\brief{Rudolf Carnap an Otto Neurath, 28. November 1938}{November 1938} \anrede{Lieber Neurath!} \haupttext{ Besten Dank für den Rembrandt-Sonderdruck und viele Briefe; der letzte ist vom 2.~November. In den nächsten Tagen reisen wir ab, über Berkeley (Brunswik, N\ae{}ss, Tolman, Lenzen), Los Angeles (Reichenbach, Gomperz), dann lange Fahrt nach Chicago; etwa Weihnachten dort. Inzwischen wird einiges von Chicago nachgeschickt. Vor einiger Zeit waren Brunswiks und N\ae{}ss hier, vor kurzem Frank einige Tage. Erstaunlich und erfreulich, daß selbst in diesem stillen Nest am Stillen Ozean so viel Kontakt mit der Welt existiert. Auf Deinen Wunsch habe ich etwas für das FORUM geschrieben, schicke es gleichzeitig an Helmer, der wird es Dir korrigiert weiterschicken. \glqq Empiricism and the Language of Science\grqq. Es ist nicht speziell über bedingte Definition (Reduktion), weil das zu technisch wäre. Auf Anregung von Morris habe ich einen Auszug aus \glqq Testab\editor{ility} and Meaning\grqq\ jetzt verwertet, den ich mal für einen Vortrag gemacht hatte. \uline{Nagel} schreibt, daß er den von Dir jetzt vorgeschlagenen Titel \glqq Problems of Probability\grqq\ nicht liebt. Könnten wir nicht seinen früheren Titel \glqq Experience and Probability\grqq\ beibehalten, von dem er sagt, daß Du ihn selbst vorgeschlagen habest oder, wie Morris vorschlägt, \glqq Foundations of the Theory of Probability\grqq? Dieser Titel hätte den Vorzug der Gleichartigkeit mit den übrigen. Es ist natürlich gut, wenn das Erscheinen der Enzyklopädiehefte nach Möglichkeit beschleunigt wird. Ich möchte aber dringend anregen, daß die Eile auf keinen Fall auf Kosten der Qualität gehen darf. Du hast Woodger so gedrängt, gleich nach dem Schreiben seines Abstrakts auch schon den Text zu schreiben, daß er meine Bemerkungen (und vielleicht auch die anderer) überhaupt nicht mehr hat berücksichtigen können. Ferner sagte mir Frank, daß er gewisse Bedenken zur Arbeit von Lenzen habe und sehr gern Bemerkungen zum Manuskript gemacht haben würde, aber erst Gelegenheit hatte, als die Arbeit schon im Druck war, sodaß er keine größeren Änderungen mehr vorschlagen konnte. Zur Sammlung \glqq Einheitswissenschaft\grqq: Ich würde es für sehr wichtig halten, daß der holl\editor{ändische} Verleger Verbindung mit einem amer\editor{ikanischen} Verleger, vielleicht der U\editor{niversity} of C\editor{hicago} Press aufnimmt, so wie die engl\editor{ischen} Verleger es haben, ohne das würde der Absatz in Amerika ziemlich behindert sein, und ich würde ohne das starke Bedenken haben, ein größeres Buch in englischer Sprache in die Sammlung zu geben (Springer hat mir geschrieben, daß er die Neuauflage meiner \glqq Logistik\grqq\ außerhalb der Schlicksammlung als besonderes Buch herausbringen möchte, und das wird wohl am besten sein; die U\editor{niversity} of C\editor{hicago} Press ist bereit, eine engl\editor{ische} Übersetzung zu bringen; vielleicht ließe sich aber ein Arrangement mit der \glqq Einheitswissenschaft\grqq\ machen). Hast Du \uline{Waismann}’s MS schon in Händen? Wenn \neueseite{} nicht, möchte ich Dir dringend raten, es Dir sofort aushändigen zu lassen und auch sofort in Deutsch zum Druck zu geben. Andernfalls ist zu befürchten, daß Waismann wieder Bedenken kriegt und seine Ansichten ändert, oder aus sonstigen Gründen sich nach einiger Zeit weigert, das MS herzugeben. Darum halte ich es auch nicht für ratsam, auf den englischen Text zu warten. W\editor{aismann} wird sehr skrupulös mit der englischen Übersetzung sein, das wird lange Zeit in Anspruch nehmen, und man weiß nicht, was alles dazwischen kommen kann, ein Wittgensteinveto oder dgl. Ist erst mal der deutsche Text gedruckt, so kann er nicht mehr zurückziehen. Was mit der englischen Übersetzung wird, kann man dann immer noch später sehen. Eben sehe ich Deinen Brief über \uline{Nagel’s Titel}. Ich verstehe Deine Gründe gegen \glqq Foundations\grqq, glaube aber nicht, daß es geradezu irreführend sein würde. Andrerseits würde \glqq Problems\grqq\ so klingen, als würden gewisse Spezialprobleme diskutiert, während in Wirklichkeit eine Übersicht über die Grundlagenfrage gegeben wird. Da Enriques abgesagt hat, so ist zu erwägen, ob wir nicht den Satz auf der dritten Umschlagseite, den wir nur ihm zuliebe hingesetzt hatten, streichen sollten. (Ein Rezensent aus dem Nagelkreis -- ich glaube, es war Gruen -- hat schon Anstoß daran genommen, wie Du vermutlich gesehen hast.) Ich nehme an, daß wir von Santillana noch ein etwas ausführlicheres Abstrakt bekommen, bevor er den Text schreibt? Da man bei \uline{Łukasiewicz} nie sicher ist, wann er liefert, und \uline{ob} er überhaupt jemals liefert, so wäre es wohl ratsam, ihn erstens noch einmal zu erinnern und zu fragen, ob und wann er das MS liefern wird; und zweitens zu überlegen, wer das Heft übernehmen kann, falls er es nicht liefert. Falls er, was zu fürchten ist, auf Anfragen und Mahnbriefe überhaupt nicht antwortet, muß man ihm ein energisches Ultimatum schreiben, daß, wenn wir nicht eine bestimmte Zusage mit Terminangabe bekommen, wir einen andern Autor nehmen müssen. Vergiß nicht, mein Enz\editor{yklopädie-}MS an Woodger zu schicken, sobald Du es gelesen hast. Zilsel ist, wie er Dir wohl geschrieben hat, in London angelangt und will dort das amerikanische Visum abwarten. Zu Deinem Brief vom 3. Okt.: Krampf und Werkmeister haben mir nicht geschrieben; ich nehme an, die Sache hat sich erledigt. \neueseite Rezensionen in unserer Zeitschrift. Ich möchte vorschlagen, daß Du von Zeit zu Zeit einen Rundbrief mit Angabe aller eingegangenen Bücher an den Kreis der Mitarbeiter verschickst, damit diese anmelden können, was sie besprechen wollen. Mir sind folgende beiden Bücher zugegangen: Mittasch, Alwin, Katalyse und Determinismus. Ein Beitrag zur Philosophie der Chemie, J. Springer, Berlin, 1938. Watson, David Lindsay, Scientists are Human (No. 6 \glqq Library of Science and Culture\grqq, C. A. Watts \& Co. Ltd., London, 1938. Durchschlag dieses Briefes geht an Morris. } Mit herzlichen Grüßen an Dich und Mieze, \grussformel{Dein\\Carnap} \ebericht{Brief, msl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846609}{ON 221 (Dsl. RC 102-54-01)}; Briefkopf: msl. \original{Carmel, den 28.~Nov. 1938}.}