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Lieber Carnap, lieber Morris!
Diesen Brief bekommt Ihr als „ASSOCIATE EDITORS“der Enzyklopädie. Es folgt anbei der nette Brief eines Amerikaners über unsere Enzyklopädie.
Die zweite Beilage bezieht sich auf folgendes: Ich hatte mit ROUGIER eine langstielige Korrespondenz über die Art, wie unser kleiner Kongreß in Paris aufgezogen werden solle. Es ergab sich, daß er das Ehrenwort der Leitung des DESCARTES-KONGRESS gegeben habe, wir würden auf unseren Kongreß verzichten. Das wußte ich vorher nicht, sondern nur, daß wir eine so kleine Tagung machen sollten, daß wir keine KONKURRENZ machten (aus Rougiers Andeutungen glaubte ich zu entnehmen, wir würden auf dem DESCARTES-KONGRESS eine geschlossene Gruppe bilden, so wie das CARNAP so fein in PRAG gemacht hatte). Es war ganz gut, daß wir dem Kongreß über die Enzyklopädie berichten konnten und daß überdies das Komitee des Kongresses über Vereinheitlichung der Symbolik zusammentreten konnte. Schließlich einigten wir uns, da in der Erkenntnis schon der Terminus III. Kongreß stand, daß in Frankreich nur von VOBEREITENDE KONFERENZ BETREFFEND DIE INTERNATIONALE ENZYKLOPÄDIE DER EINHEITSWISSENSCHAFT gesprochen werden solle, während außerhalb Frankreich erwähnt werden könne, daß diese kleine Zusammenkunft den III. Kongreß bilde. Darüber ist ja an alle KOMITEEMITGLIEDER ein Rundschreiben gegangen.
Nun kam REICHENBACH nach Paris. Und ohne daß mit mir vorher Rücksprache genommen worden wäre, hat er den an die Erkenntnis geschickten und bereits gedruckten Text durch einen neu redigierten ersetzt. Nun kenne ich ja REICHENBACHS intensive und lebhafte Art und weiß, daß ROUGIER durch so etwas beeinflußt wird – so wars ja auch 1935 in PARIS – und es ist an sich gleichgiltig unter welcher Marke wir in PARIS tagen, da es mir wichtig scheint, daß wir uns über die Enzyklopädie erfolgreich unterhalten, insbesondere über die Eingliederung von Psychologie und Biologie. Nicht sicher ist aber, ob die Wendung (die in keiner von uns ausgegebenen Mitteilung
11.III.35 „Sie bekommen bald unseren UNITY OF SCIENCE ENCYCLOPAEDIA Plan zugeschickt, den wir von unserem Institut aus unterfertigt von einem Komitee, in das ich Sie gebeten habe, einzutreten, vorlegen werden…“
2. Juli 1935 „…Wir wollen vom MUNDANEUM INSTITUTE aus jedenfalls in einzelnen Heften das Material zu publizieren beginnen. Wesentlich ist die Festlegung der Terminologie usw. JØRGENSEN hat seine Hilfe zugesagt.“
27. Juli 1935 „Vielleicht wissen Sie einen Verleger in USA, der hiefür in Frage kommt.“
31. Juli 1935 „Und schließlich eigene Arbeiten und Beiträge für die Enzyklopädie. Diese Arbeiten unterliegen natürlich wie alle Arbeiten anderer Mitarbeiter der Besprechung durch das Komitee des Mundaneums, das sich mit der Enzyklopädie beschäftigen wird.“
Es folgen viele Bemerkungen zur Enzyklopädie, die alle ganz klar zeigen, daß es sich um eine Enzyklopädie des MUNDANEUM INSTITUTE THE HAGUE handelt.
Nach seinem ENZYKLOPÄDIEREFERAT hat MORRIS durchaus im Einklang mit allem oben angeführten den Antrag gestellt, der angenommen wurde: „Resolved: That this Congress express its approval of the International Encyclopaedia of the Unity of Science sponsored by the Mundaneum Institute and its willingness to cooperate in the execution of this project“.
Ich habe an CARNAP und MORRIS die Bitte gerichtet, als ASSOCIATE EDITORS mitzuwirken, im übrigen besteht das ORGANISATIONSKOMITEE und ein ADVISORYCOMMITTEE.
Das ist, glaube ich, eine erschöpfende historische Übersicht. Da ich alles vermeide, um irgend welche Spannungen zu erhöhen und alles tun will, um friedliche Kooperation zu fördern, bitte ich, diese ganze Mitteilung nur als eine „Aktennotiz“zu betrachten. Ich hoffe, daß wie so manche andere Spannung auch diese vorübergeht.
Im übrigen fühle ich beim Durchblättern all dieser alten Briefe, welche Arbeit wir alle zusammen leisten mußten, um diese Sache auf die Beine zu stellen. Ich begreife aber auch, daß, wenn jemand wie REICHENBACH wenig bereit ist sich einzufühlen, [er] nur schwer übersieht, wie kompliziert die Aufgabe ist, harmonische 20 Hefte zu machen.
Der Prozeß gegen den Mörder SCHLICKS hat nicht dazu beigetragen, die Philosophie des Wiener Kreises zu verunglimpfen, sondern hat nur gewisse katholische Kreise, insbesonders einen katholischen Macher Herrn Prof. GABRIEL, den ich nicht kenne, in einem wenig erfreulichen Licht gezeigt. Letzterer scheint in sehr wenig erzengelhafter Weise den verbitterten Mörder, der sich in seiner Liebe enttäuscht sah und in übler finanzieller Lage war, noch weiter verbittert zu haben durch die Informationen, die er ihm gab.
Mit herzlichen Grüßen an Euch beide und Eure Familien
wie immer Euer
Otto Neurath
Brief, Dsl., 3 Seiten, RC 102-51-45 (weiterer Dsl. ON 221); Briefkopf: msl. 2. Juni 1937, ksl. über Chicago und Brüssel, bekommen 12.7..