Otto Neurath an Rudolf Carnap und Charles W. Morris, 2. Februar 1937 Februar 1937

Lieber Carnap:
Lieber Morris:

Da jetzt der Vertrag mit der Chicago University Press geschlossen ist, möchte ich vor meiner AbreiseaKsl. wann?. alles was Details anlangt, in Ordnung bringen. Anbei was ich anrege. Falls wir drei darin einig sind, könnte vielleicht sofort mit der „Press“gesprochen werden.

Gute Grüße

Neurath

Bemerkungen für Carnap und Morris

I. FORMAT DER ENZYKLOPÄDIE

Format: Höhe 1012 Inches
Breite 8 Inches

Durchlaufende Zeilen (nicht zwei Spalten) in einer nicht zu kleinen Antiquatype wäre[n] sehr zu empfehlen. Schriftspiegel etwa 714 mal 512 Inches. Das gibt Raum für Graphiken und Bilder, die wir später hoffentlich in größerer Anzahl bringen können, auch für Tabellen sehr geeignet. Das Format entspricht ungefähr einem üblichen (City Planning Surveys, Lexika etc.), wirkt aber wesentlich eleganter.

Sehr gut wäre es, wenn die University of Chicago Press Probeseiten setzen ließe. Möglichst undurchsichtiges Papier. Über Umschlag, Einband muß man sich auch mit der Zeit einig werden. Ich will aus dem Haag Vorschläge senden nach Besprechung mit unserem leitenden Graphiker.

II. PROSPEKTE

Es wäre, meine ich, gut, die Prospekte im Format der Enzyklopädie und in der Druckanordnung der Enzyklopädie herauszubringen.

Hauptdaten wären:

INTERNATIONAL UNITY OF SCIENCE ENCYCLOPAEDIA

Erscheint zunächst nur in englischer Sprache. Erscheinen in anderen Sprachen wird später entschieden.

Chief Editor: Otto Neurath, The Hague (mit Adresse)

Associated Editors: Rudolf Carnap, Chicago, Charles W. Morris, Chicago (mit Adressen)

Organizing Committee:

Rudolf Carnap, Chicago

Philipp Frank, Prag

Jørgen Jørgensen, Copenhagen

Otto Neurath, The Hague

Louis Rougier, Paris

Advisory Commitee: Ich habe bereits mit Einladen begonnen, so: Kaempffert, Malisoff, Reichenbach, Hempel, Feigl, Dewey, Arne Næss, Brunswik, Tolman; einige haben schon zugesagt. Werde sukzessive die Mitglieder des „großen Komitees“einladen.

Bitte um Stellungnahme zu folgenden Einladungen: Thurnwald (Ethnologe), Tinbergen (Nationalökonom), Menger, Waismann, Gödel, Dubislav, Lenzen, Bouvier, Strauss (Martin, Kopenhagen). Bitte um weitere Vorschläge.

Publisher: University of Chicago Press. Kennzeichnung dieses Instituts wäre nützlich. Da ich über die Enzyklopädie in der europäischen Presse und in Periodika selbst berichten und berichten lassen will, wäre wichtig, über die „Press“selbst ein Büchlein oder so was zu haben.

Kaempffert hat Dr. Morgenstern von dem Department of Public Relations The University of Chicago gebeten, ihm eine Pressenotiz über die Enzyklopädie zu senden und für diesen Zweck Morris zu befragen. Diese durch Morris stilisierte Formulierung wird mir sehr nützlich sein.

Promoter: International Congresses for the Unity of Science. Großes Komitee (folgen alle Namen).

Historisches und Prinzipielles: Hier sollte der schöne Entwurf, den Morris einmal gemacht hat, verwendet werden.

Kurze Geschichte des Enzyklopädieplans, der im Rahmen des Mundaeum Institutes 🕮 The Hague zusammen mit anderen Plänen entwickelt wurde. Auf dem ersten der Kongresse für Einheit der Wissenschaft (Paris 1935) war die Enzyklopädie ein besonderer Punkt der Tagesordnung. Neurath entwickelte den Plan einer Enzyklopädie, welche das logische Gerüst unserer Wissenschaften und die Brücken von Wissenschaft zu Wissenschaft im Sinne des logischen Empirismus darstellen und einem weiteren Kreise vermitteln soll. Nach ergänzenden Ausführungen, die Carnap, Frank und Morris gaben, sprach sich der Kongreß im Sinne des von Charles W. Morris gestellten Antrages für die Enzyklopädie aus und beschloß, an ihr mitzuarbeiten. (Vgl. Kongreßakte, Referat Neurath, Carnap etc. Seite…, Hermann & Cie.). Auf dem zweiten Internationalen Kongreß für Einheit der Wissenschaft in Kopenhagen 1936 wurde beschlossen, den dritten Internationalen Kongreß für Einheit der Wissenschaft, 29. bis 31. Juli in Paris 1937 als Enzyklopädiekongreß abzuhalten, der sich mit den Vorarbeiten zur Enzyklopädie zu beschäftigen hätte. Diese internationale Enzyklopädie soll aus in sich abgeschlossenen Pamphleten von etwa 70 Seiten bestehen. Ungefähr 10 Pamphlete bilden zusammen einen Band von etwa 700 Seiten. Alphabetisch angeordnete Wörterverzeichnisse ermöglichen die lexikalische Verwendung der Enzyklopädie.

Durch Kooperation der Enzyklopädiemitarbeiter soll erreicht werden, daß die Pamphlete nicht als isolierte Stücke auftreten. Über die verwendete Terminologie und Symbolik werden womöglich Vereinbarungen getroffen. In manchen Fällen Index verborum prohibitorum. Um die internationale Verständigung innerhalb der Unity of Science Movement zu fördern, soll ein trilinguales Lexikon (deutsch, englisch, französisch) beigefügt werden, das die Übersetzung der Haupttermini und wichtiger Formulierungen bringen soll. Eine besondere Art der Planung wird Einfügung neuer Arbeiten erleichtern.

Zunächst sollen 20 Pamphlete erscheinen, in zwei Bänden von je etwa 700 Seiten, die den „Foundations“gewidmet sind. Die Publikation dieser Pamphlete soll möglichst beschleunigt werden, damit sie dem Internationalen Kongreß für Einheit der Wissenschaft vorgelegt werden können, der im Sommer 1939, einer Einladung der Harvard University folgend, in Cambridge (U.S.A.) abgehalten werden wird.

Die ersten zwanzig Pamphlete sollen wie folgt verteilt werden:

VORLÄUFIGE LISTE DER ERSTEN 20 PAMPHLETE

im Sinne der Besprechungen in Chicago

  1. Unity of Science

    Neurath, Darstellung der Enzyklopädie-Idee (Morris empfiehlt, das etwas ausführlicher zu machen).

    Carnap, Morris (eventuell Frank, Rougier) Kürzeres. Vielleicht eine kurze Erklärung von Russell, wenn zu bekommen.

  2. Theory of Signs: Morris

  3. Logical Analysis of Science: Carnap

  4. General Linguistics: Andrade

  5. Mathematics: Gödel (Menger? Tarski?)

  6. Procedures of Empirical Sciences: Lenzen

  7. Probability: Nagel

  8. Physics: Frank

  9. Cosmology: Reichenbach

  10. Biology: Mainx

  11. Formal Biology: Woodger

  12. Theory of Behavior: Brunswik und Næss

  13. Social Sciences: Neurath

  14. History of Sciences: Enriques 🕮

  15. History of Logics: Łukasiewicz

  16. History of Empiricism: Rougier

  17. Logical Empiricism with Bibliography: Jørgensen (including Index for 20 pamphlets)

Three pamphlets for special subject matters as: Chemistry, Education, Empirical Axiology, Ethics?, Aesthetics? etc. (Dewey, Dubislav, Schapiro etc.)

QuestionbKsl. Vorsicht, vielleicht lieber nicht jetzt!. whether to invite Bridgman for „Logical Problems of Physics“.

Question, whether a special pamphlet „Biology and Physics“.

AUSBAU DER ENZYKLOPÄDIE

Der weitere Ausbau der Enzyklopädie wird auch vom Erfolg der ersten zwei Bände abhängen, die in gewissem Sinne eine Gesamtübersicht über den Kreis der Probleme geben und zeigen sollen, was moderne wissenschaftslogische Betrachtungsweise für den Betrieb aller Wissenschaften und für eine empirische Gesamtauffassung bedeuten kann.

Die Enzyklopädie wird die Mathematik ebenso wie die Sozialwissenschaften, die Theory of Signs ebenso wie die Theory of Behavior berücksichtigen, aber auch der Geschichte der Wissenschaften und des wissenschaftlichen Empirismus Aufmerksamkeit widmen.

Die folgenden Bände sollen Einzeldisziplinen und wichtige Einzelprobleme behandeln; jeweils soll eine Gesamtübersicht auch mit historischen Ausblicken die Bände einleiten; hinzu kommen kürzere Abhandlungen, die abweichende Standpunkte innerhalb der Unity of Science Movement kennzeichnen sollen. Jeder Leser der Enzyklopädie wird ein Bild von der lebenden Wissenschaft in ihren Verknüpfungen bekommen, von den Bemühungen, eine einheitliche wissenschaftliche Sprache aufzubauen und sie mit der Sprache des Alltags zu verknüpfen. Die Bedeutung der Formeln und anderer logischer Instrumente wird jeweils besonders gewürdigt werden.

Die Enzyklopädie soll in einer Sprache geschrieben werden, die jeder Gebildete, der wissenschaftlich interessiert ist, verstehen kann. Wenn nötig sollen allgemein verständliche Einführungen in spezielle wissenschaftliche Techniken beigefügt werden; sobald es das Verständnis der grundlegenden Probleme verlangt, sollen auch Tabellen, statistische Übersichten usw. als Ergänzungen hinzugefügt werden. Die Graphiken und schematischen Illustrationen der Enzyklopädie sollen sich einheitlicher visueller Mittel bedienen.

Diese Enzyklopädie soll sich dem historischen Entwicklungsgang des wissen- schaftlichen Empirismus im weitesten Sinne einfügen, wie er durch Namen wie Mach, Poincaré, Russell, Peirce, James etc. gekennzeichnet wird. Die Enzyklopädie ist nicht dazu bestimmt, abgerundete Bilder vorzutäuschen, sie wird im Gegenteil betonen, wo Schwierigkeiten und Widersprüche zu sehen sind, welche Fragen vom Standpunkt eines wissenschaftlichen Empirismus aus zur Diskussion stehen. So wendet sich diese Enzyklopädie vor allem an die Jugend, sie ist nicht etwas Fertiges, sondern etwas Werdendes.

Vielleicht könnte man Zitate bringen aus den Enzyklopädievorträgen Carnap, Frank, Morris, Neurath in Paris, eventuell etwas aus meinem Revue de Synthèse Artikel.

III. UNITY OF SCIENCE SYMPOSIUM

Es wird sich sehr empfehlen, nach dem Vorbild älterer Enzyklopädien ein Publikationsorgan zu haben, in dem Enzyklopädieprobleme diskutiert werden und damit viele Dinge aufs beste vorbereitet werden können. Es würde genügen, wenn anfänglich jährlich 6 Hefte zu je 16 Seiten erscheinen würden mit Editorial Text, Beiträgen und Diskussionen, Vereinheitlichungsvorschlägen usw. Jedesmal Bericht über Enzyklopädie-Fortgang; eventuell Probekapitel. In diesem Rahmen würde z. B. der Pariser Enzyklopädie-Kongreß publiziert werden können, was mehrere Nummern ausfüllt. 🕮

Titel der Publikationsreihe könnte sein:

UNITY OF SCIENCE SYMPOSIUM

OF THE INTERNATIONAL UNITY OF SCIENCE ENCYCLOPAEDIA

erscheint 6 mal jährlich. Dieselben Editoren wie bei der Enzyklopädie. Nicht eine Zeitschrift, die mit den anderen konkurrieren will. Sehr geeignet, für die Enzyklopädie ständig Propaganda zu machen.

Wäre vor allem unter diesem Gesichtspunkt mit der „Press“zu besprechen, wenn wir alle drei über die Nützlichkeit dieser Sache einig sind. Man hätte Gelegenheit, manche voraussichtliche Mitarbeiter so näher kennen zu lernen, auf einfache Art Anregungen und Kritik zu bekommen.

Das Symposium könnte auch als Kongreßorgan dienen. Die 20 Pamphlete bereiten in gewissem Sinne den Kongreß von 1939 vor. Indem man über sie berichtet, liefert man auch Unterlagen für den Kongreß. Das wäre für den Absatz des Symposium wichtig. Es könnte erstmalig vor dem Pariser Kongreß 1937 herauskommen und dort verkauft werden. Ich nehme an, daß das guten Erfolg hätte und vor allem dem Absatz der Enzyklopädie dient. Ich würde es begrüßen, wenn die University of Chicago Press das Symposium herausgibt und man nicht einen anderen Verleger dafür suchen muß. Man könnte eventuell Buchanzeigen bringen und einen bestimmten Raum „Publikationen der University Press“reservieren.

Als Thema für den Kongreß 1939 ist vorgesehen: Logic of Science. Etwa 2 Tage Biology, Psychology, Sociology. Etwa 1 Tag Statistics, Probability, Quantenmechanics. Etwa 2 Tage: Mathematics, Logic, Physics, Linguistics. Unter Betonung der Querverbindungen. Dies nur als Anmerkung, zeigend, daß die 20 Pamphlete ungefähr das Kongreßthema umspannen.

PROPAGANDA-BEMERKUNGEN

für Prospekt, Artikel usw.

So zu fassen, daß Universitäten, wohlhabende Privatleute sich veranlaßt sehen zu subskribieren, um den Gesamtplan zu fördern. Wichtig zu betonen, daß die ersten beiden Bände zusammengenommen mit Index ein abgeschlossenes Ganzes bilden.

Formulierung betreffend „Einband“usw. wäre mit der „Press“zu besprechen. Man kann hervorheben, daß die Unity of Science Bewegung heute international eine Rolle spielt, vor allem der „Logische Empirismus“. Eventuell Zitate und Literatur über die Bewegung anführen (z. B. Weinberg „An Examination of Logical Positivism“), Zitat aus Russell (Pariser Bericht) über unsere Enzyklopädie.

Vielleicht kann man auch etwas darüber sagen, daß ein Bedürfnis nach so einer Enzyklopädie besteht, unter Hinweis auf Vorlesungen, Seminare usw. an Universitäten.

Brief, msl., 1 Seite, RC 102-51-76; Briefkopf: msl. Room 700\,/\,130 East 22nd Street\,/\,New York, 2. Februar 1937 und Professor Charles W. Morris\,/\,Professor Rudolf Carnap\,/\,Department of Philosophy\,/\,Unversity of Chicago.
Beilage „Bemerkungen für Carnap und Morris“: Dsl., 4 Seiten, RC 102-51-75; oben msl. 3. Februar 1937.


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