\brief[Carnap an Neurath, Chicago, 17.~März 1937]% {Rudolf Carnap an Otto Neurath, 17. März 1937}{März 1937} \anrede{Lieber Neurath!} \haupttext{\cutcn{Auf Deinen Vorschlag hin haben wir eine offizielle Einladung an Scholz\IN{\scholzheinrich} geschickt. Einladungen an Bachmann,\IN{\bachmannfriedrich} Behmann,\IN{\behmann} Grelling\IN{\grelling} gehen heute ab. Zu Deinem Brief vom 13.3. an Morris: Ich glaube nicht, daß das dreisprachige Lexikon jetzt erwähnt werden soll. Das ist eine noch zu unbestimmte Hoffnung (Ich würde ja überhaupt etwas zurückhaltender sein mit der Ankündigung noch unsicherer Dinge, z.\,B. noch nicht 18 Hefte ankündigen, wenn wir noch nicht einmal sicher sind, wer sie schreiben wird.) Ich bin auch dafür, Tarski\IN{\tarski} anstatt Menger\IN{\menger} aufzufordern. Aber man muß ihn erst fragen, ob er bereit ist, nicht nur die logischen Grundlagen des formalen mathematischen Systems zu behandeln, sondern vor allem auch die Stellung der Mathematik im Gesamtgebiet der Wissenschaft. Freundlich ist als Mitarbeiter natürlich willkommen, aber ich \textkritik{weiß nicht recht, ob sein Heft}\fnA{Hsl. Ersetzung von \original{glaube, er paßt nicht}.} in die erste und engste Gruppe der Veröffentlichungen paßt\fnA{Hsl. Einschub.}. Ich halte es gar nicht für so dringend, daß ein Heft über Cosmologie erscheint. Ich bin mehr dafür, Lewis\IN{\lewis} über Logik schreiben zu lassen. Ich bin ziemlich im Zweifel, ob Næss der richtige Mann ist, um über Calculus zu schreiben; er würde mehr die psychologische Seite betonen als die logische.} Zu Deinen Bemerkungen zu meinem Testabilitypaper: ich bin der Ansicht, daß Popper\IN{\popper} früher und deutlicher gegen \glqq Verifikation\grqq\ protestiert hat. In dieser Meinung wurde ich noch einmal bestärkt, als ich vor einigen Tagen Hempels\IN{\hempel} Rezension über Poppers\IN{\popper} Buch erhielt (die Du ja wohl auch bekommen haben wirst), in der er gerade diesen Punkt betont. Oder wie siehst Du die Entwicklung der Diskussion über diesen Punkt in unserm Kreis? Was sagst Du zu \textsection{} 20, zu meiner Diskussion Deiner Ansicht? \cutcn{Kannst Du mir wohl noch eine Kopie des Rundschreibens an das Kongreßkomitee vom 19. Febr. (über den Pariser Kongreß) schicken. Mein Exemplar ist unleserlich. Wenn keine mehr vorhanden, werde ich mir die von Morris ausleihen. Ich habe Deinem New Yorker Office geschrieben, daß ich keine Bemerkungen zu Deinem Artikel für die \glqq Philosophy\grqq\ habe, mich aber denen von Morris anschließe. \neueseite Ist der Rundbrief über Vereinheitlichung der Symbolik verschickt worden? Ich habe ihn bisher noch nicht bekommen. Zu Morris’\IN{\morris} Brief v. 21.~Febr. Ich habe auch Bedenken dagegen, bei der Subskription schon die Einzelhefte abzugeben; später natürlich. Viell\editor{eicht} Heft 5 besser nur \glqq Math\ekl{emathik}\grqq\ nennen. Ein Heft über Soziologie der Wiss\editor{enschaft} wäre wünschenswert, wenn wir geeigneten Mann fänden. Wirth\IN{\wirth} ist der, der damals bei Deiner Diskussion geleitet hat; Morris\IN{\morris} scheint ihn zu schätzen; ich kenne ihn nicht näher; von wiss\editor{enschafts}-log\editor{ischen} Fragen weiß er wohl nicht viel; aber Soz\editor{iologie} d\editor{er} Wiss\editor{enschaft} scheint sein Interessengebiet zu sein.} Zufällig fand ich heute in Russell's\IN{\russellkurz} \glqq Problems of Philosophy\grqq\ (ohne Jahr, altes Büchlein) eine Diskussion der Korrespondenz- und der Kohärenz-Theorie der Wahrheit. Die letztere wird (S.\,190ff.) als eine ganz unmetaphys\editor{ische} Auffassung dargestellt, die aber dann diskutiert u. abgelehnt wird. R\editor{ussell}\IN{\russellkurz} scheint diese Deutung des Namens \glqq Koh\editor{ärenz}-Th\editor{eorie}\grqq\ als üblich anzunehmen; und so hat vermutlich auch Schlick\IN{\schlick} das Wort gedeutet. (\glqq the mark of falsehood is failure to cohere in the body of our beliefs\grqq ).\fnEE{Russell, \textit{The Problems of Philosophy}, 190.} Entschuldige die Verspätung dieses Briefes. Ich war in den letzten Wochen sehr beschäftigt. Habe engl\editor{ischen} Vortrag für April-Meeting schreiben müssen. Pariser Vortrag eben erst angefangen; dabei schreiben sie, daß 15. März der allerletzte Termin zur Einsendung ist. Hast Du Deinen schon hingeschickt?\fnEE{In den Kongressakten des \textit{Neunten Internationalen Kongresses für Philosophie} erschienen: Carnap, ,,Einheit der Wissenschaft durch Einheit der Sprache``; Neurath, ,,Prognosen und Terminologie in Physik, Biologie, Soziologie``. Unmittelbar vor dieser Großveranstaltung fand der \textit{Dritte Internationale Kongress für Einheit der Wissenschaft} statt (auch als ,,Enzyklopädiekonferenz`` bezeichnet); vgl. Stadler, \textit{Studien zum Wiener Kreis}, 418--424.} Sonst tu es gleich! Alle Leute hier sind erstaunt, was Du für eine \glqq amazing personality\grqq\ bist. Kaum auf diesem Kontinent, saust Du schon herum und bekommst die interessantesten Punkte zu sehen, die die meisten Amerikaner sehen möchten und noch nicht gesehen haben. Ich habe für Waismann\IN{\waismann} an das Londoner Hilfskomitee geschrieben, die um ein Gutachten baten. Nun antworten sie, daß sie hoffen, für ihn im Herbst Lectures zu arrangieren und ihm inzwischen in Wien finanziell zu helfen; er habe angegeben, bis zum Herbst wahrsch\editor{einlich} mit seinem Buch fertig zu sein. Schade, daß Chicago so vom Weg abliegt, daß wir Euch auf der Rückreise nicht sehn können. Also bis zum Sommer! Dir und Mieze\IN{\reidemeistermarie} herzliche Grüße von uns beiden, } \grussformel{Dein\\Carnap}%\Apagebreak \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846311}{ON 221 (Dsl. RC 102-51-59)}; Briefkopf: gedr. \original{Rudolf Carnap\,/\,Department of Philosophy\,/\,University of Chicago} und \original{Chicago, Illinois}, msl. ergänzt durch \original{den 17.~März 1937}.}