\brief{Otto Neurath an Rudolf Carnap, 18. Mai 1938}{Mai 1938} \anrede{Lieber Carnap!} \haupttext{ Ich muß nun noch Punkt für Punkt antworten. Es war so viel anderes zu erledigen, daß ich zunächst nur das Wichtigste erwähnte. Ad Brief vom 21. April. Gomperz angekommen, Morris Bemerkungen auch. Mainx Abstrakt, Rougier Abstrakt, 3 Exemplare Carnap Abstrakt, die Bemerkungen von Carnap und Morris zu Rougier. Mit Termini ists meist so, daß sie anfangs nicht gefallen. Einheitswissenschaft, Einheit der Wissenschaft (eben schreibt mir J\O{}RGENSEN, daß unter dänischen Gelehrten gegen dies EINHEIT DER WISSENSCHAFT irgend eine Abneigung besteht) gefiel solange nicht, bis es eben allgemein verwendet wird. Gestern sprachen hier zwei führende Männer der SCIENTIA (eine holl[ändische] Enzyklopädie, die Synthese versucht. HANDBOEK VOOR WETENSCHAP, KUNST EN GODSDIENST), die ich schon erwähnte. Der eine Redner sprach immer wieder von EINHEIT DER WISSENSCHAFT. Übrigens erwähnte er nebenbei, daß er sich nicht mit dem Empirismus des WIENER KREISES befreunden könne. FRECHET hätte lieber PHILOSOPHIE SCIENTIFIQUE, weil UNITY OF SCIENCE doch ein bestimmteres Programm umfasse. Andere wieder mögen \glqq Philosophie\grqq\ nicht -- vor allem gibt es Wissenschafter, die sie nicht lieben, usw. usw. usw. Ich hoffe, Du kennst die Geschichte vom Bauern, dem Sohn und dem Esel und wie man sie für verrückt hält, als die den Esel tragen, nachdem alle anderen Kombinationen kritisch beurteilt wurden\ldots Ich sehe, daß BRUNSWIK den Terminus BEHAVIORISTICS bereits verwendet. In der Phil[osophy] of Science. Besprechung von N\AE{}SS, S.~105. \glqq The ,behavioristics‘ of science\ldots\grqq\ Aber wir wollen Terminologie auch nicht zu wichtig nehmen. Der Enzyklopädie-Konferenz-Bericht folgt anbei in KORREKTURBOGEN\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{(Für Sammlung Einheitswissenschaft)}}.} (\gesperrt{nicht} korrigiert). Du siehst, alles Fragliche ist verschoben. Ich würde nie eine Diskussion, in der wir beide agierten, drucken, ohne daß wir das genau besprochen haben. Das ist klar.\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{gut}}.} AYER hat mir im allgemeinen geschrieben, er wolle in CAMBRIDGE sich mit RUSSELL auseinandersetzen, und ich verstand -- auch eine zweite Mitteilung lag vor --, daß RUSSELL vieles von unseren Ansichten ablehne, ob nun direkt mit Namensnennung usw. weiß ich nicht. Schade, daß er nicht mit uns enger zusammengeht, sehr schade. Wo wir doch in vielem ausführen, was er erstrebte. Aber MACH ließ sich ja auch dazu verleiten (wohl durch DINGLER), gegen EINSTEIN sich so ablehnend zu äußern, obgleich er doch sein Vollender war. Über Ph\editor{ilipp} schreibe ich Dir mal näher.\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{\uline{Philipp}}}.} Er wollte in ein paar Wochen bereits einige Bogen dem Verleger vorlegen. Er schrieb so, als ob ich für ihn Schnell-Arbeit zu leisten hätte. Er will die Sachen geschickt haben, die er in der Bibliothek findet, z.\,B. die ERKENNTNIS (die wir hier ständig brauchen) usw. usw. Als ich ihm etwas schickte und ihn um baldige Rücksendung bat, bekam ichs bis heute nicht zurück. Die \glqq LEIHBIBLIOTHEK\grqq, die allmählich so umfangreich ist, daß wir ihren Katalog werden veröffentlichen können, ist für SPEZIALARBEITEN gedacht, es sind vor allem SEPARATA. Ph\editor{ilipp} macht doch etwas ganz Grobes, für das \neueseite{} ich nicht mal mittelbar verantwortlich sein möchte. Die Art des Definierens ist, wie Du sehen wirst, so, wie wir sie nicht lieben. Man kann nicht alles definieren, nicht einmal SOZIOLOGIE usw., besser ists zu sagen, wann man den Begriff zu verwenden pflegt, dabei die Unbestimmtheit andeutend. Ph\editor{ilipp} verfaßt das Lexikon ohne genügende Vorbereitung und in größter Eile, wie Du erwähnst. Ich zweifle, ob es uns nützt. Man wird uns vieles vorhalten, wofür wir nichts können. Ich bin dafür, daß man bei MALISOFF dies SYMPOSIUM, das wir dort haben, ausbaut, sowie ich ja auch sonst dafür bin, daß wir uns solche Abteilungen, wo wir können, einrichten. Ich verhandle hier mit einer Zeitschrift darüber\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{Das wird doch zu viel!}}.} -- obgleich wir doch jetzt unsere eigene Zeitschrift unter Dach und Fach haben. Man muß nur aufpassen, daß keine Konkurrenz entsteht. Es wäre nett, wenn man z.\,B., was ich hier jetzt anstrebe, eine Art kleines monatliches Bulletin herausbringen könnte, das als Teil einer Zeitschrift erscheint, während unsere Zeitschrift den umfangreicheren Sachen gewidmet wäre, den Dingen, die unsere Bewegung kennzeichnen. Ich hoffe, daß die Aufnahme von Artikeln etwas kritischer vor sich gehen wird, wenn wir die DREITEILUNG haben. Natürlich finde ich HULL und WOODGER nützlich und werde immer dafür sein, daß ihre Arbeiten bei uns erscheinen und gefördert werden, aber -- was Du jetzt mehr annimmst als früher -- ich glaube, es ist alles ein wenig stark \glqq antizipierend\grqq. Bei HULL ist ja der Einfluß von SPINOZA jedenfalls interessant. Ich hatte gleichnisweise ihm gegenüber SPINOZA erwähnt und er bestätigte den tatsächlichen Einfluß. Ich freue mich, daß Du mit mir einig bist, daß von schärferer Formulierung jetzt mehr zu erwarten ist -- im allgemeinen -- als gerade von Symbolisierung. Die Zahl derer ist nicht klein, die von Symbolisierung eine Art Zauberwirkung erwarten, während sie doch nur hilft, kompliziertere Dinge zu klären, denn man kann ja ganz üble Thesen symbolisch darstellen. Natürlich wäre die STANDARDIZED WORD LANGUAGE erwünscht (ich wäre schon froh, wenn gewisse Wendungen und Phrasen wenigstens wegfielen), aber man müßte das vorsichtig machen. Ich verfahre ja negativ ein wenig so. Aber sieh z.\,B., wie schwierig es ist in der Psychologie -- BRUNSWIK beschreibt das gut. Da gibts vieles, was man schon irgendwie verwenden kann -- aber man hat noch keine Standardworte dafür! Ich glaube, daß man so eine Sprache\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{Ich meinte zunächst nur: das logische Skelett}}.} kaum systematisch zuwege bringt, sondern, daß man angeben sollte, was man erhofft, damit im EINZELFALL bei konkreten Untersuchungen Leute, die sonst unvorsichtig sind, etwas aufmerksamer werden. Wichtig ists, daß Physiker, Biologen, Soziologen, Psychologen (BEHAVIORISTIKER)\ldots\ sich dafür finden, die das anstreben. Aber Du weißt doch, wie schwer das ist. Schau, wie schwer es Dir wird, Dich mit MORRIS zu verständigen, oder mit WOODGER, HULL etc., und das sind doch wirklich unsere Freunde. HULL z.\,B. ist so begeistert von seiner spinozistischen Anordnung, daß ich kaum etwas Kritisches zu sagen suchte. Ich bin ja eigentlich feinfühlend -- in solchen Fällen. Ich glaube nach wie vor, daß die Art, wie Du die Tarski-Wahrheit einführst, viel Verwirrung anrichten wird, trotz aller Erklärungen. Ich habe REICHENBACHs Buch im Manuskript bei MORRIS gesehn, ich war sehr betroffen über vieles -- ich deutete das Dir schon an -- was denkst Du über die Grundgedanken? \glqq Interessante Diskussionen\grqq\ ist keine Kennzeichnung der Thesen. Ich werde ja in meinem UNIFIED SCIENCE einige Frage, wie INDUKTION usw., schlicht und bieder behandeln, ohne Realitätsproblem und ohne alle unnötigen Exkurse. Na ja. ANALYSIS OF SCIENCE (ist gar ähnlich mit ANALYSIS, das die Analytical School herausgibt, STEBBING usw.) ist so akademisch wie LOGIC OF SCIENCE usw. Man kann Redaktion in ENGLISCH machen, auch TITELBLATT. Das ist mir persönlich gleichgiltig. Es hätte einen gewissen Sinn, alle DREI Namen (Deutsch, Englisch, Französisch) aufs Titelblatt zu setzen. Anbei, was ich vorschlage den AUTOREN zu senden, die komplette Sache an die SETZEREI der Enzyklopädie. Herzliche Grüße, alles Beste} \grussformel{Dein\\ON} \briefanhang{BENUTZUNG VON ZEICHEN, ITALICS usw. im Text. \medskip \noindent Ich habe alles durchgelesen und glaube, daß es trefflich überlegt ist. Ich fürchte nur, daß kaum jemand -- ich sicher nicht -- die Geduld hat, sich in diese Anweisungen zu vertiefen. Auch nehme ich an, daß viele Autoren das als Pedanterie empfinden. Ich war verwundert, daß vieles, was sonst der Setzer macht, hier dem Autor zugemutet wird. Ich schlage vor, daß ungefähr diese Anweisungen -- ich will sie noch genau studieren -- dem SETZER DER PRESS als Richtlinien gegeben werden, daß aber die Autoren nur eine Mitteilung bekommen, etwa so: Die Herausgeber haben nach Besprechung mit Fachleuten gewisse gemeinsame Grundsätze für\ldots\ aufgestellt, die nur dann abgeändert werden sollen, wenn ein Autor ganz besondere Gründe hat, eine andere Regelung vorzuschlagen. Zur Orientierung sei mitgeteilt, daß ungefähr folgende Regeln verwendet werden, die der Setzer, sofern der Autor sich nicht schon selbst daran gehalten hat (was wünschenswert wäre), anwenden wird. Und nun folgen einige Grundsätze, die für den gutwilligen Autor genügen.} \briefanhang{An die AUTOREN der Enzyklopädie. Da doch nicht erschöpfend, recht kurz. Mitteilung, daß die Herausgeber und der Drucker folgende Hauptregeln anwenden werden. Ein Mann in der Druckerei müßte die Manuskripte daraufhin durchsehen, das kann kaum ein gewöhnlicher Sterblicher. \ldots\ Compromise \ldots\ some linguistics participated \ldots{} We suggest: \begin{enumerate}[label=\Roman*.] \item SINGLE QUOTES surround an expression which is talked about: The noun `horse' is\ldots If we substiute `3' for `x' in `x is greater than 5'\ldots Let `c' be an abbreviation for `a b' Let `c' designate a b BUT: Lest c be a b \item DOUBLE QUOTES include \begin{enumerate}[label=\alph*.] \item an utterance of some person, a phrase to be marked as literally quoted or the cited title of a paper in a journal or of an essay contained in a book. Russel wrote ``The mind of Leibniz\ldots'' If someone says ``yes''\ldots I doubt whether ``every mathematical concept can be defined within logic'' as X believes. The article of Morris ``Scientific Empiricism'' is published\ldots \item an expression for which the writer does not want to take full responsibility (ironical phrases etc.); an unusual English term (a new one, for instance) or a foreign word not in common use in English: I do not like the term `philosophy' but I wish to ask a ``philosophical'' question. If we analyze these ``deep'' problems\ldots The ``behavioristics'' of science\ldots Let us discuss the ``Entscheidungsproblem''\ldots \end{enumerate} \item ITALICS (in typescript: underlining) is used (sparingly!) if a word, phrase or sentence is of special importance (the German ``\gesperrt{Sperrung}'' does not exist in English and ITALICS cannot be substituted for ``Sperrung''), if the definiendum in a definition has to be stressed, and title of book or periodical. A sentence is called \uline{analytic} if\ldots Lest us use ther term `\uline{analytic}' if\ldots See Morris, ``Scientific Empiricism'', \uline{Encyclopedia}, vol. I, No 2. The class \uline{horse} is\ldots\ therefore we suggest to use the term `horse' in such a way\ldots The relation \uline{greater} is transitive\ldots We write the definiendum in Italics, for instance: ``A sentence is \uline{analytic} if\ldots'' but we do not write terms like `definiendum' or `apriori' or `vice versa' in Italics because they are in common use in English, if not in common use, double quotes may be used. \end{enumerate} \noindent Ich glaube, das enthält alles Nötige und sieht nicht so ``learned'' aus, mit II.4 und III.6 und Verweisen usw. Lieber etwas zweimal im Beispiel sagen. Eventuell noch was weglassen. Ich finde es nicht nötig zu sagen, daß man apriori nicht in ITALICS schreiben soll, weil der Redaktor in der Druckerei einfach die Unterstreichung eliminert auf Grund unserer Regeln. Ich schlage nur vor zu erwähnen, daß auch ungewöhnliche (neue) englische Worte between inverted commas gesetzt werden. Was ist zu tun, wenn ein Zitat in einem Zitat vorkommt: We read in RUSSELL: ``The thesis of Leibniz `A monad does not have windows' explains his opinion very well``. Oder gibts \,\,\,\,\,\,\,\fnA{Leerstelle im Original}? Was ist in amerikanischer Druckerei üblich. Es gibt noch vieles, aber das möchte ich dem Drucker überlassen. Vielleicht läßt Du mir von der PRESS die Anweisungen für SETZER und KORREKTOR schicken, meist ist das gedruckt unter Angabe, wie man Korrekturen ausführt.} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten und 2 Seiten Beilage, \href{https://doi.org/10.48666/846665}{RC 102-54-25} und \href{https://doi.org/10.48666/846672}{RC 102-54-28 (jeweils Dsl. ON 221)}; Briefkopf: gedr. \original{International Institute for the Unity of Science} mit näheren Angaben, msl. \original{18.V.38}; der Text des zweiten Anhangs (,,An die Autoren der Enzyklopädie``, oben msl. \original{An Carnap 18.V.38}) ist nur als Dsl. unter ON 221 überliefert.}