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Lieber Carnap, lieber Morris!
Glückliches Neujahr!
Ich habe nun das allgemeine Rundschreiben an die Mitarbeiter hinausgehen lassen, obgleich ich noch nicht in der Hand habe, daß wir 250 Subskribenten haben. Aber Morris schrieb mir, daß wir im dritten Hundert sind, das schien mir genug.
BOHR schrieb einen sehr netten Brief, er wird eine Einleitung schreiben, er wird beraten – beides telegraphierte ich, damit man es in den Druck der Prospekte aufnehmen kann.
Eben schrieb mir R. v. Mises, daß er bereit ist, als Mitglied des ADVISORY COMMITTEE zu funktionieren. Bitte seinen Namen einfügen, sobald neuer Druck gemacht wird.
Ich habe der PRESS Muster für die Titel geschickt, aber noch keine Abzüge bekommen, bitte gelegentlich mahnen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Vielen Dank im voraus.
CARNAP’s Mskpt. ist fällig!
Anbei folgt mein Mskpt. Ich sende es, bevor ich es nochmals durchgesehn habe auf das Englisch hin, aber ich wollte die Absendung nicht verzögern, die dadurch entstand, daß ich in Hinblick auf die Mitarbeit von Bohr, Dewey, Russell starke Kürzungen vornehmen mußte. Morris stellte in Aussicht, einer seiner Mitarbeiter könne englische Texte in Ordnung bringen. Ich würde, falls gleich die letzte Feile angelegt werden kann, folgendes dem unbekannten Mitarbeiter zu sagen bitten: ich ziehe den konkreteren Ausdruck immer dem abstrakteren vor, falls zulässig. Manche „eigenartigen“Wendungen habe ich um des Ausdrucks willen gewählt, und bitte – soweit sie nicht direkt antienglisch sind – zu belassen. Was englischem Sprachgeist zuwider ist, muß natürlich weg.
Wir brauchen dringend die Zeitschrift. Ich höre von Brunswik, daß Reichenbach nach USA berufen ist – da wird man ja alles, was seine Abteilung angeht, mit ihm besprechen können. Ich überlege, wie wir in unserer Abteilung die Bibliographie ausbauen können, und bereite Übersichten aus den Wissenschaften vor, da die „allgemeine“Literatur Petzäll macht, eventuell mit uns. Ich sprach mit ihm drüber in Paris. Ich höre, daß er einen Teil der Bibliographie bei Malisoff veröffentlichen will.
Ich höre eben, daß ich vielleicht auf einige Monate nach USA kommen muß. Dann könnten wir die Frage des Visual Thesaurus (ISOTYPE THESAURUS) eingehend besprechen, auch den Ausbau des International Institute for the Unity of Science. Ich sehe bei dem jetzt etwas ausgedehnteren Umgang mit holländischen Gelehrten, wie wertvoll es wäre, wenn wir überall Zweigstellen hätten. In der mathematischen Gesellschaft lernte ich Brouwer und Heyting kennen. Letzterer findet, man habe ihn schlecht behandelt. Ich tröstete ihn und treffe ihn demnächst. Daß er ein Kantianer ist, ist ja traurig.
Ich las wieder einmal D’Alembert. Ich finde, daß wir die Encyklopädisten zu wenig beachten. Daß Voltaire erfolgreiche physikalische Experimente machte, rückt ihn an eine andere Stelle als spekulative Denker.
Bitte zeigt den Kongreß 1938 an. Text folgt anbei.
Zu Heft II (Morris) ein paar Bemerkungen. Ich habe es nun nochmals durchgesehn und möchte meine persönliche Stellungnahme hier nicht erörtern – das würde zu weit führen. Denn, wenn ich einerseits durch meine eigenen kleinen Arbeiten auf dem Gebiete der Logistik, für alles, was die Position der Logik hebt, von vornherein eingenommen bin, so drängt mich irgend etwas zu besonderer Vorsicht, wenn der Gegenstand „Zeichen“mit dem Gegenstand „Nicht-Zeichen“gemeinsam auf der Bildfläche erscheint. Ich weiß nicht, ob Tarski’s Auffassung wirklich sich so einfügen läßt, wie angedeutet. Usw. Aber das ist alles persönlich.
Ich führe viele Gespräche und manche Korrespondenz immer von dem Gedanken an die Enzyklopädie erfüllt und da erfahre ich immer wieder, daß die Sympathie für logische Analyse selbst bei Mathematikern, die sich mit topologischen Problemen, mit physikalischen Anwendungen usw. beschäftigen, nicht groß ist. Es erschütterte mich schon in meiner Jugend, als der Topologe Simony meinen geliebten Schröder verhöhnte. Daher müssen wir als Herausgeber der Enzyklopädie, scheint mir, möglichst den Kontakt unserer Arbeit mit den Wissenschaften aufzeigen. Ich möchte wie zu dem Artikel für Heft I bemerken: wäre es nicht möglich, etwas mehr Kontakt mit den Wissenschaften herzustellen? Jetzt kommt manches wie eine Verteidigung scholastischer Problematik heraus.
Vielleicht könnten die Prognosen, welche die Enzyklopädie betreffen, ein wenig eingeschränkt werden, mehrfach wird darauf verwiesen, daß die Enzyklopädie sozusagen zeigen werde
Gegen den Terminus Science of Science habe ich, wenn er nicht sehr eng definiert wird, Bedenken, da die Unified Science die Vereinigung aller Sätze umfaßt, also auch die science of science, wie immer sie definiert wird. Darüber schrieb ich schon in Hinblick auf das Ende von Artikel für Heft I.
Ich glaube die Gliederung würde gewinnen, wenn man nicht SEMIOTIC einmal im Titel von II und dann im Untertitel wieder hätte, weiter scheint es mir, daß man alles besser verstünde, wenn
geschrieben würde. Außerdem würde ich raten, die Definitionen kurz in die Untertitel mit hineinzusetzen. Natürlich bleibt die Schwierigkeit, daß a. Zeichen zu Zeichen behandelt, während b. und c. Beziehungen zwischen Verschiedenartigem behandeln. Aber das liegt in der Bezeichnungsweise und Gliederung selbst – so scheint mir wenigstens.
Darf ich die Bedenken gegen die Terme „aspect“und „dimension“vorbringen, die doch in keiner anderen Disziplin aufscheinen – in einem Sinn, der dem hier gebrauchten verwandt wäre. Meist verhüllen sie, so z. B. bei Bühler, gewisse Schwierigkeiten.
Daß einzelne Wendungen, wie „the range of things“, „actual existent“usw. mißverstanden werden können, möchte ich nur erwähnt haben.
Vielleicht könnte schon in I.2. mit konkreten Problemen begonnen werden, die zeigen, wie ein moderner Mensch zu den behandelten Fragen kommt. PRAGMATICS liegt in der Luft. Die holländischen Signifiker, die jetzt ein internationales Komitee gestiftet haben – ich will mich bemühen, daß Sie mit ihnen bald in Kontakt kommen –, scheinen in dieser Richtung sehr interessiert zu sein. Freilich ist die ganze Problematik noch im Beginn.
Beispiele zur Logischen Syntax wären erwünscht, und zwar solche, die zu Wissenschaften einen Bezug haben. Ich weiß sehr gut, daß man an beliebigen Beispielen Probleme demonstrieren kann, aber sehe immer wieder, wie schwer die Menschen zu bewegen sind, ein nicht stimulierendes Beispiel durch eins aus ihrem wissenschaftlichen Bereich zu ersetzen.
Es scheint mir, daß z. B. S. 85 die Anwendung auf irgendwelche in den Wissenschaften aktuelle Schwierigkeiten vorangehen sollte der Reinigungsarbeit auf dem Gebiete der Geschichte der Philosophie. Letzteres mag dazu beitragen, uns manche unnötige Gegnerschaft zu ersparen. Man zeigt, was an gewissen metaphysischen Fragestellungen als annehmbar im neuen Rahmen erscheint. Ich finde diese Partie für ein Einleitungsheft noch etwas problematisch, d. h. über diese Eingliederung herrscht wohl noch nicht Einigung. Eigentlich würde manches dafür sprechen, diese Diskussion mehr in die nächste „layer“zu verlegen und hier nur die Frage, ob nicht vielleicht das so ist, anzuregen. Aber darüber hat CARNAP ein besseres Urteil, als ich. Ich hätte Bedenken, daß „psychology“(ich würde anregen, Behavioristics zu sagen, da ja unser Heft so heißen wird, nachdem Brunswik und Næss den Term akzeptiert haben) und „social sciences“in der angedeuteten Art abgegrenzt werden. Man spricht doch von Tierpsychologie und Tiersoziologie auch dort, wo von „Zeichen“nicht gut gesprochen werden kann. Mit dem, was ich in dem Heft Social Sciences sagen werde, stimmt das nicht überein. Ich bemühe mich dort, so umfassend zu formulieren, daß der Fall der Sprach-Verknüpfung als ein Sonderfall erscheint. Krieg, Sklaverei, Vieh- und Gemüsezucht bei den Ameisen sind natürlich nicht dasselbe wie bei Menschen, aber genügend ähnlich, um gewisse Oberbegriffe zu bilden, unter die Ameisen und Menschen in ihrem Gruppenverhalten subsumieren. Auch glaube ich nicht, daß die sozialen Experimente, die mit Affen gemacht wurden, mithilfe von „Zeichen“interpretierbar sind. Ich würde meinen, daß man in Hinblick auf alle Mitarbeiter hier und an anderen Stellen etwas vorsichtiger sein könnte. Wäre es nicht möglich, die HOFFNUNG auszusprechen oder die ERWARTUNG, daß die Entwicklung in eine gewisse Richtung geht?
Besonders im Abschnitt Applications sollten die Anwendungen für einzelne Wissenschaften, wenn möglich, angedeutet werden.
In Bezug auf die Gesamtproblemstellung warte ich voll Spannung auf die weitere Entwicklung. Bin sehr neugierig, was sich z. B. aus Carnaps Seminar ergibt, wo Semantik behandelt wird.
Mit vielen Grüßen in Eile
Otto Neurath
Brief, msl., 3 Seiten, Dsl. RC 102-54-73; Briefkopf: gedr. International Institute for the Unity of Science mit näheren Angaben, hsl. Carnap, msl. 4. Januar 1938, ksl. Enc..