\brief{Rudolf Carnap an Otto Neurath, 10. Juni 1939}{Juni 1939} \anrede{Lieber Neurath:} \haupttext{ Nach Deiner ausführlichen Darlegung im Brief vom 22. Mai habe ich nochmals an Frank geschrieben und ihn gedrängt, endlich an Kallen und Johnson zu schreiben oder mit ihnen zu sprechen. Er hat aber möglicherweise schon vor Wochen an Kallen geschrieben, noch von Chicago aus auf mein Drängen, auf Grund Deines damaligen Briefes. Natürlich hast Du ganz recht, daß er viel früher an beide hätte schreiben sollen. Ich habe ihn auch immer gedrängt, aber er pflegt solche Sachen gerne zu verschieben und vergißt sie dann. In dem, was ich Dir schrieb, wollte ich nicht dieses Versäumnis von Frank als unwichtig hinstellen, sondern ihn nur gegen Deinen Vorwurf in Schutz nehmen, daß er eine von Dir „beschaffte Professur“ verschlampt hat, denn nach seiner Meinung, die mir auch die objektiv richtige erscheint, lag gar nicht die Beschaffung einer Professur vor, sondern die Beschaffung einer sehr kleinen Chance auf eine Professur. Diese Chance wurde von Frank selbst als annähernd null angesehen, weil sie an die Bedingung geknüpft war, daß das Komitee Geld gäbe. Die spätere Mitteilung von Miss Razowski hat Frank's Vermutung recht gegeben, daß das Komitee nicht bereit war, für diesen Zweck Geld zu geben. In bezug auf Freundlich stimme ich dem zu, was Morris Dir geschrieben hat. Ich bin gleich ihm, trotz sachlicher starker Bedenken, aus Gründen der persönlichen Situation damit einverstanden, das Ms. für den ersten Band anzunehmen, wenn Freundlich gewisse Änderungen vornimmt, die Frank im Sommer mit ihm besprechen will. \uline{Gödel} war hier und sagte mir, daß er (bis 1. Juni) noch keine Einladung zum Kongreß erhalten hat. In seinem Falle hat das keine praktische Bedeutung, da er nicht kommen kann. Er fährt im Sommer nach Wien, kommt dann nächstes Jahr nach Princeton. Es wäre aber vielleicht gut, wenn Du nochmals überprüfen könntest, ob die Einladungen an alle diejenigen auf der Liste geschickt worden sind, die nicht von Morris ausdrücklich als von ihm schon eingeladen markiert waren, also insbesondere auch solche, die inzwischen in Amerika sind. Hast Du vielleicht eine Kartothek von Autoren und Msn. für die Zeitschrift? Es wäre gut, wenn eine solche zentrale Kontrolle da wäre, an die alle Mitherausgeber Mitteilung machen, insbesonders \neueseite{} über solche Mse., die so eindeutig abzulehnen sind, daß der betreffende Mitherausgeber sie gar nicht erst an andere Herausgeber schickt, sondern gleich an den Autor zurück. Es kann dann sein, daß derselbe Autor später dasselbe Ms. oder ein umgearbeitetes oder ein neues an Dich oder einen anderen Mitherausgeber schickt und für diesen Fall ist es gut, wenn von der früheren Einsendung schon ein Vermerk vorliegt. Für diese Kartothek melde ich, daß ich die folgenden beiden Mse. bekommen und an die Verfasser zurückgeschickt habe: \medskip \begin{tabularx}{\textwidth}{ll} 1. & Theodore T. Hailperin (Ann Arbor, Michigan)\\ & „Conditioned Reflexes and Mathematical Logic“,\\ 2. & Prof. Werner Gent (Göttingen),\\ & „Über die Aufgaben einer Philosophie des Anorganischen“\\ \end{tabularx} \medskip \noindent In den nächsten Tagen werde ich das Kongreß-Programm und den Plan für Reihe B eingehend mit Morris besprechen. Wir bleiben bis Ende August in Chicago. } Mit herzlichen Grüßen, \grussformel{Dein\\Carnap} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846531}{ON 222 (Dsl. RC 102-53-15)}; Briefkopf: gedr. \original{Rudolf Carnap\,/\,Department of Philosophy\,/\,University of Chicago} und \original{Chicago, Illinois, 10.~Juni 1939}, msl. ergänzt durch \original{10.~Juni 1939}, msl. \original{Dr. Otto Neurath\,/\,The Hague}.}