Carnap an Neurath, Chicago, 16. Januar 1939 Rudolf Carnap an Otto Neurath, 16. Januar 1939 Januar 1939

Lieber Neurath:

Nach einer langen Fahrt sind wir zu Weihnachten wieder hier eingetroffen und jetzt hat auch der Unterrichtsbetrieb wieder begonnen. Meinem Rücken geht es ganz gut. In den Ferien habe ich mich hauptsächlich damit beschäftigt, mein Heft für die Enzyklopädie umzuarbeiten. Leider bin ich damit noch nicht fertig geworden. Es ist viel mehr Arbeit, als ich vorausgesehen habe, da ich sehr viel ändere. Ich denke aber, daß ich es in kurzer Zeit druckfertig haben werde.

Die Bemerkungen über mein Ms. zur Enzyklopädie vom 25. November sind mir sehr anregend und wertvoll jetzt bei der Umarbeitung. Ich sehe ganz klar, daß die Schrift, so wie sie jetzt ist, schwerer verständlich ist als die meisten anderen Hefte. Aber ich bin nach längerer Überlegung zu dem Schluß gekommen, daß ich das kaum 🕮{}wesentlich ändern kann, ohne ein ganz neues Heft zu schreiben. Dein Vorschlag, ein neues Heft zu schreiben und andererseits gleichzeitig ein Buch, scheitert mangels an Zeit. Das Buch würde nicht vor 1940 fertig werden. So habe ich es für das beste gehalten, den Aufbau des Heftes im ganzen beizubehalten, aber durch zahlreiche Einfügungen von Erläuterungen und Beispielen den Text leichter verständlich zu machen. Ferner trenne ich verschiedene sehr technische Abschnitte deutlicher vom übrigen Text und lasse sie in Kleindruck setzen. Ich glaube nicht, daß es meine Aufgabe ist, im Heft nachzuweisen, daß die semantische Methode unentbehrlich ist. Das würde viel zu schwierig sein. Ich glaube, es genügt, wenn dem Leser klar wird, daß die Methode nützlich ist, indem sie Begriffe zur Verfügung stellt, mit denen eine Menge Fragen, die der Wissenschaftler hat, in einfacher und direkter Weise formuliert werden können.

In die Bibliographie werde ich noch verschiedenes einfügen auf Grund der Vorschläge von Dir und anderen. Du schreibst: „GödelPGödel, Kurt, 1906–1978, öst.-am. Mathematiker!!!“ Aber da habe ich doch Bedenken. Der Aufsatz ist doch nur für die höchsten Experten verständlich. Dafür erwähne ich aber GödelsPGödel, Kurt, 1906–1978, öst.-am. Mathematiker Namen an mehreren Stellen im Heft. – Du hättest ruhig Durchschläge an MorrisPMorris, Charles W., 1901–1979, am. Philosoph, verh. mit Trude Morris und andere schicken können, denn auch wenn ich die Doppel-Publikationen planen würde, würde ich daraus im Kreise meiner Freunde kein Geheimnis machen.

Ich habe zur Rezension bekommen: P. Léon VeutheyPVeuthey, Léon, 1896–1974, schweiz. Theologe und Philosoph, La Pensée Contemporaine, Paris 1938. Das Buch ist vom Standpunkt der katholischen Philosophie und Theologie geschrieben, im Anschluß an die Vorträge und Diskussionen des Pariser Philosophen-Kongresses 1937 (meiner Meinung nach lohnt es sich nicht zur Rezension in unserer Zeitschrift).

Ich schicke gleichzeitig Kopie eines Briefes an JuhosPJuhos, Béla, 1901–1971, ung.-öst. Philosoph für Dr. HazebroekPHazebroek, Pieter, 1907–1971, niederl. Mathematiker und Strauss’PStrauss, Martin, 1907–1978, dt.-brit. Physiker und Philosoph, verh. mit Anna Strauss „Remarks to Carnap“.

Mit besten Grüßen

Dein
Carnap

Wann kommst Du herüber?

Brief, msl., 2 Seiten, ON 222 (Dsl. RC 102-53-47); Briefkopf: gedr. Rudolf Carnap\,/\,Department of Philosophy\,/\,University of Chicago und Chicago, Illinois, ergänzt durch msl. 16. Januar 1939.


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