\brief[Carnap an Neurath, Chicago, 27.~Mai 1939]% {Rudolf Carnap an Otto Neurath, 27. Mai 1939}{Mai 1939} \anrede{Lieber Neurath:} \haupttext{\cutcn{\uline{Frank:} Auf Deinen Brief vom 1. Mai habe ich gleich Frank dringend gebeten, an Kallen und Johnson in dem angegebenen Sinn zu schreiben. Er hat es damals fest versprochen und, ich glaube, auch schon getan. Vielleicht hat sich das mit Kallen's Brief an Dich gekreuzt. Frank's sind jetzt nicht mehr hier, entweder in Princeton oder New York, wie ich vermute; erreichbar c/o Institute for International Education, 2 West 45\textsuperscript{th} Street, New York. Wir haben noch keine Nachricht von ihm bekommen, ob die Harvard Sache endgültig geklärt ist. Zur Zeit seiner Abreise stand die Sache aber sehr gut.} \uline{Waismann's\IN{\waismann} Ms.} Ich stimme Dir zu, daß ein Anhang mit Literaturangabe und kurzen Hinweisen auf die Verknüpfung der in dem Buch dargelegten Auffassung sehr wünschenswert ist. Ich möchte aber raten, auf keinen Fall das Ms. zum Zweck einer solchen Ergänzung zurückzugeben. Ich würde sogar vorschlagen, den Vertrag schon jetzt mit größter Beschleunigung abzuschließen, weil sonst zu befürchten ist, daß plötzlich, wie in früheren Jahren, Wittgenstein\IN{\wittgenstein} dazwischenkommt und Waismann\IN{\waismann} sein Ms. zurückzieht. Um das zu verhindern, würde ich sogar dafür sein, den Text des Buches schon zum Druck zu geben. Gleichzeitig kannst Du dann versuchen, den Anhang von Waismann\IN{\waismann} geschrieben zu bekommen. Falls er es aber nicht machen will, könnte man vielleicht seine Einwilligung dazu bekommen, daß jemand anderer es macht. \cutcn{\uline{Strauss:} Sein Plan für die ,,Logik der Quantenmechanik`` (für Library) scheint mir gut. Seine Anregungen für Band ,,Physik`` in Reihe B der Enc\ekl{yclopedia} schauen gut aus. Die Einzelheiten müssen natürlich von Fachleuten beurteilt werden. \uline{Meine Rezensionen über Hilbert usw.:} Ich hoffe sehr, daß sie im Heft 1 der neuen Zeitschrift erscheinen. Leider habe ich das Schreiben der Rezension über Hilbert sehr verzögert und jetzt ist die Veröffentlichung wieder verzögert worden. Das ist mir nicht angenehm, weil ich in der Rezension des I. Bandes Anregungen für den II. Band gegeben habe, der aber soeben schon erschienen ist. \uline{Mitherausgeber des Journal:} In welcher Form werden auf der 2. Umschlagseite die Mitherausgeber angegeben? Wäre es nicht am besten, wenn wir die geplante Dreiteilung nur unter uns machen, ohne sie explicit anzugeben? Es scheint mir aber dringend wünschenswert, daß die Adressen sämtlicher Mitherausgeber \neueseite{}\zzz für die Zusendung von Ms. angegeben werden. Ich möchte sogar zur Erwägung stellen, daß wir den Herausgeberkreis in Amerika noch ausdehnen, weil doch die Zeitschrift sich sehr stark auf amerikanische Leser einstellen wird und daher auch die Mitwirkung amerikanischer Autoren in stärkerem Grade anregen soll. Ich würde z.\,B. an Nagel und Quine denken. In diesem Jahre habe ich, wenn ich recht sehe, schon 10 Msse. für das Journal zu beurteilen gehabt. Ich möchte das nicht so weiter betreiben. Ich habe schon genug zu tun mit dem Lesen und Beurteilen der Entwürfe und Mse. für Band 1 und 2 der Enc\ekl{yclopedia} und ich sehe voraus, daß die Redaktion der weiteren Bände auch sehr viel Arbeit machen wird. Dazu kommen gelegentliche Beurteilungen von Ms. für die Library. Daher wäre es mir am liebsten, wenn ich von den Beurteilungen für die Zeitschrift ganz entbunden werden würde. Neben Reichenbach und Morris (soweit dieser bereit ist), könnte etwa Quine Mse. in formaler Logik zu beurteilen bekommen und Nagel solche in Wissenschaftslogik. Was meinst Du dazu? \uline{Ms. Christofidis:} Ich stimme Deinem Urteil völlig zu. Das Ms. ist zwar nett und klar geschrieben, berücksichtigt aber fast nur ,,den rechten Flügel``. Unseren Lesern würde es wohl kaum etwas Neues bringen, dagegen würde es in einer anderen Zeitschrift ganz gut aufklärend wirken können. Vielleicht könnte Waismann es in ,,Theoria`` unterbringen oder Stebbing eine englische Übersetzung davon in ,,Mind``. Ich schicke Dir das Ms. gleichzeitig zurück.} \uline{Meine Hefte: Semantik.} Ich hatte auch beabsichtigt, jedem Heft einen Sondertitel zu geben; ,,Studies in Semantics`` sollte der gemeinsame Obertitel sein. Einen Obertitel würde ich für nötig halten, um die Zusammengehörigkeit der Hefte deutlich zu machen. Der von Dir vorgeschlagene Obertitel ,,Analyse der Wissenschaft mit Hilfe von Syntax und Semantik`` entspricht mehr einem von Dir gewünschten Inhalt als dem wirklich beabsichtigten Inhalt der Hefte. Von der Anwendung auf die Wissenschaften wird nur an gewissen Stellen die Rede sein. Auch die in ,,Testability`` behandelten Probleme werden hier kaum diskutiert werden, höchstens indirekt, um den Unterschied zwischen pragmat\ekl{ischen} Begriffen wie ,,Confirmation`` und semantischen Begriffen deutlich zu machen. \cutcn{\uline{Umfang der Hefte der Monograph Series in der Library:} Du betrachtest 70 Seiten als Doppelheft, gehst also von einem normalen Umfang von 35 Seiten aus. Ein solcher Umfang war für die in Wien erscheinende Sammlung ganz geeignet, scheint mir aber zu klein für eine Sammlung, die sehr stark, wenn nicht sogar hauptsächlich auf Amerika eingestellt sein soll. So kleine Hefte sind hier nicht üblich und würden vielleicht nicht als ernste Veröffentlichungen angesehen werden. Ich würde vorschlagen, daß wir als Normalumfang eines Einzelheftes 50 bis 80 Seiten nehmen, unter Umständen vielleicht sogar etwas mehr. In diesem Falle würden auch meine Semantik-Hefte als Einzelhefte erscheinen könne. Über meine Hefte schreibe ich Dir später noch, wenn ich einen Plan über die Titel der einzelnen gemacht habe.} Das Horkheimer\IN{\horkheimer} Institut hat für Zilsel\IN{\zilsel} vom Hilfskomitee einen Betrag von \$\,900.00 versprochen bekommen, falls er von anderer Seite einen gleichen Betrag noch aufbringen kann. Er wird jetzt versuchen, den Restbetrag von anderen Organisationen zu bekommen, nötigenfalls wollen wir und andere es durch private Darlehen ergänzen. Zilsel\IN{\zilsel} bittet um Verlängerung der Frist für seinen Beitrag für die Enc\ekl{yclopedia}. Er findet natürlich vorläufig keine Muße zur wissenschaftlichen Arbeit. Nagel\IN{\nagel} ist soeben zum Associate Professor befördert worden; das bedeutet Gehaltserhöhung und mehr Zeit für eigene Arbeiten. Du hast lange nichts über Deinen Sohn geschrieben.\fnEE{Paul Neurath war 1938 nach dem ,,Anschluss`` Österreichs in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald deportiert worden, wurde aber 1939 entlassen und konnte nach Schweden, 1941 schließlich in die USA emigrieren. Vgl. Spitta, ,,Paul Martin Neurath (1911--2001)``.} Hast Du genauere Nachrichten über ihn? Besteht Aussicht, ihn bald heraus zu bekommen? } Dir und Mieze\IN{\reidemeistermarie} herzliche Grüße von uns beiden, \grussformel{Dein\\Carnap}\Apagebreak \ebericht{Brief, msl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846535}{ON 222 (Dsl. RC 102-53-17)}; Briefkopf: gedr. \original{Rudolf Carnap\,/\,Department of Philosophy\,/\,University of Chicago} und \original{Chicago, Illinois}, msl. ergänzt durch \original{27.\,5.\,39}.}