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Lieber Neurath:
Soeben schreibt mir Nagel, daß Du Dich um ein Affidavit bemühst. Ich schließe daraus, daß Du die Einwanderung hieher zumindest vorbereiten willst, um sie dann gegebenenfalls ausführen zu können. Ich nehme an, daß ein Affidavit von Kaempffert genügen wird, weil es ein Verwandter ist. Falls das Konsulat aber ein zweites verlangt, bin ich gerne bereit, Dir eines zu geben. Ich habe kürzlich erfahren, daß ich dazu berechtigt bin, nachdem ich meine „first papers“habe. Falls Mieze keine Verwandten in USA hat und Du kein Affidavit von mir brauchst, bin ich gerne bereit, eines für sie auszustellen. Bitte um Angabe Deiner oder Miezes Geburtsdaten, Geburtsort und Staatsangehörigkeit.
Wir sind in Korrespondenz mit Zilsel, Hollitscher und vielen anderen wegen Affidavits. Ina bemüht sich auch, solche von anderen Leuten zu beschaffen. Falls Du für Mitarbeiter Deines Institutes welche benötigst, schreibe es mir, unter Bekanntgabe der genauen Personaldaten. Wir wollen uns dann für sie mit-bemühen. Es ist aber schwierig, von fremden Leuten eines zu bekommen und weit weniger wirksam als von Verwandten.
Heute früh kam Dein Kabel. Ich habe es sofort mit Morris besprochen. Wir sind sehr froh über diese Möglichkeit für unsere Zeitschrift. Es schweben zwar noch hier einige Verhandlungen mit möglichen Geldgebern, die aber nicht sehr aussichtsreich sind. Wir nehmen an, daß Du gleichzeitig mit dem Kabel einen Brief abgeschickt hast, damit wir nähere Einzelheiten erfahren. Besonders interessiert mich, ob es sich um eine vollständig neue Zeitschrift handelt, oder ob der Verleger die Adressen-Liste von Meiner kaufen wird und damit auch das Recht, die Zeitschrift als „Fortsetzung der Erkenntnis“ zu bezeichnen. In den Verhandlungen mit der „Chicago Press“hatte Meiner erst einen Betrag von ca. MK 6000‚- gefordert, war aber dann hinuntergegangen auf MK 3000‚-, die die „Press“an die Druckerei zahlen sollte als Druckkosten für Heft 2–6 des laufenden Bandes. Will Dein Verleger ein ähnliches Arrangement machen? Ich sende Dir heute ein Kabel, indem ich Dir Morris’ und mein Einverständnis mitteile, damit Du, falls es inzwischen nötig sein sollte, schon die Ermächtigung hast, einen Vertrag abzuschließen. Ich füge aber hinzu, daß wir vorziehen würden, wenn die endgültige Entscheidung herausgeschoben würde, falls das möglich ist, damit wir nach Empfang Deines Briefes die Sache genauer beurteilen können.
Falls zunächst der „Erkenntnis“-Band fortgesetzt wird, haben wir ja reichlich Zeit für die Entscheidung der Einzelheiten der neuen Zeitschrift. Falls aber der Band der „Erkenntnis“nicht zu Ende geführt werden soll, so muß wohl möglichst bald mit der Propaganda für die neue Zeitschrift begonnen werden. In diesem Falle müßten wir uns recht schnell über die Wahl des endgültigen Namens einigen. Dein Vorschlag „Unity of Science“hat einige Vorteile; er betont auch die Beziehung zur Enzyklopädie, andererseits ist er nicht vollständig zutreffend für das weite Gebiet, das in der Zeitschrift behandelt werden soll. Vielleicht müssen wir doch noch versuchen, einen Titel zu finden, der ungefähr der Bezeichnung „Wissenschaftslehre“entspricht, also etwa „Analysis of Science“
Hast Du endlich Nachricht von Deinem Sohn bekommen?
Mit herzlichen Grüßen an Dich und Mieze von uns beiden‚
Dein
Carnap
P. S. Beiliegend Bemerkungen über Anführungszeichen. Wir haben sie lange beraten. Ich hoffe, Du bist damit einverstanden. Andernfalls schreib Deine Meinung. Wenn einverstanden, könntest Du es vervielfältigen lassen? Dann schicke es an alle Autoren, und mir bitte 20 Exemplare. Besten Dank!
Brief, msl., 2 Seiten, ON 221 (Dsl. RC 102-54-34); Briefkopf: gedr. Rudolf Carnap\,/\,Department of Philosophy\,/\,University of Chicago und Chicago, Illinois, msl. ergänzt durch 30. April 1938.