Neurath an Carnap, o. O., 25. Juli 1937 Otto Neurath an Rudolf Carnap, 25. Juli 1937 Juli 1937

BEMERKUNGEN zur PRIVATDISKUSSION.

Lieber Carnap!

Ich habe den Eindruck, daß auf einige meiner Bemerkungen nicht eingegangen wurde. Nun steht es Dir natürlich frei, einzugehen oder nicht einzugehen, ich möchte aber nur ungern, wenn Du gesprochen hast, alles aufrollen. Wenn ich hingegen an Dich Fragen stelle, dann ist alles harmloser. Ich habe z. B. den dringenden Wunsch, daß Du, dessen Äußerungen von vielen sehr hoch eingeschätzt werden, einmal ausdrückst, 1. wie Du zum alten Ausgangspunkt der Wahrheitsdiskussion stehst, der in zahlreichen Artikeln von JUHOSPJuhos, Béla, 1901–1971, ung.-öst. Philosoph bis VOGELPVogel, Thilo, *1903, dt. Philosoph auftritt‚ und wie Du 2. die Gefahr der Interpretation ansiehst, die PARIS 1935aOriginal 1937.1Hier muss es sich um einen Schreibfehler handeln, gemeint ist wohl der Erste Kongress für Einheit der Wissenschaft in Paris 1935; der Dritte Kongress für Einheit der Wissenschaft (Enzyklopädiekonferenz) fand von 29. – 31. Juli 1937 statt.1Im Original fälschlich „1937“. klar sichtbar war.

S. 4 gibst Du mich nicht richtig wieder. Ich habe früher einmal gesagt, daß man „ist wahr“ ersetzen könne durch: „ist ein von uns anerkannter Enyklopädiesatz“. Das meine ich auch heute noch. Wenn ich aber einmal auf den Wunsch eingehe, den „semantischen Wahrheitsbegriff“ durchaus im Sinne TARSKI’sPTarski, Alfred, 1901–1983, poln.-am. Mathematiker und Logiker zu verwenden, dann schlage ich eben S. 3 und 4 meines Elaborats vom 12. Juli vor (was ich heute wiederhole), sozusagen alles in „Klammern“ zu setzen und immer davor zu sagen: Enzyklopädiesatz. Nur daß einmal ausgesagt wird, daß die Bezeichnung gegeben ist, das andere Mal, daß das Ding gegeben ist. Nun wirst Du fragen, welchen Vorteil das hat. Zwei Vorteile, einmal verschwindet der Schein, daß ein Realsatz „absolut“ sei, während der Satz, der über Ausdruck spricht, demgegenüber „wahr“ oder „falsch“ sei, denn nun sind beide Elemente eingefügt in Enzyklopädiesätze einer bestimmten Zeit.

Ich glaube, am nettesten wird es sein, wenn ich nicht LUTMANPKokoszynska@Kokoszyńska-Lutman, Maria, 1905–1981, poln. Logikerin antworte, sondern HEMPELPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel. Ich würde das genau vorher besprechen. Mir scheint, daß Dein Friedensvorschlag nicht ganz deckt, was ich zum Frieden beitragen möchte. Nämlich:

1. SEMANTIK außer Diskussion, soweit sie KalkülanalysebKalkulanalyse betrifft.

2. „Wahrheitsbegriff“: in Umgangssprache und Realwissenschaften „suspendieren“ wir die Entscheidung, bis an irgend welchen belangreichen Beispielen gezeigt wird, daß für diese „Ausdehnung“ des „semantischen Wahrheitsbegriffs“ über die formalisierten Sprachen hinaus eine Notwendigkeit besteht.

Gruß
Nth

Brief, msl., 1 Seite, RC-UCLA 5-20; der Brief ist undatiert, die Datierung folgt dem Datum der Beilage (siehe Anm. ).


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