Otto Neurath an Rudolf Carnap, Philipp Frank, Charles W. Morris, 24. November 1937 November 1937

An
„Executive Committee“des International Institute for the Unity of Science

An
„Editors“der Enzyklopädie

CARNAP, FRANK, MORRIS, NEURATH

Besprechungen in NEW YORK haben gezeigt, daß es angezeigt wäre, den alten Plan des PICTORIAL THESAURUS jetzt wieder intensiver zu betreiben. Es scheint mir zweckmäßig und wünschenswert, dies Projekt mit dem der Enzyklopädie zu verbinden, eventuell als besondere Abteilung zu behandeln und dann womöglich im gleichen Verlag herauszubringen.

Der Plan von LEIBNIZ sah vor die unserer Enzyklopädie in gewissem Sinne entsprechende BIBLIOTHECA CONTRACTA (etwas mehr im Sinne der üblichen Enzyklopädien) und ein ATLAS UNIVERSALIS mit Illustrationen und Ergänzungen.

Der als Ergänzung gedachte PICTORIAL THESAURUS wäre in seiner Art visuell ähnlich einheitlich wie unsere Enzyklopädie logisch. Es sollten übersichtlich nach einer Methode dargestellt werden ASTRONOMIE (vor Jahren fanden Vorbesprechungen darüber statt), MINERALOGIE mit GEOLOGIE, KLIMATOLOGIE usw., BOTANIK, ZOOLOGIE, allgemein BIOLOGIE mit BIOGEOGRAPHIE, hinüberleitend zu GESCHICHTE und SOZIALWISSENSCHAFTEN, TECHNIK mit SOZIALHYGIENE usw., auch Allgemeines über PHYSIK, GEOMETRIE usw. Ein solcher Pictorial Thesaurus könnte so gebaut sein, daß die Leser unserer Enzyklopädie, was sie an exemplifizierenden Fakten benötigen, hier finden. Z. B. soziale Korrelationen usw. Unsere Enzyklopädie bringt ja nur das logische Gerüst und wird Beispiele nur erwähnen. Wir können sie nicht ausführlich bringen, ebenso steht es z. B. bei biologischen Fakten, Vererbungslehre usw. Dieser PICTORIAL THESAURUS wäre nicht eine Popularisierung im üblichen Sinne, sondern würde rasch erfaßbares Material enthalten, das ein Gebildeter kennen muß, um sich logisch mit einem Gebiet etwas näher beschäftigen zu können. Viele „Kurven“kann man hier einstreuen, so daß man die Enzyklopädie davon möglichst entlastet. Dieser PICTORIAL THESAUSRUS würde eine in sich geschlossene Sache sein und könnte ebenfalls wie eine ZWIEBEL aufgebaut werden.

Diese Arbeit verlangt größere Geldmittel. Ich habe mit WALDEMAR KAEMPFFERT diese Frage besprochen. Er hält den Plan für nicht aussichtslos und will sich umhören. Ich meine, daß, wenn man beide Pläne: ENZYKLOPÄDIE und PICTORIAL THESAURUS verbindet, man vielleicht auch Mittel für erstere Arbeit bekommen könnte.

Ich hatte Gelegenheit, MEYER SCHAPIRO (Columbia University) über die Möglichkeit zu sprechen, einen Band der Kunst zu widmen, mit „physikalistischer“Analyse von Stilarten usw., dazu natürlich soziale Eingliederung der Kunstereignisse usw. Er brachte eine Menge vor, was unmittelbar verwendbar ist, abgesehn davon, daß wir von früher her schon Material haben. Dies Beispiel zeigt, welch neuartige Dinge in dem Thesaurus vereinigt würden.

Man sollte, meine ich, mit der PRESS darüber erst sprechen, bis man sieht, daß die Subskriptionen gut einlaufen. Es müßte nicht sein, daß der THESAURUS im gleichen Verlag erscheint, es wäre aber für die Propaganda besser. Viele Bibliotheken würden ihn kaufen, wenn man ihn in geeigneter Weise anbietet. Übrigens hat die Große Französische Enzyklopädie auch einen Bilderatlas gehabt.

Es wäre wichtig, rasch die Stellungnahme unseres kleineren Kreises zu kennen.

NEURATH

Brief, Dsl., 1 Seite, RC 102-51-06; Briefkopf: msl. Carnap, hsl. 24.11.37, am Briefende msl. 24. November 1937; Signatur msl.


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