\brief[Neurath an Carnap, Mexico-Stadt, 24.~März 1937]% {Otto Neurath an Rudolf Carnap, 24. März 1937}{März 1937} \anrede{Fahre ab 25.~März, Ankomme NEW YORK 29.~morgens, bleibe dort bis Aquitania 31. fährt.} \anrede{Lieber Carnap!} \haupttext{ In Eile. Bitte teile auch Morris\IN{\morris} mit:%\smallskip \cutcn{\noindent 1. Trilinguales Lexikon muß im Prospekt nicht erwähnt werden, vielleicht aber, daß Übersetzbarkeit der Termini besondere Beachtung geschenkt werden wird. Eventuell können wir als Vorbereitung die Haupttermini jedes Heftes übersetzt bringen.\smallskip \noindent 2. Ich bin dafür, daß wir ankündigen, es würden jetzt 18 Hefte erscheinen. Darüber, daß die zustande kommen, besteht kein Zweifel mehr. Es fehlen ja nur noch drei Namen. Ich werde sehn, ob wir RUSSELL gewinnen, in Heft 1 etwas zu äußern. Wenn er zusagt, würde ich Dewey, Rougier, vielleicht auch Frank bitten, etwas Kurzes zu sagen.\smallskip \noindent 3. Tarski werde ich schreiben. Wenn Ihr -- vielleicht fragt Ihr auch Nagel, der ein vorsichtiges Urteil hat -- Lewis haben wollt, ich wäre einverstanden. Es käme dann ein Heft Logic anstelle von Cosmology.\smallskip \noindent 4. Wie ich schon schreib, weiß ich nicht, ob Næss heute schon für diese Gelegenheit etwas über Calculus schreiben sollte. Brunswik-Næss wird ganz gut sein, zumal Br\editor{unswik} durchaus einverstanden ist.\smallskip \noindent 5. Mir fehlt noch die Antwort von Łukasiewicz. Wenn er absagt, muß man überlegen, was man an die Stelle dieses Heftes setzt. Sonst brauchen wir nur noch TARSKI und LEWIS.\smallskip} \noindent 6. Habe jetzt hier wieder erlebt, daß \glqq Positivism\grqq\ \gesperrt{nur} mißverständlich wirkt. Ich mußte ausführlich erklären, daß Logischer Empirismus nicht \glqq Positivismus\grqq{} im überlieferten Sinne ist. Ich lege \gesperrt{dringend} nahe, immer von \glqq wissenschaftlichem Empirismus\grqq\ zu sprechen, wie Morris\IN{\morris} vorschlägt, wenn die große historische Linie gemeint ist, die Zukunft, die so vieles verbinden wird, aber \glqq Logischer Empirismus\grqq , wenn unsere speziellere Haltung gemeint ist.%\smallskip \cutcn{\noindent 7. Freundlich wird also zunächst auf Eis gelegt.\smallskip} \noindent 8. Ich habe nicht bezüglich der \glqq Verifikation\grqq\ mich bei Dir gemeldet,\fnAmargin{Ksl. am Blattende \original{\textsp{Doch! Brief 20.\,9.\,36: ,,Ich wäre nicht unglücklich gewesen, wenn der Leser irgendwo erfahren hätte, dass die Proteste gegen ,Verifikation` speziell von mir kommen.``}}.\fnEmark}\fnEtext{Gemeint ist der (falsch datierte) Brief Neuraths vom 20.~Februar 1937; siehe oben, Brief Nr.~\refcn{1937-02-20-Neurath-an-Carnap}.} sondern weil ich gegen die \glqq Falsifikation\grqq\ als Strenge-Ideal bin. Die \glqq Erschütterung\grqq\ habe ich \gesperrt{gegen} Popper\IN{\popper} betont. Erschütterung und Stützung (Bewährung) sind beide für mich \gesperrt{ohne} Limes! Und zwar weil ich immer für das \glqq Schwurzeugensystem\grqq\ innerhalb der Wissenschaft bin -- daher Betonung des \glqq Entschlusses\grqq . HEMPELS\IN{\hempel} Artikel über Popper\IN{\popper} habe ich noch nicht. Ich habe mit Hempel\IN{\hempel} mehrmals, wie ich glaube ohne vollen Erfolg, über die Diskussionssituation gesprochen. Ich halte Poppers\IN{\popper} Tendenz, die eine ausgezeichnete Aussagenmasse zu suchen usw. für metaphysisch im Sinne des Laplaceschen\IN{\laplace} Geistes.\fnEE{\labelcn{laplaceschergeist}Der Laplacesche Geist ist die von Neurath häufig (ablehnend) zitierte Idee von einem allwissenden Geist, der unter Vorgabe einer vollständigen Zustandsbeschreibung der Welt jeden künftigen Zustand vorausberechnen könnte.} Ich weiß nicht, wie viel übrig bleibt, wenn man bei ihm Verifikation und Falsifikation relativiert\fnA{\original{relativisiert}} ohne Limes. Ich würde glauben, daß die zähe und konsequente Festhaltung dieses Standpunktes gegen Verifikation \gesperrt{und} Falsifikation mir eigen ist. Deshalb fand ich das Zitat \glqq erschüttert\grqq\ bei Dir etwas mager. Nichts für ungut. Über \textsection{} 20 werde ich Dir sorgsam schreiben.\fnEE{Dieses Vorhaben verwirklichte Neurath nicht; somit stellt Carnaps Diskussion von Neuraths Auffassung der Protokollsätze in ,,Testability and Meaning`` das Ende der langen Auseinandersetzung dar.} Ich zweifle ja nie daran, daß wir irgendwie in Harmony kommen. Ich glaube nur, daß Du gegen gewisse mir sehr bedenklich scheinende Formulierungen nicht so ablehnend bist, als ich wünschen würde. \cutcn{\smallskip\noindent Habe leider keine Kopie mehr vom Rundschreiben wegen Pariser Kongreß, bitte sieh Morris Kopie ein. Hier ist alles schwierig zu erledigen gewesen. Viel zu tun. Zum Teil sehr interessant. \glqq Amtlicher\grqq\ Besuch eines Silberbergwerks mit wunderbarer Autofahrt usw. Eindrücke die Hülle, aber auch viel Arbeit. \neueseite{} Morris teilte mir mit, er habe seine Bemerkungen zu meinem Artikel für die Philosophy of Science an das NEW YORKER Sekretariat geschickt. Von dort bekam ich eine Menge Post, aber nichts derlei. Es wäre denkbar, daß dieser Brief in \glqq Verstoß\grqq\ geriet, um mich österreichisch auszudrücken. Bitte sag Morris, er soll mir \gesperrt{umgehend} eine Kopie nach NEW YORK senden, wo ich ja vom 29. bis 31. morgens sein werde. Es wäre mir unlieb, nicht alles zu ändern, was Ihr vorgeschlagen habt. Rundschreiben bezüglich Symbolik geht demnächst ab. Ich hoffe, wir werden jetzt das Sekretariat durch eine Hilfskraft komplettieren, so daß alle Sachen immer gleich geschrieben werden können. Bisher haben MR und ich alles höchstpersönlich geschrieben. Aber wenn wir viel zu tun haben, stockt alles -- aber dann verdienen wir ja auch Geld und können, das ist klar, bald alles besser erledigen. Zeit des Umbaus. Ich habe jetzt ein Buch von Mannheim aus der letzten Zeit angesehn. Ich kann mich schwer damit befreunden. Es behandelt die Gesellschaft und den Menschen in der Zeit des Umbaus. Wenig freundlich gegen Behaviorismus. Aber ich kann jetzt nicht Details schreiben.} Die Kohärenz-Stelle bei Russell\IN{\russellkurz} dürfte ich kennen. Ich habe aber was anderes herausgelesen. Ich werde im Haag nachsehen und Dir schreiben. Vielleicht meine ich eine andere Stelle. Ich habe ROUGIER\IN{\rougier} geschrieben, daß ich meinen Artikel für Paris bald sende. Ich hoffe, es wird noch Zeit sein. Bin zu sehr mit anderem beschäftigt. Na, gar so eine \glqq amazing personality\grqq\ bin ich nicht -- ich betreibe nur Dinge, die irgendwie vorgreifend aktuell sind. Und so führt mich die ISOTYPE-Visual Education durch die ganze Welt -- ich träume ja, wie Du weißt, ein wenig von China. Mexiko war sehr eindrucksam. Vorläufig ist alles so, daß ich im Herbst wieder herkommen soll. Da seh ich Euch ja auch wieder. Übrigens ist UNIFIED SCIENCE auch internationalen Kontakt schaffend -- und wird es immer mehr werden. Ich hoffe, wir bauen darauf ein Institut auf. Wie schön, daß nun für Waismann\IN{\waismann} Hilfe winkt. Wenn er nur schon sein Doktorat hätte. Oh hemmungsreicher Mann. Im Sommer sehn wir uns jedenfalls. Von Olga\IN{\neuratholga} gute Nachrichten aus Wien. Nun sieht man sich nach langer Trennung endlich wieder im Haag. Gute Grüße,} \grussformel{herzlichst Dein\\Nth}%\Apagebreak \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846309}{RC 102-51-58 (Dsl. ON 221)}; Briefkopf: msl. \original{Mexiko 24.~März}.}