\brief[Neurath an Carnap, Den Haag, 9.~Juni 1939]% {Otto Neurath an Rudolf Carnap, 9. Juni 1939}{Juni 1939} \anrede{Lieber Carnap:} \haupttext{ FRANK\IN{\frankphilipp}. Hoffentlich hat er alles nett erledigt. Ich bin immer in Sorge, solange etwas nicht klipp und klapp sitzt. Es scheint mit Harvard gut zu stehen und es ist natürlich das beste für ihn. WAISMANN\IN{\waismann}. Er ist bereit Ergänzungen zu machen. Das deutsche Manuskript ist leider noch nicht komplett. Ich kann dem Verlag nicht zumuten, den Vertrag ohne Manuskript, das komplett ist (einen Teil habe ich hier), abzuschließen, weil man bei Waismann\IN{\waismann} fürchten muß, daß er in 10 Jahren liefert, und der Verlag dann immer gebunden ist. Aber selbst wenn man im Vertrag einen Schlußtermin ansetzt, wird man praktisch doch immer das wie eine Last empfinden. Es ist ja wirklich komisch, daß nun eine Sammlung zu existieren aufhörte, deren I. Bd. nie erschienen ist. Im übrigen beteuert er, daß er von Wittgenstein\IN{\wittgenstein} weit entfernt sei. Ja, er ergeht sich in scharfer Kritik von Wittgensteins\IN{\wittgenstein} Ablehnung der Wissenschaft, Anmaßung usw., indem er sagt, daß die Schüler dies und anderes in vergrößertem Maßstab zeigen\ldots\ holt jo\fnEE{Dieser Dialektausdruck steht ungefähr für: ,,aber ja doch``, ,,ach ja`` oder Ähnliches.}. Ich bat ihn dringend ums komplette Manuskript, um dann ganz in Deinem Sinne den Abschluß des Vertrags zu beantragen. \cutcn{STRAUSS. Natürlich müßte FRANK mit BOHR einmal die Frage des Physikbandes besprechen, speziell PAULI soll jetzt durch Bohr zu fruchtbarer Mitarbeit gewonnen werden können. Werde Frank in dem Sinne schreiben. REZENSION. Ich hoffe, wir kriegen sie noch in die ersten 3 Hefte hinein, eigentlich ist letzte Korrektur gelesen und unglücklicherweise ist die Cantor-Rezension drin. Habe sofort van Stockum \& Zoon geschrieben. MITHERAUSGEBER DES JOURNALS. Die Adressen aller werden auf der Innenseite des Titelblattes stehen. Die Dreiteilung ist intern, so wars ja immer gemeint. Die Herausgeber decken sich jetzt mit den Mitgliedern des Organisationskomitees. Obgleich \uline{nicht} das Komitee herausgibt. An sich könnte man ändern. Aber Quieta non movere, sagen „wir Lateiner“. Natürlich soll Deine Anregung durchgeführt werden, deshalb wollen wir beschließen, ein ADVISORY BOARD einzurichten, da können dann Quine, Nagel, Tinbergen, Wirth usw. usw. hineinkommen. Ich denke, auch Hempel, Strauss, Mises usw. Alle die, welche wir ohnehin privat dauernd um ihre Meinung fragen. Ich bin nicht dafür, daß die HERAUSGEBER überwiegend Amerikaner sind. Jetzt stehts Fifty-Fifty, da ja Frank nun auch für drüben zählt. Das ist gerade recht. Ich nehme an, daß Dir das recht ist. Bitte antworte gleich, dann laß ich brieflich abstimmen und wir haben bald ein ADVISORY BOARD beisammen neben unserem EDITORIAL BOARD. SEMANTIK. Ich meine, man sollte „STUDIES IN SEMANTICS, I“ usw. als Untertitel setzen, damit der Absatz der einzelnen Hefte nicht leidet. Dann kann auch II vor I erscheinen usw. Ich fände es sehr nützlich, wenn eines der Hefte den Zusammenhang mit Wissenschaftsbetrieb aufzeigen würde. Ich habe durch Vorträge von Strauss, wie ich Dir schrieb, \neueseite{}\zzz zu verstehen begonnen, wo und wann man gezwungen ist, zur Semantik überzugehen. Denn, daß man sie betreiben kann -- wer zweifelt dran. Ich lese jetzt genauer Deine Monographie. Aber wenn ich auch nur wenige Bedenken gegen gewisse Formulierungen habe -- ich schreib Dir drüber [--], so fühle ich bei der Semantik nicht recht, daß das zwingend ist, was Du über Verwendbarkeit andeutest. Der Titisee ist lieb, und ich bin gern bereit, auch den Tatasee hinzuzufügen und man mag so über all das sprechen, aber man sieht nicht unmittelbar, wie das mit dem Wissenschaftsbetrieb zusammenhängt. Aber das ist sekundär. Wann bekommen wir Heft der Semantik? MONGRAPH SERIES. Diese Monograph Series setzt direkt die alte Sammlung Einheitswissenschaft fort, die ja Van Stockum \& Zoon von Gerold übernommen haben (den ganzen Restbestand der Auflagen). Daher können wir nicht gut alles umändern. Aber, wenn es richtig ist, daß kleine Hefte nicht beliebt sind, können wir ja die Doppelhefte zur Regel machen und die Einzelhefte als Ausnahme bringen und dann diese nicht unter 40 Seiten stark machen, Tendenz, sie mit 48 Seiten anzusetzen (3 Bogen). Das entspricht Deiner Anregung. Bei 70 Seiten können dann Doppelhefte beginnen. Gomperz ist z.\,B. schon ein Doppelheft\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{sollte Einfachheft sein!}}.} von 85 Seiten. So entwickelt sich ungefähr alles von selbst in der Richtung Deines berechnenden Verstandes. Siehe Schiller. Columbus! Du kannst Deine Hefte also ebenso gut zu 48 Seiten machen wie zu 80, ja auch wohl noch über 100 als Dreifachhefte, wenns sein muß. ENZYKLOPÄDIE. Ich warte sehr auf den Entwurf des Prospektes für die nächsten 60 Monographien, ich habe Euch ja mein Gerippe gesendet, baut Knochen ein, nehmt Knochen weg, legt Fleisch herum! Dann will ich auch wieder es entfleischen und befleischen, bitte, bitte. Wir müssen das vor dem Kongreß fertig haben. Er ist wichtig als Propagandazentrale. Du mußt ZILSEL nahe legen, daß die Arbeit an der Enzyklopädie auch für sein Fortkommen wichtig ist. Wenn ich etwas Geld frei habe, will ich auch was für ihn schicken, augenblicklich bin ich knapp dran, weil ich viel für Reservierung von Schiffskarten usw. für Paul ausgeben mußte. Nun ist er glücklich draußen. Gestern kam das Telegramm, daß er bei guten Freunden in Schweden eingetroffen ist. Es war schon sehr beklemmend. Ungemein kompliziert, was da an Papieren, Visa, Bereithalten von Chancen usw. nötig war -- und immer das Ergebnis ungewiß. Du kannst Dir denken, wie froh ich bin. Eine Tante hat ihn vor Besteigen des Flugzeugs eine Stunde besichtigt. Vollkommen in Ordnung, breiter in Schultern und Gesicht geworden, kindlichen Ausdruck behalten (den er doch eigentlich nicht benötigt). Narben an einer Hand von einer Erfrierung, aber ohne weitere Konsequenzen. Die sehr einflußreichen schwedischen Freunde haben viel getan und wollen nun, daß er sich bei ihnen erst mal erhole. Hoffentlich sehe ich ihn bald.} Mieze\IN{\reidemeistermarie} grüßt ebenso wie ich Euch beide (oh Ina\IN{\ina} mit den nicht schreibenden Händen, denn von „versiegelten Lippen“ kann man nicht sprechen, da sie ja redebereit ist. NB. Der UFA-Film gleichen Namens ist ein Schund, hingegen „100 Männer und 1 Mädchen“ ist nett).\fnEE{Ein UFA-Film dieses Namens konnte nicht eruiert werden, vielleicht meint Neurath den so betitelten schwedisch-deutschen Stummfilm aus dem Jahr 1927 (Regie: Gustav Molander). Beim zweiten Film handelt es sich um die US-amerikanische Produktion ,,One Hundred Men and a Girl`` von 1937 (Regie: Henry Koster).} } Mit Gruß, auf Wiedersehn im September \grussformel{Dein\\ON}\Apagebreak \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846529}{RC 102-53-14 (Dsl. ON 222)}; Briefkopf: gedr. \original{Otto Neurath\,/\,Obrechtstraat 267\,/\,'s-Gravenhage}, msl. \original{9.~Juni 1939}.}