\brief[Neurath an Carnap, Den Haag, 14.~Februar 1938]% {Otto Neurath an Rudolf Carnap, 14. Februar 1938}{Februar 1938} \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{\cutcn{ich bin sehr froh, daß Du mit MORRIS so eingehend alles besprichst. Er ist doch um wichtige Dinge bemüht. Ich glaube wie Du, daß vieles noch nicht klar ist und daß daher eine so straffe Terminologie und Klassifikation Bedenken hat. Ich schreibe das im gemeinsam\ekl{en} Teil. Ich finde, man müßte mit Malisoff vereinbaren können, daß wir bestimmte Teile fix bekommen. Ich schreibe Dir noch ausführlich darüber, vielleicht findet sich hier auch noch eine Möglichkeit. Ich höre, daß in Chases neuem Buch über TYRANNY OF WORD schon die Enzyklopädie vorkommt. Brief an N\AE{}SS bekommst Du bald, möchte ihn ein wenig genauer lesen. Es steht so, in ENGLAND wird diesmal unverhältnismäßig viel gesagt werden, was mit unserer gemeinsamen Meinung weniger übereinstimmt. WAISMANN, SCHOLZ, auch ROUGIER über die Grenzen der intersubjektiven Sprache usw. Na ja. Ich werde halt sehn, daß die Realwissenschaften zu Worte kommen. Helmer kommt sicher, ich hoffe sehr auf HEMPEL, er spricht immer klar und diskutiert gut und kennt doch gerade diesen Teil der Materie vorzüglich. Aber da Braithwaite über Atomsätze usw. reden wird und andere Engländer auch, wäre \ekl{es} eine wunderbare Gelegenheit, sich in großem Kreise auszusprechen. Aber, was nicht geht, geht nicht. Die Kongresse sind wichtig. Wäre MORRIS nicht in PRAG gewesen, vieles wäre nicht entstanden, was uns lieb ist. Übersieh das nicht. Du vergißt Deine eigene Vergangenheit. Die Beziehung HULL-WOODGER hat sich jetzt in Paris angeknüpft usw. Ich finde ja die Bemühungen von HULL und WOODGER\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{(Ja, die Theorie war noch nicht reif. Überhaupt würde ich für solche Fälle nicht-symbolische standardised Wortsprache vorziehen. Mache jetzt Versuche in dieser Richtung. Was hältst Du davon?)}}.} sehr bemerkenswert, aber ich werde eine gewisse Beklemmung nicht los. Ob da nicht etwas Antizipationen mitspielen und manche logische Fassade entsteht. Ich sehe, wie etwa in der Thermodynamik eine lange Vorbereitungszeit nötig ist, um überhaupt Diskussionsmaterial zu bekommen und dann aufzudröseln, was nicht in Ordnung ist. Aber ich möchte WOODGER eine gute Chance geben.} Ach nein, so\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{Wie? (Ich habe 2 Deutungen zur Wahl gestellt)}}.} habe ich das doch nicht gemeint mit \glqq Wissenschaftslogik\grqq . Ich verwende den Terminus so, daß ich sage, MACH\IN{\mach} treibt Wissenschaftslogik der Physik usw., und die Sätze der Wissenschaftslogik sind dann eben Anwendungen der logischen Syntax auf konkrete Wissenschaften, möchte ich meinen. Ob SEMANTIK dabei nötig ist, bleibe offen. Aber mit Wittgenstein\IN{\wittgenstein} hat das gar nichts zu tun. Es fragt sich nur, ob man die Wissenschaftslogik als Disziplin abtrennen kann, sie hat natürlich nur ordentliche Sätze wie die logische Syntax. Aber vielleicht sollte man das Wort Wissenschaftslogik anders, allgemeiner verwenden. Dein Rat wichtig. Wir sind sonst, glaube ich, ganz einig in dieser Sache. Sätze über Sätze usw. \ldots\ sind in Ordnung usw. Logic of Science besagt, daß man Wissenschaften logisch analysiert, so ist wohl unser Kongreßtitel für 1938 zu verstehen, nicht! \neueseite{} \cutcn{Eine große Bitte. LASS DAS KASTEL-SCHEMA in Deinem Aufsatz\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{ja}}.} für Heft~1 weg. Ich glaube nicht, daß es die Einsicht fördert. Ich sehe ja den Text für nicht ganz unbedenklich an, aber Texte sind nicht so bindend wie Schemata. Dann noch ein Moment. Ich habe MORRIS dringend gebeten, von seinem Schema abzusehn, daß für Visualisation noch nicht reif scheint, und es wäre nett, wenn auch Du auf das Schema verzichten könntest. Dann wäre Heft I wirklich eine Einführung. Durch dies Schema bekommt Dein Artikel etwas Gravitätisches. Natürlich ist es ein Sachartikel. Aber dennoch \ldots\ Ich habe selbst auf ein Schema verzichtet, obgleich es mich einigemale gejuckt hat. Du kennst ja mein Schema aus der franz\ekl{ösischen} Brochure usw. Aber, wenn Dein Herz dran hängt, laß es ruhig drin. Roh soll die Separata usw. bekommen. Bitte schreib mir nochmals seine Adresse. Ob sie stimmt, die ich hab, wüßte ich gern.} Unruhige Zeiten. In Eile, Gruß} \grussformel{ Dein\\Nth} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846721}{RC 102-54-52 (Dsl. ON 221)}; Briefkopf: gedr. \original{International Institute for the Unity of Science}mit näheren Angaben, msl. \original{14.\,II.\,38}.}