\brief{Otto Neurath an Rudolf Carnap, 17. Juli 1937}{Juli 1937} \anrede{Lieber Carnap!} \haupttext{ Es war sehr weise von Hempel meine Briefe nicht nachzusenden. Ich beantworte alle Punkte: ZUR ENZYKLOPÄDIE. Ich bin sehr froh, daß Du mit allem einig gehst. Ja, wir benötigen dringend Geld für die Enzyklopädie, weil wir \uline{sehr viel Vorarbeiten} machen müssen. Du siehst, alle die, welche bisher Geld gegeben haben, bekommen die ersten zwei Bände\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{Es muß doch bestimmt werden, für wie viel Beitrag!}}.} von uns gratis, den nächsten Gebern werden wir auch was Nettes geben, entweder die weiteren Bände, oder irgend welche Publikationen, die unser Institut in Verbindung mit der Enzyklopädie herausbringt. MALISOFF hat mir regelmäßig Raum zur Verfügung gestellt, vielleicht kriegen wir auch sonstwo Raum. Da kann man dann Separata bestellen und allen \glqq Gönnern\grqq\ zusenden. Übrigens sind schon Gelder eingeflossen. Wir werden ja bald mit der Enzyklopädie eine recht schöne Position in der wissenschaftlichen Welt einnehmen. Ich glaube, daß nicht der geringste Zweifel darüber besteht -- es sei denn, daß Krieg oder sonstwas passiert [--], daß irgend etwas über die nächsten zwei Bände hinaus erscheint und wäre es zunächst nur irgend ein bestimmter Band, den wir wieder weise zusammenstellen. REICHENBACH. Mir ist sehr lieb, daß Du so vollständig meine Haltung in dieser Sache billigst. Ich bin sehr froh, daß Du auch weiter das Prinzip verteidigst, daß die ersten 20 Hefte nicht dazu da sind, unsere speziellen Steckenpferde zu reiten, soweit man Bedenken gegen sie hat. Wenn wir von diesem Prinzip abgehen, zerstören wir völlig die Autorität unserer Enzyklopädie. Wenn Gegensätze auftreten, dann müssen sie gemanaget auftreten -- planvoll vorgeführt, ab Heft 21. Ich möchte nur betonen, daß ich -- mein bekanntes Temperament in allen Ehren --, wenn ich \uline{eine Sache oder eine Gruppe zu vertreten habe}, also nicht persönlich auftrete, immer bemüht bin, meine eigenen Empfindungen und Empfindlichkeiten möglichst auszuschalten. Ich habe dazu in der Dir ja bekannten Vergangenheit reichlich Gelegenheit gehabt. Ich habe daher auch sofort mich bereit erklärt, meinerseits vom Institut aus dafür einzutreten, daß REICHENBACH eine Aktionsmöglichkeit bekommt, obgleich ich Grund zur Annahme habe, daß er, in gleicher Lage, mir gegenüber sich nicht so verhalten würde. Leider hat er diese Verstimmung ausgebaut, auch ROUGIER, der ja immer \glqq gallisch-hachelik\grqq\ ist, aufgemutzt. Während aber ROUGIER, durch französische Liebenswürdigkeit gebändigt, seine Unfreundlichkeiten -- um nicht einen schärferen Ausdruck zu gebrauchen -- so zum Ausdruck bringt, daß er ohne wesentliche Schwierigkeiten wieder einlenken kann, falls man ihm diamantene Brücken baut und Schlagsahne serviert, ist REICHENBACH's Permanenz und -- in diesem Falle besonders entwickelte -- deutsche Gründlichkeit viel schwieriger zu behandeln. Wenn ROUGIER und REICHENBACH, wie schon PARIS 1935, beisammen sind, sind sie ein Paar, das unendliche viele Pläne ausheckt, da jeder von beiden vielerlei Pläne hat, die zum Teil verknüpfbar sind. Nun ists ja jedes Menschen Recht, sich um seine Karriere zu kümmern, wie ers für gut findet. Aber es ist nicht jede Bewegung geeignet, all diese merkwürdigen Wendungen und Wandlungen mit"-zumachen, die vor allem Gesamtstrategie und Taktik betreffen. Ich glaube, daß REICHENBACH möglicherweise es für besser hält, mal nicht zu eng mit uns liiert zu erscheinen -- das würde ja seinen scharfen Angriff in USA erklären, der ohnehin in abgeschwächter Form gedruckt wurde, und die Betonung eines besonderen deutschen Positivismus, während wir doch jetzt UNITY OF SCIENCE betonen und unseren lieben, guten Wiener Kreis mehr als Kriegsdekoration bei festlichen Gelegenheiten vorhängen. \neueseite{} Aber ich habe nicht das geringste dagegen, sondern alles dafür, REICHENBACH umzustimmen und fahre direkt kompromißlüstern nach LUTETIA und ohne mir als Vorbereitungslektüre etwa \glqq Bellum Gallicum\grqq\ von Cäsar einzupacken. Wie fängts nur an: Gallia omnis est divisa in partes tres, quarum unam incolunt\ldots\ Ich habe ihm ja, wie Du sahst, \uline{nach} der definitiven Absage eine Einladung in aller Form geschickt, damit er 1. Dem ADVISORY COMMITTEE angehört, 2. Einen Beitrag über INDUCTION usw. liefert, in dem er seine eigene Theorie beliebig zugespitzt vortragen mag, als Counterpart eines oder mehrerer anderer Beiträge. Die 20 Hefte sind aber jetzt komplett, auch hat seine ganze Haltung gezeigt, daß wir von ihm in Kooperation nur Schwierigkeiten zu erwarten haben, während (mit Ausnahme von ROUGIER, der ein Heft über RATIONALISM schreiben will, obgleich es gar nicht hineinpaßt -- FROM RATIONALISM A PRIORI TO EMPIRICISM ist ja, wie ich schon mitteilte, eine Kompromißlösung. MORRIS, der gute, meint, man müsse doch ROUGIER dazu bringen können, etwa älteren Empirismus mit zu behandeln, während er, Morris, gern dann was anfügen würde über Scientific Empiricism. Na hoffen wirs Beste. Ich bin schon froh, daß nicht ROUGIER auch ausgesprungen ist, da er mir ja schrieb, wie sehr er REICHENBACHS Haltung verstehe und daß ich in meiner eigenen Enzyklopädie natürlich machen könne, was ich wolle usw. Aber er hat \uline{nicht} die Mitarbeit abgesagt, ist \uline{nicht} aus dem Organisationskomitee ausgetreten. Er wartet still ab --- so jetzt geht mein Satz weiter, das war Nonpareille unter dem Strich) alle anderen Mitarbeiter in geradezu unerwartetem Ausmaß entgegenkommend und nett sind, Brunswik z.\,B. schreibt mir seitenlange Briefe, um über Psychologie zu orientieren -- er ist übrigens durchaus dafür, das Heft BEHAVIORISTICS zu nennen, was mich nicht wundert, da ja auch TOLMAN den Ausdruck nicht übel fand -- ŁUKASIEWICZ hat nach längerer Pause, er hat ja seine neurasthenischen Hemmungen, wie er schrieb, einen entzückenden Brief geschrieben. Mit ENRIQUES bin ich in Kontakt gekommen und glaube, daß das gut weiter gehen wird. Anbei eine \uline{LISTE} derer, die wohl kommen werden, es ist alles noch unsicher, aber ein Teil hat schon gezahlt. FRANK ist sehr dafür, so gut wie alle zu den Privatbesprechungen einzuladen. Ich glaube, es sind bis auf zwei oder drei fast nur Leute, die wir kennen oder [die] Bekannte unserer Bekannten sind -- wir haben ja schon viele. Ich komme am 27. nach \uline{BRÜSSEL}, ob auch FRANK werde ich umgehend von ihm erfahren. Bitte billige Zimmer für uns in nächster Nähe von HEMPELS und EUCH nehmen. Wenn nicht ganz billige, dann: lieber teurer als weiter weg. Sozusagen innerhalb der Taxi-Preis-Goldpunkte, wenn Du diesen erhabenen Notenbanktechnischen Witz richtig würdigst. Für mich mit Euch jedenfalls Platz im Wagenabteil (ich hoffe, das ist korrekter als all die französisierenden Mischworte) reservieren. Es wird in PARIS keine \uline{ERÖFFNUNGSSITZUNG} sein. Ursprünglich wollte ROUGIER einen Thee einrichten, dann aber fiel ihm ein, daß das zu sehr nach \glqq Kongreß\grqq\ aussieht und so wurde der mir ohnehin sehr unsympathische Thee gestrichen. Außerdem schrieb mir ROUGIER -- ich hoffe es ist inzwischen seine Seele milder geworden, da er ja einige Zeit von Reichenbach entfernt war --, er werde nur erscheinen, um die Gäste in den Räumen in Empfang zu nehmen. Alles aus Empörung darüber, daß der TERMINUS \glqq III. Kongreß\grqq{} unglückseligerweise gefallen ist. Die Korrespondenz über diese völlig nichtige Sache reicht an die mit REICHENBACH heran. Oh CARNAP, CARNAP! Wie sehr lernt man in solchen Funktionen die Menschen kennen. Wenn ich denke, wie ich als Sekretär der \hbox{Goethe}gesellschaft in Wien diese Art von Geschäften begonnen habe. Als \glqq Direktor\grqq\ von Museen und anderen Instituten mußte ich auch allerlei Eiertänze aufführen, aber da ist man ja sozusagen in der \glqq entscheidenden\grqq\ Position und daher lernt man nicht so genau, wie die Menschen einen kränken und ärgern können und welche \glqq Spitzen\grqq\ sie einflechten, wie sie jeder Rose wohlgepflegte Dornen beifügen usw. (Siehe Briefe von Reichenbach, manchmal sinds schon Gall"-äpfel deutscher Wälder und Keulen nebst Schächtmesser seiner beiderseitigen Vorväter). Aber als \glqq Generalsekretär des österreichischen Siedlerverbandes\grqq\ habe ich auch allerlei mitangesehn, wenn auch nicht immer gerade ich in der \glqq Schußlinie\grqq{} war. Die feine Auseinandersetzung BOLL-ROUGIER, die ich jetzt viel besser würdigen kann, geführt in Termini, die nicht alle in unserem großen französischen Lexikon drinstehen, war ja eine gute Einführung in die gallische Technik. Schade, daß mein in USA erscheinendes Buch über unser Zeitalter nicht auch die Verhaltungsweisen so im Detail behandelt. \neueseite{} \glqq ERKENNNTNIS\grqq\ ein schwieriges Kapitel. Wir müßten sowohl von der ENZYKLOPÄDIE als auch vom INTERNATIONAL INSTITUTE FOR THE UNITY OF SCIENCE aus dazu Stellung nehmen. Da wir erst in Paris darüber werden sprechen können (wo ja außer MORRIS das ganze ORGANIZING COMMITTEE der Enzyklopädie anwesend ist), so will ich heute nur meine persönlichen Eindrücke mitteilen: Jeder von uns hat sicherlich es sehr angenehm empfunden, daß er in der ERKENNTNIS ein Organ hatte, in dem er mühelos zu Worte kam, auch nachdem der VEREIN ERNST MACH und die GESELLSCHAFT FÜR WISSENSCHAFLTICHE PHILOSOPHIE, BERLIN nicht mehr die Träger der Zeitschrift waren, sondern CARNAP und REICHENBACH. Wir haben teils in extenso, teils im Auszug alle unsere Tagungen seit 1929 dort publiziert. (Auch die PARISER TAGUNG 1937 soll dort erscheinen, wenn wir gemeinsam der Meinung sind, daß sie genügend Material bringt. Das ist wohl sicher, denn wir haben mit einem einführenden Diskussionsreferat von BRUNSWIK zu rechnen, ebenso mit einem von ENRIQUES, dazu kommen konkrete Berichte über den Fortgang der Enzyklopädie, es sind bereits Skizzen zu einigen Heften eingetroffen, andere angekündigt. Ich selbst werde eine Übersicht über das bisher Durchgeführte und Geplante geben. Die beiden \glqq Privatdiskussionen\grqq\ können -- soweit die Hauptbeteiligten zustimmen -- auch im Auszug und in ihren Ergebnissen mitgeteilt werden. In den anderen Fällen ist eine solche Zustimmung nicht nötig, weil ja die Konferenz \glqq öffentlich\grqq\ ist.) Wir benötigen wohl unbedingt eine permanente Möglichkeit, unsere Enzyklopädieprobleme zu besprechen. Es läuft so viel Interessantes ein, es gibt so viel an Literaturinformationen usw., was einen großen Kreis interessiert, daß man an Publikation denken muß. Es war ein gewisser Mangel der ERKENNTNIS, daß sie nicht mehr wie früher mit lebendigen Körpern in Verbindung stand, die ein Eigenleben führten. Gelegentliche kritische Bemerkungen Berufener über die Erkenntnis erklären sich wohl daraus. Wir kennen alle die Schwierigkeiten viel zu gut, unter denen die ERKENNTNIS redigiert wird, um das jemandem zum Vorwurf zu machen. Aber die Enzyklopädiearbeit ist aktives Leben, sie bringt mehr aktuelle Dinge nach vorn als irgendeine andere Tätigkeit innerhalb unserer Bewegung. Wenn ich nur bedenke, was für wertvolle Literaturübersichten ich zur reinen Orientierung im Interesse der Herausgabe zugeschickt bekomme, die man ein wenig ausgebaut und vorsichtiger gefaßt veröffentlichen könnte. Dazu kommen die ernsten Auseinandersetzungen über Zusammenhänge, wissenschaftslogische Fragen usw., die sozusagen in die \glqq Vorhalle\grqq\ gehören, aber nicht in das Hauptgebäude. Ich dachte an periodische Publikationen der ENZYKLOPÄDIE, die unser INTERNATIONAL INSTITUTE FOR THE UNITY OF SCIENCE herausbringen könnte. Natürlich soll man so was nicht übereilen. Ich habe zunächst von MALISOFF die Zusage, daß wir in der PHILOSOPHY OF SCIENCE regelmäßig eine Rubrik bekommen. Aber es ist noch nicht klar, wie sich das entwickelt. Für USA hat MALISOFF immer mehr und mehr sich als ein Organ erwiesen, das uns eine gute Plattform gibt. CARNAP, FEIGL, FRANK, NEURATH usw. publizieren dort, auch BRUNSWIK usw., ich habe nicht alle Nummern durchgesehen. Für EUROPA stand bisher die ERKENNTNIS für diesen Zweck zur Verfügung. In der THEORIA sind wir nur Gelegenheitsgäste, wenn auch freundlich behandelte Gelegenheitsgäste. Aber in Wirklichkeit interessiert man sich dort weniger für WISSENSCHAFT und WISSENSCHAFTSLOGIK als für ERKENNTNISTHEORIE und PHILOSOPHIE. Das neue INSTITUT INTERNATIONAL DE COLLABORATION\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{Petzäll}}.} PHILOSOPHIQUE, mit dem wir sicherlich gute Beziehungen unterhalten werden, zeigt in seinem BOARD OF DIRECTORS deutlich seine \glqq Richtung\grqq , es ist im ganzen eine rein philosophische Bemühung, die irgendwie der Erkenntnistheorie und Philosophie \uline{neben} und vielleicht \uline{über} den Wissenschaften einen Platz schaffen will, dabei sicherlich unseren Bemühungen interessiert gegenüberstehend. Aber die Diskussion wird von dem entscheidenden Punkt aus, nicht wie bei uns in die WISSENSCHAFT hinüberzugelangen trachten, sondern in die \glqq REINE\grqq\ PHILOSOPHIE. Auch die ANALYSIS kann nicht als Dauerstätte für uns angesehn werden. MORRIS meinte auch, man solle nicht übereilen und zunächst sich mit der Rubrik in PHILOSOPHY OF SCIENCE begnügen. Ich habe zunächst eine kurze Einführung über die Enzyklopädie verfaßt und eine kurze Erörterung von JØRGENSEN's enzyklopädische Einführungsvorlesungen, mit der Bitte an Morris, selbst auch etwas hinzuzufügen. Durch die neu geschaffene ERKENNTNISSITUATION, die durch MEINER's Brief wesentlich klar zu sein scheint, wird man zu gewissen Entschlüssen gedrängt. Ich fasse zusammen: 1. Das Weiterverbleiben von REICHENBACH in der Herausgeberschaft gilt als \glqq untragbar\grqq . Es wurde Meiner \glqq aufgegeben\grqq, einen Nachfolger zu suchen. \glqq Auf meinen Hinweis, daß die von der Erkenntnis verfolgte Richtung in Deutschland nicht viel Anhänger habe und der \neueseite{} Hauptteil der Aufsätze wie der Abonnenten im Auslande sich befinde, wurde mir zugestanden, daß gegebenenfalls auch ein Ausländer als zweiter Herausgeber eintreten könne.\grqq 2. \glqq Die erste Antwort Prof. R\editor{eichen}b\editor{ach}s lief dahin hinaus, daß er ein Ausscheiden aus der Herausgeberschaft nicht in Betracht zöge, sondern vorzöge, einen ausländischen Verleger für die Zeitschrift zu suchen. Das wäre für mich natürlich wenig erfreulich, da es einen Verzicht auf die Realisierung des Wertes bedeuten würde, den die Zeitschrift im Lauf der Zeit bekommen hat, trotzdem sie auch heute noch keine Überschüsse abwirft.\grqq 3. Es scheint, daß vorläufig von einer Beschränkung der Autoren und Artikel keine Rede ist. Ich habe bisher mich immer dafür ausgesprochen, daß die ERKENNTNIS solange irgend möglich in Deutschland bleibt, so wie ich auch die Sammlung EINHEITSWISSENSCHAFT in Österreich erscheinen lasse. Ich bin dagegen, Brücken früher abzubrechen als nötig ist, solange man zu keiner Abänderung von Texten gezwungen wird. Bis jetzt hat man weder in Deutschland noch in Österreich in diesem engeren Sinne \glqq Zensur\grqq\ geübt, wenn wir natürlich selbst nicht gerade alles, was wir zu sagen hatten, in diesen beiden Ländern sagen mußten. Ich würde sehr dafür sein, wenn der Fortbestand der ERKENNTNIS möglich ist, sie als internationale Zeitschrift weiter zu führen. Dieser Grundgedanke kommt im folgenden umfassenden Vorschlag zum Ausdruck. Es ist ganz klar, daß REICHENBACH wieder die Möglichkeit haben muß, als Herausgeber einer Zeitschrift zu fungieren. So wie früher VEREIN ERNST MACH und GESELLSCHAFT FÜR WISSENSCHAFTLICHE PHILOSOPHIE als \glqq Träger\grqq{} fungierten, könnte jetzt das INTERNATIONAL INSTITUTE FOR THE UNITY OF SCIENCE als \glqq Träger\grqq\ fungieren, und, wie ich schon unabhängig vom Meiner Brief anregte (ich meinte damals noch, daß der Bestand der ERKENNTNIS gefährdet sei), auch ein wenig finanziell Beihilfe leisten, wenn eine neue Zeitschrift gegründet würde. Da ich jetzt durch Meiners Brief orientiert bin, lautet mein Vorschlag, den ich dem BOARD OF DIRECTORS des INTERNATIONAL INSTITUTE FOR THE UNITY OF SCIENCE vorlegen möchte, folgendermaßen: Es werden ZWEI Zeitschriften in Aussicht genommen mit \glqq gekoppeltem Abonnement\grqq , d.\,h. wer Abonnent der einen ist, bekommt die andere wesentlich billiger. Beide gleich an Format und Ausstattung. Sie könnten beide in Deutschland gedruckt werden, wenn auch die eine einen anderen Verleger hätte, so daß MEINER die Druckdurchführung kontrollieren könnte. MEINER hat sich als vorzüglicher Verleger und Organisator erwiesen. Alles erledigt er prompt, entgegenkommend, vorausschauend, während wir z.\,B. mit HERMANN \& CIE wirklich schlechte Erfahrungen gemacht haben. Auch finde ich, daß jemand wie MEINER, der so lange unsere Sache verlegt hat, sozusagen den moralischen Anspruch darauf hat, \uline{wenn er es wünscht} -- und er wünscht es --, von uns nicht im Stich gelassen zu werden. Als Herausgeber der neuen Zeitschriftengemeinschaft hätten einfach die Mitglieder des ORGANISATIONSKOMITEES DER KONGRESSE zu fungieren. Das gäbe diesen Zeitschriften von selbst eine gewisse Autorität und wäre der Abonnentenwerbung günstig. Wir würden dann eine sehr wirksame Plattform haben. Ich denke, daß wir drei Gruppen von Arbeiten unterscheiden müssen, die von den Mitgliedern des Organisationskomitees zu leisten wären (sozusagen drei Subredaktionen, was in diesem Fall sehr nützlich wäre): A. ERKENNTNIS. Herausgegeben von CARNAP und STEBBING. Gegenstand etwa: Reine und angewandte Logik, also inklusive Wissenschaftslogik. Vielleicht kann man erreichen, daß etwas mehr Reichsdeutsche als bisher mitarbeiten, etwa BEHMANN, SCHOLZ usw. BACHMANN etwas öfter usw. Sonst aber soll die Mehrsprachigkeit und der internationale Charakter völlig gewahrt bleiben, vor allem, weil gerade dieser Umstand die Lage MEINER's \uline{erleichtert}. Auf eine an sich internationale Zeitschrift wendet man, wie aus MEINER's Brief hervorgeht, nicht die strengen Bestimmungen über Mitarbeiter usw. an. Ich bin aber absolut dagegen, einen reichsdeutschen Mitherausgeber zu wählen, weil der ja in die peinlichsten Lagen kommen kann und voll Sorgen gezwungen sein wird, ZENSUR auszuüben. MEINER übernimmt sein Risiko sehenden Auges. Er ist nicht verantwortlich für die Aufsätze und man würde ihn wohl schlimmsten Falls höchstens auffordern, die Herausgabe einzustellen. Ein reichsdeutscher Herausgeber dagegen ist \uline{verantwortlich} für die ERKENNTNIS und das ist nicht so einfach. \neueseite{} B. ZEITSCHRIFT MIT NEUEM TITEL (gekoppelt mit Erkenntnis) mit besonderem Verleger. Es könnte natürlich, wenn MEINER es wünscht, jede Zeitschrift \gesperrt{\uline{zwei Verleger}} haben, wie mir Dr. NEIDER mitteilte. Das entspräche etwa der Publikation des Kopenhagener Kongreßberichtes, der zwei Verleger hat. Die SCIENTIA z.\,B. hat einen deutschen Verleger, neben den Verlegern in Italien, Frankreich usw. Es könnte auch MEINER Mit-Verleger der ausländischen Zeitschrift sein, die wir machen, und für die ERKENNTNIS Alleinverleger bleiben. Ich glaube, man müßte ihm da entgegenkommen, soweit es geht. Abteilung I. Allgemeines, soweit nicht durch \glqq ERKENNTNIS\grqq\ und Abteilung II behandelt. REDAKTEURE: JØRGENSEN, REICHENBACH, ROUGIER. Da REICHENBACH in USA eine nicht eben sehr freundliche Haltung uns gegenüber eingenommen hat und offenbar sich etwas separieren will, hätte er hier die Möglichkeit einer relativen Unabhängigkeit. Wenn er freilich um jeden Preis sich von uns loslösen will -- was ja nicht als ganz ausgeschlossen gelten kann --, dann wird er all solche Pläne ablehnen und sich eine ganz unabhängige Position sichern wollen. VEDEREMO. Aber ich bin dafür, mit ihm als jemandem zu verhandeln, der zu uns gehört und dem wir eben zu helfen haben, wie es ihm \uline{und} der Bewegung nützt. Abteilung II. UNITY OF SCIENCE. Bringt vor allem, was mit der ENZYKLOPÄDIE zusammenhängt, vielleicht alles, was das INTERNATIONAL INSTITUTE FOR THE UNITY OF SCIENCE treibt. Es wird ja allerlei hinzukommen. Man könnte hier auch aufnehmen die Berichte über die KONGRESSE (manchmal in extenso, manchmal nur im Auszug. Ich nehme z.\,B. an, daß der USA-Kongreß in extenso in den U.S. erscheinen wird, manchmal im Auszug, den aber die Redner beizustellen hätten). Hier würde wohl auch die BIBLIOGRAPHIE fortgesetzt, die wir seit Jahren in unserem Institut sammeln und bisher in der ERKENNTNIS veröffentlichen. Vielleicht aber könnte man gerade die ERKENNTNIS auch in Zukunft für KONGRESS-BERICHTE und BIBLIOGRPHIE verwenden. Wir können ja Separata bekommen, so viele wir für unsere Zwecke brauchen! Redakteure: FRANK, MORRIS, NEURATH. ZEITSCHRIFT A und B zusammen sind dann redigiert von CARNAP, FRANK, JØRGENSEN, MORRIS, NEURATH, REICHENBACH, ROUGIER, STEBBING. Die Gruppen der Subredakteure sind so gebildet, daß sie fein zusammenpassen. Die Abteilung II der Zeitschrift B wird aus dem EXECUTIVE COMMITTEE des Instituts zusammengesetzt. ROUGIER kommt ohnehin immer mehr unter den Einfluß von REICHENBACH, da können sie sich zusammen betätigen, leicht gehemmt durch JØRGENSEN, der mit ihnen sicher keinen Zank anfängt. STEBBING ist gänzlich unpolitisch (was man von JØRGENSEN nicht sagen kann) und als englische Lady, Dean eines weltlichen Klosters usw., rassenreiner Bäuerinnentyp (Photo beilegen) zusammen mit dem rassenreinen Carnap, von dem der neue Meyer nichts Böseres weiß, als daß er die Philosophie logisiert (auch die anderen deutschen Publikationen behandeln ihn mehr als logischen Schwärmer), sicher geeignet uns zu repräsentieren. Im ganzen würde mir diese Lösung der gekoppelten Zeitschriften mit dem ORGANISATIONSKOMITEE als Redaktion als treffliches Kompromiß erscheinen. MEINER bekommt, was er haben möchte. REICHENBACH ist wieder \glqq Heraus"-ge"-ber\grqq -- wenn auch nicht so allmächtig wie früher, aber das muß ja nicht unbedingt sein -- und kann sich in seiner Art betätigen. Und wir sind nicht genötigt, ein eigens PERIODICUM aufzurichten, das der ENZYKLOPÄDIE und dem INTERNATIONAL INSTITUTE FOR THE UNITY OF SCIENCE dient. Der alte Plan, die ERKENNTNIS nach USA zu verpflanzen, scheint mir jetzt nicht mehr so gut, seit MALISOFF uns so sehr entgegenkommt. Nicht als ob ich die PHILOSOPHY OF SCIENCE als \glqq unsere\grqq\ Zeitschrift ansehe oder MALISOFF als einen Vertreter unserer Auffassung. Aber in den U.S. hat man nicht so \glqq Schul-Auffassungen\grqq\ wie hier, so strenge \glqq Richtungs-Ideen\grqq, und ich weiß nicht, wie die \glqq Erkenntnis\grqq\ sozusagen als Konkurrenz aufgefaßt würde. Eine ENZYKLOPÄDIE-PUBLIKATION wäre eine \glqq Zweckpublikation\grqq . Das ist was anderes. Aber das wird ja MORRIS uns alles genauer sagen können. Das wäre eine Lösung, die MEINER unangenehm wäre und uns die EUROPÄISCHE Position entzöge, die mir wichtig scheint. In den U.S. haben wir bessere Möglichkeiten als hier, wo nur die THEORIA und die ANALYSIS bleiben. Das ist recht wenig. Die ANALYSIS ist für einen kleinen Kreis und die THEORIA doch etwas zu weit weg von uns (außer ENRIQUES ist niemand aus unserem \glqq weiten\grqq{} Kreis im Vorstand des Instituts von PETZÄLL, der mit den internationalen Philosophenkongressen sich liiert, mit denen wir ja \glqq gut\grqq\ stehn -- aber es ist was Fremdes). Das ist also mein Rat, ehe ich mit unseren Freunden gesprochen habe. \neueseite{} Eben zurückgekommen von Olga. Es geht nicht gut. Ärzte sehr besorgt. In nächsten Tagen wird sich zeigen, ob aufgetretene Verschlechterung bedrohlich ist. Zweifelhaft, ob ich komme. Es ist furchtbar -- alles schien gut zu gehn. Ich sende den Brief ab, der für Dich ja wichtig ist. Im übrigen wünsche ich sehr, daß, falls ich nicht komme, alles beim alten bleibt im Kongreßbetrieb. Die KONFERENZ ist ja ohnehin nicht als Kongreß mit Beschlüssen gedacht und außer REICHENBACH ist wohl niemand da, der Interesse an Änderung hat. Wir sollen Enzyklopädie zusammen mit Kongressen ausbauen, ruhig und gelassen. Wir haben jetzt Büro- und wissenschaftliche Hilfe. Am 28. muß jemand reden, \gesperrt{nicht} Begrüßung, einfach BEGINN der Tagung, aber nur allgemeine Fragen, also SYMBOLIK (Carnap), ENZYKLOPÄDIE (Frank, falls ich nicht komme), eventuell ENRIQUES, wenn schon da. Bitte schreib Boll sofort, daß wir -- ich, falls ich überhaupt komme -- erst gegen 1\textsuperscript{h} 15 bei ihm sein können. Ich habe oben den Abschnitt über die ERKENNTNIS so abgefaßt, daß ich Durchschlag weiter verwenden kann (MORRIS usw.). Da aber MEINER-Brief erwähnt, erbitte ich Deine Zustimmung.\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{ja}}.} Deshalb auch einige Wiederholungen. Natürlich wird durch Hempels Euer Leben erfreulicher -- sie sind ja beide so nett. } Innige Grüße an Euch vier \grussformel{Dein\\Nth} \ebericht{Brief, msl., 6 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846244}{RC 102-51-32 (Dsl. ON 221, mehrere Seiten mehrfach vorhanden)}; Briefkopf: gedr. \original{International Institute for the Unity of Science} mit näheren Angaben, msl. \original{17.~Juli 1937}.}