erwähnt -- als ob das unser Brauch wäre --, ich konnte mit Stolz ihm schreiben, daß er auf S.~x. genannt sei), war die Freude, die er erregte, nicht proportional. Es gab ganze Korrespondenzen über diese und jene Priorität, Betontheit usw., während wir \uline{nie} eine Beschwerde bekommen bei der anderen Methode mit den \glqq Ergänzungen\grqq, für welche die Redner verantwortlich sind. ALSO: Wir haben die \glqq Abstracts\grqq, wir drucken von den Diskussionsrednern beigestellte \glqq Additions\grqq, und wir könnten, wenn Sie Helfer haben, vielleicht noch einige verbindende Worte einfügen, besonders, wenn ein Redner keine \glqq Additions\grqq\ sendet! Schade, daß Hull nicht kommt. J\o{}rgensen spricht also nur über Empiricism. MANNHEIM habe ich vorgeschlagen, daß man Vorträge für ihn arrangiert, aber gerade das geht nicht, weil er nächstes Jahr nach USA kommt und Referate halten will. Ich bin \uline{ganz} Ihrer Meinung, daß ADVISORY BOARD unseres JOURNAL \uline{nur} aus Leuten bestehen solle, die uns wirklich \uline{dauernd beraten}. Ich würde sogar vorschlagen, daß wir nur Namen von solchen drucken, die damit schon begonnen haben, \glqq erprobt\grqq\ sind, wie NAGEL, HEMPEL, TINBERGEN, etc. BITTE SPAREN! Die vielen Separata werden einiges kosten. Es geht alles seinen guten Gang und ich glaube, Sie haben ungeheuer viel für neue Kontakte geleistet, und das ist doch gerade das, worauf es vor allem ankommt. Der \glqq Stock\grqq, der beharrt, wächst offensichtlich. Ich werde manchmal den Terminus UNIVERSAL GRAMMAR OF SCIENCE verwenden -- käme das für Serie II in Frage? Natürlich IN THE MAKING. Aber um das gehts schließlich, gerade wenn wir die verschiedenen Meinungen gegeneinanderstellen -- es ist doch nicht das EXPERIMENT, das wir diskutieren, sondern die SPRACHE, die wir \glqq vorführen\grqq, indem wir sie verwenden. Es muß nicht immer Meta-Language sein. Gruß} \grussformel{Nth} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, USMR 2-13; Briefkopf: gedr. \original{International Institute for the Unity of Science} mit näheren Angaben, msl. \original{26.~Juli 1939}.}