\brief[Neurath an Carnap, Den Haag, 1.~Mai 1939]% {Otto Neurath an Rudolf Carnap, 1. Mai 1939}{Mai 1939} \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{mit großer Freude höre ich, daß es gelungen ist, FRANK\IN{\frankphilipp} an der HARVARD UNIVERSITY unterzubringen. Das ist ja eine schöne Position. Hoffentlich wird er daran selbst viel Spaß haben. \cutcn{Mir war nur recht peinlich, daß Kallen mir schrieb, Frank habe erst eine Woche später sich an ihn gewendet, und daß ich ihm antworten mußte, ich hätte keine Information von Frank. Er hätte mir sofort schreiben sollen, daß anderes in Erwägung steht, daß Schwierigkeiten sind usw., denn ich hatte mich bei der New School stark exponiert und auf das absolut Drängende hingewiesen. Ich bat Frank, er solle der NEW SCHOOL recht nett schreiben, Kallen UND Johnson. Bitte lege ihm das nahe. Er ist so phlegmatisch in solchen Sachen und wir verderben uns die Bereitwilligkeit unserer Freunde für andere Fälle, wenn man nicht sehr nett ist. An sich ists natürlich für Frank besser, an ein Department of Physics zu kommen -- darüber kein Zweifel. Die Schwierigkeiten mit MEINER: Stockum hat sich nicht so sehr beeilt, mit Köhler, dem Kommissionär, sich über alle weiteren Schritte zu einigen. Wie das eben bei einem Holländer ist, der ganz gelassen sagt: ,,Hundert Jahre sind wir mit Köhler in gutem Kontakt, der wird schon alles für uns machen, was möglich ist, und wenn was nicht möglich ist infolge der Lage, hilft das Drängen auch nicht.`` Inzwischen hat van Stockum \& Zoon an Köhler geschrieben und Köhler hat befriedigend geantwortet und Meiner\IN{\meinerfelix} gibt bereits Nr. 5/6 heraus. Ich glaube, Meiner\IN{\meinerfelix} kann sich schwer in die Gelassenheit eines Holländers hineinversetzen. Ich lerns allmählich. Es ist richtig, daß van Stockum im Durchführen sich nie übereilt. ABER dem steht gegenüber: im Fassen von Entschlüssen sind die beiden Direktoren kaum zu übertreffen. Sie schließen die Verträge, wenn sie ihnen plausibel erscheinen, rasch ab und erörtern ganz gemütlich z.\,B. die Anteile der Firma: ,,Wenn wir dabei mehr hereinbekommen, geben wir auch gern ab, aber Sie müssen einsehen, mehr als 50\,\% können wir nicht abgeben, wenn wir nun folgendermaßen kalkulieren \ldots`` na und das muß ich auch wieder zugeben, und so sind die Verhandlungen außerordentlich angenehm. Sie drucken friedlich-freundlich den Mises (letzter Bogen kam bereits vom Drucker), sie haben friedlich-freundlich den Gomperz fertiggedruckt, sie haben den Anfang des neuen Bandes der Zeitschrift gedruckt -- alles kommt nett und sauber heraus. Alle Wünsche werden erfüllt, nie gibts Zank. Wenn einmal (was im Anfang vorkommt, bis alles eingelaufen ist) was verlegt ist, wird Ersatz \neueseite{} beschafft. Der Verlag scheint loyal und nett zu sein. Mit der UNIVERSITY OF CHICAGO PRESS wird alles gut gehen, wenn wir dafür sorgen, daß die PRESS immer bald (im Nichtantworten auf Brief von van Stockum scheint sie auch einmal sich viel geleistet zu haben) und nett antwortet (einen Brief fand man hier unfreundlich; er war so geschrieben, wie an irgend einen Buchhändler irgendwo. Aber inzwischen schreibt die PRESS bereits an van Stockum \& Zoon wie an eine befreundete Macht und man ist zufrieden). Das bedeutet, daß Morris und Du hie und da sich kümmern müßt\fnA{\original{müssen}} und man nicht die Korrespondenz zwischen den Verlagen ganz sich selbst überlassen soll. Dadurch, daß ich hier existiere, konnte Meiner\IN{\meinerfelix} mir sehr nett schreiben, da sozusagen ich ganz unschuldig bin, der schlichtende Dritte. So sehe ich die Sache.} Es kam WAISMANNS\IN{\waismann} Manuskript,\fnEE{Siehe Anm.~\refcn{1932-01-12-Neurath-Hahn-an-Carnap-Waismann}. Der hier im Hintergrund stehende erneute Versuch einer Publikation von Waismann, \textit{Logik, Sprache, Philosophie} umfasste eine gleichzeitige Publikation auf Deutsch und Englisch, bei W.\,P. van Stockum und Oxford University Press. Auch diese Initiative scheiterte.} dafür, daß es so lange bearbeitet ist, merkwürdig mangelhaft ,,eingerichtet``, z.\,B. nicht durchnumeriert, ganze Gruppen von Seiten ohne Nummern. Man soll aus der Reihenfolge sehen, wohin die Blätter gehören, überhaupt keine Literaturübersicht, keine Anmerkungen am Schluß, kein Index. Ich habe nun angefragt, wie umfangreich die Anmerkungen im Anhang sein werden und wie groß das Literaturverzeichnis, denn die Leser von so einem Buch wollen doch ein wenig über die Diskussionslage erfahren und wissen, was andere über ähnliche Probleme sagen. Daß er das Buch ohne Hinweise auf Literatur, ohne Anhang publizieren will, möchte ich nicht annehmen. Das war doch nicht die Idee des Buchs, das als Einführungsband der Sammlung gelten sollte. Es ist doch nicht die Technik des TRACTATUS, die wir in größerer Ausdehnung zu propagieren wünschen. Aber darüber würde ich, bis ich von Waismann\IN{\waismann} Antwort habe, natürlich Eure Wohlmeinung einholen. Ich würde die Hefte, die Du erwähnst, sehr begrüßen, und bitte Dich, mir möglichst bald einen ungefähren Plan zu senden. Ich habe nur Bedenken gegen den Titel STUDIES IN SEMANTICS, PART I etc. Ich würde empfehlen, für jedes Heft einen Sondertitel zu wählen, der ungefähr andeutet, worum es sich handelt. Weiter würde ich anraten, jedem Heft eine nicht zu kleine Anzahl Seiten vorauszusenden, die allgemeiner verständlich darstellen, was innerhalb des Wissenschaftsbetriebs etwa diese Untersuchung bedeutet, an welche Probleme sie anknüpft usw. Dann wäre gut, eine Zusammenfassung am Schluß jedes Heftes zu geben. Ein Heft über Syntax und Semantik wäre sehr nützlich. Vielleicht kann der Obertitel irgendwie lauten ANALYSE DER WISSENSCHAFTEN, mit Hilfe SYNTAX und SEMANTIK oder ähnlich. Ich glaube, daß auch zu den ,,mehr technischen`` Heften sich immer genügend viel allgemein Interessantes sagen läßt z.\,B. über INTERPRETATION usw., daß der Absatz gute Chancen hat. Ich habe durch die Vorträge von STRAUSS\IN{\straussmartin} über Formalisierung physikalischer Sprachen viel \ekl{da}zugelernt, über Syntax, Semantik, Interpretation;\fnEE{Strauss, ,,Mathematics as Logical Syntax -- a Method to Formalize the Language of a Physical Theory``, ist die schriftliche Fassung des 1938 in Cambridge gehaltenen Vortrags; daneben finden sich in Neuraths Nachlass noch etliche weitere Typoskripte von Strauss (ON 394).} z.\,B. hat mir sehr gefallen, wie er zeigt, daß in einer Sprache gewisse Sätze ,,falsche`` sind, in einer anderen Sprache ,,Nicht-Sätze`` (also nur Zeichenfolgen), und daß erst in der Syntax der Semantischen Analyse man von ,,sinnleer`` zweckmäßigerweise in diesem Falle spricht, so daß drei Unterscheidungen (auf die Terminologie kommts nicht an) auftreten, während wir früher nur zwei zu besprechen pflegten, falsch und sinnleer. Es scheint mir, daß man all diese Dinge durch Beispiele aus Wissenschaften sehr beleben kann. Was denkst Du darüber? Ich finde, daß eine Bewegung wie die unsere es nicht nötig haben sollte, mimeographierte Exemplare herauszugeben. Höchstens wird man im Vertrag festlegen, daß erst von einer bestimmten Anzahl an \neueseite{}\zzz Honorar bezahlt wird. Das sind alles Kleinigkeiten. Hauptsache ist, daß Du mir Näheres über die Hefte mitteilst. Wichtig ist, daß im Anhang alle etwa nötigen Kalkülerläuterungen\fnA{\original{Kalkülerläuterungen}} gegeben werden, damit auch die, welche sich noch nicht auskennen, sich direkt orientieren können, ohne ,,fremde`` Bücher zu benötigen. Wohl aber kannst Du Dich auf ein von Dir bei uns publiziertes Heft berufen. Hoffentlich kannst Du so auch publizieren, was Du in TEST\-ABILITY AND MEANING gesagt und wohl schon etwas variiert hast.\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{Nein, dies jetzt nicht (keine wesentlichen Änderungen).}}.} \uline{Bitte schick mir noch ein Exemplar TESTABILITY AND MEANING} für unsere Bibliothek, ebenso von der Engl\ekl{ischen} Ausgabe der SYNTAX und was Du sonst ediert hast. Es kommen immer mehr Menschen, die hier unsere Schätze anwühlen und nach diesen Dingen fragen. Jetzt z.\,B. STRAUSS\IN{\straussmartin} (endlich hat er alles beisammen, seine Frau konnte ihren Paß in Rotterdam in einen deutschen mit MRS STRAUSS\IN{\straussmartinfrau} umwandeln lassen, vorher hatte sie ihren tschechischen Mädchenpaß, nun hat er sein engl\ekl{isches} Visum und geht nach England. NB. Rose Rand\IN{\rand} hat eben ihr PERMIT bekommen und geht nach England. \hbox{REACH}\IN{\reach} möchte heraus). Hier interessieren sich Physiker, Mathematiker usw. für Semantik, Syntax usw. und man kann ihnen so wenig sagen. \cutcn{Ich glaube, es ist nicht zweckmäßig, mit van Stockum in diesem Stadium über die Sache zu reden. Mach einen konkreten Vorschlag mit netten Titeln und mäßigem Umfang von 2, 3 oder mehr Heften. Sagen wir eins der Hefte 70 Seiten, das wäre ein Doppelheft, eines sagen wir 100 Seiten oder 110 Seiten, das wäre ein Dreifachheft. Größeres schiene mir für die MONOGRAPH SERIES nicht zweckmäßig. Wenn Du mir das auf separatem Bogen schickst und mich ermächtigst, die Vertragsbestimmungen \uline{eventuell} dem Absatz anzupassen, \uline{dann kann ich wohl direkt abschließen}. Du bist einer der Herausgeber, Du bist ein führender Mann in unserem Gebiet -- wie kann man ablehnen, wenn nicht schwerwiegende Bedenken vorliegen. Ich sehe keine. Denn daß diese Hefte gekauft werden, scheint mir nicht zweifelhaft. Bis jetzt haben wir folgende 8 Vortragende (vorläufige Information): R. v. Mises ,,Über ein Lehrbuch des Positivismus``, KELSEN, GRELLING, OPPENHEIM \& GRELLING, JULIUS KRAFT, JØRGENSEN, ROUGIER, NEURATH, die aus Europa kommen werden. Ich finde es sehr erfreulich, daß wir nur 50 Referate haben werden. Ich möchte mein Thema gern dem von DEWEY anpassen. Die Sozialwissenschaften im Gebäude der Wissenschaften. Das gibt Gelegenheit, alles zu behandeln, was wichtig ist, empiristische Formulierungsweise (Frage der ,,inneren`` und ,,äußeren`` Erfahrung usw. usw.), logische Struktur, die ,,Elemente`` der sozialwissenschaftlichen Theorien. Wichtigkeit des Messens, aber Hervorheben, daß Feststellung bestimmter Korrelationen wichtig sein kann, auch ohne Messen usw. usw. Ich wähle vor allem Fragen aus, die ich in der Monographie nicht so ausführlich erörtern kann.} Danke für Bemerkungen zu HOLLITSCHER\IN{\hollitscherwalter} (da er die Arbeit als Dissertation gedruckt haben muß, schrieb ich ihm, er solle sie für die ERKENNTNIS, THE JOURNAL OF UNIFIED SCIENCE etwas kürzen), SCHICK\IN{\schickpaul} und JUHOS\IN{\juhos}.\fnEE{Hollitscher, ,,Über die Begriffe der psychischen Gesundheit und Erkrankung``; Juhos, ,,Empirische Sätze und logische Konstanten``. Nicht erschienen ist die Arbeit von Paul Schick (,,Parallelen zwischen rechtstheoretischer und mathematischer Grundlagenforschung``, ON 395/R.58).} Werde sehen, was man damit macht. Schließlich eilt ja JUHOS\IN{\juhos} nicht, und wir sind überbesetzt. Wir werden allmählich strengere Anforderungen stellen müssen.\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{ja!}}.} } In Eile, in der Hoffnung bald von Dir zu hören, mit Gruß, auch an die schweigsame Ina\IN{\ina} \grussformel{Dein\\Nth} \ebericht{Brief, msl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846541}{RC 102-53-20 (Dsl. ON 222)}; Briefkopf: gedr. \original{International Institute for the Unity of Science} mit näheren Angaben, msl. \original{1.~Mai 1939}.}