\brief{Rudolf Carnap an Otto Neurath, 6. Mai 1939}{Mai 1939} \anrede{Lieber Neurath:} \haupttext{ Auf Deine Anregung hin habe ich wegen Strauss an Reichenbach und Bohr geschrieben und mit Frank gesprochen. Ich selbst schreibe ihm gleichzeitig und schicke ihm mein Zeugnis ans Bedford College. Deine Anregungen über den Inhalt der Zeugnisse habe ich an die Betreffenden weitergegeben. \cutcn{Ich hoffe, Frank hat Dir inzwischen selbst geschrieben. Du mußt aber nicht denken, daß er eine von Dir ,,beschaffte Professur`` verschlampen läßt. Er ist zwar häufig langsam in seinen Reaktionen, aber er würde auch nicht nur eine Professur, sondern eine beliebige Akademiker-Stellung mit Freude annehmen. In diesem Falle liegt aber die Sache so, daß er überzeugt war, daß das Komitee kein Geld für die New School bewilligen würde und Miss Razovsky, die kürzlich selbst hier in Chicago war, hat ihm das sehr ausdrücklich bestätigt. Infolgedessen konnte man nicht sagen, daß überhaupt eine Möglichkeit vorgelegen habe, die Frank zu dilatorisch \textkritik{behandelt und dadurch}\fnA{Hsl. Einschub.} verscherzt hätte. Die Sache mit der Harvard University scheint sehr gut zu stehen und Frank erwartet, daß sie bis etwa Mitte Mai geregelt wird, und zwar im positiven Sinne. Das wäre ja wirklich außerordentlich günstig, besonders da die Harvard University, wie es scheint, ihm auch eine Chance für die weitere Zukunft gibt. Frank's haben die Absicht, bald nach New York zu übersiedeln, weil er wegen seines Buches Besprechungen mit Einstein machen will. Strauss deutet an, daß er in Deinem Institut eine Aufstellung über die Stellungnahme verschiedener Leute unserer Bewegung zu verschiedenen aktuellen Fragen gemacht hat. So etwas interessiert mich immer lebhaft. Könnte ich Durchschläge davon bekommen, nötigenfalls leihweise? Wie wäre es, wenn Du diese Übersichten an alle Beteiligten herumschickst, damit sie nötigenfalls Korrekturen in bezug auf ihre eigene Stellung anbringen können? Oder wäre es nicht vielleicht praktischer, zuerst den Fragebogen herumzuschicken und dann die Zusammenstellung auf Grund der Antworten vorzunehmen und nur bei denen, die nicht antworten, die Stellungnahme aus ihrer Veröffentlichung herauszusuchen? Ich habe V. Kraft veranlaßt, ein Rezensionsexemplar seines Buches an Hazebroek zu schicken. Meiner schickte mir Durchschläge seiner Korrespondenz mit Hazebroek. Ich freue mich, daß die \neueseite{} Schwierigkeiten zwischen Meiner und Stockum endlich gütlich beigelegt sind, sodaß also die neue Zeitschrift bald wird erscheinen können. Band VIII No. 1--3 sollte aber doch wohl erst einige Zeit nach Band VII No. 5--6 verschickt werden. Daß das erste Heft der neuen Zeitschrift gleich ein Dreifachheft ist, hat zwar den Vorteil, daß es eine größere Mannigfaltigkeit des Inhaltes aufweist, andererseits aber ist es dann so groß, daß der Verlag nicht gerne eine größere Anzahl von Frei-Exemplaren zu Propagandazwecken wird versenden wollen. Falls er dazu doch bereit ist, sollte er vielleicht die Liste der europäischen Abonnenten Dir zeigen und die der amerikanischen Morris und mir, damit wir Adressen für Werbung angeben können. Titel für die nächsten sechs Bände: ,,Towards Unity of Science`` gefällt mir nicht recht. Ich glaube, das Schlagwort ,,Unity of Science`` sollten wir vermeiden, weil es schon in all den anderen Titeln der Enzyclopädia, der Zeitschrift, der Sammlung vorkommt und daher zu Verwechslungen führen würde. Ich weiß aber selbst noch keinen besseren Vorschlag. Könntest Du vielleicht doch Deine Abneigung gegen das Wort ,,Methodology`` überwinden? Kein Wissenschaftler denkt bei diesem Wort an rein philosophische Spekulationen und es drückt doch wirklich den beabsichtigten Inhalt am klarsten aus. Ich glaube, wir sollten uns durch die Ablehnung der Metaphysik nicht zu sehr in der Wahl der Terminologie beeinflussen lassen. Sobald wir nicht die Aufgabe der Polemik, sondern die positive\fnA{Hsl. Einschub.} Aufgabe des Aufbaues im Auge haben. Ferner stimme ich Morris zu, daß ja der Gedanke der Einheit der Wissenschaft nicht weit genug ist als Titel für diese Bände, weil er ja doch nur eine bestimmte Idee unter vielen darstellt, die dort zum Ausdruck kommen soll.} N\ae{}ss war hier. Er hat seine Hälfte der Monographie schon geschrieben, möchte sie aber noch überarbeiten, bevor er sie uns zur Stellungnahme einsendet. Er sagte auch, das Ms. von Brunswik sei in nächster Zeit zu erwarten. } Mit herzlichen Grüßen, auch an Mieze, \grussformel{Dein\\Carnap} \briefanhang{P.S. Kannst Du mir vielleicht sagen, wer von den folgenden Leuten die Enzykl\editor{opädie} bekommt, sei es als Subskribent, sei es von Deinem Institut aus: Russell, Feigl, Helmer, Waismann, N\ae{}ss, Popper, Rand, Reach, Scholz, Strauss, Zilsel?} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846545}{ON 222 (Dsl. RC 102-53-22)}; Briefkopf: gedr. \original{Rudolf Carnap\,/\,Department of Philosophy\,/\,University of Chicago} und \original{Chicago, Illinois}, msl. ergänzt durch \original{6.~Mai 1939}, msl. \original{Dr. Otto Neurath\,/\,267 Obrechtstraat\,/\,The Hague, Holland}.}