\brief[Neurath an Carnap, New York, 24.~Januar 1937]% {Otto Neurath an Rudolf Carnap, 24. Januar 1937}{Januar 1937} \anrede{Lieber Carnap!} \haupttext{ Zunächst mal: Ich habe mit Horkheimer\IN{\horkheimer} telephoniert und ihm mitgeteilt, daß Du gern kämst, daß Du aber die Anstrengungen der Reise besonders jetzt scheust usw. Darauf hat er sofort eine Fahrt per Flugzeug bewilligt. Sollte Deine Reise daran scheitern, daß Du das zweite Mal mit der Bahn fahren müßtest, dann würde er auch die zweite Fahrt per Flugzeug anbieten -- aber nur dann. Natürlich bezahlt er Deinen ganzen Aufenthalt hier. Er sagte, es wäre gut, wenn Du bald kämest. Er schreibt was über uns und meint, Du könntest das im Sinne der höheren Wahrheit beeinflussen. Bitte schreib also umgehend, welchen Samstag Du Dir aussuchst, möglichst bevor ich wegfahre, damit ich Dich noch sehe. Auch soll ja die Aussprache zeigen, daß wir alle zusammen ungefähr einer Meinung sind, Du und Nagel\IN{\nagel} und ich usw. Denn jetzt werden immer einzelne Zitate von uns gegeneinander ausgespielt. Horkheimer\IN{\horkheimer} ließ mir frei einzuladen, wen ich wolle. Hast Du einen besonderen Wunsch außer Nagel\IN{\nagel}? Ist jemand hier, der uns sehr nahesteht? Wenn Helmer\IN{\helmer} da wäre, würde ich ihn bitten. \cutcn{Anbei der Entwurf für das Rundschreiben.\fnE{RC 102-51-80; dieses einseite Manuskript enthält Anregungen für die erste Gruppe von Enzyklopädiemitarbeitern.} Zunächst an unseren engeren Kreis. Ich hatte ein anderes verfaßt, das war zu zentralistisch. Jetzt ists mehr als Anregung usw. gedacht. Auf der einen Seite muß diese Enzyclopädie etwas sein, das zusammenhängt, andererseits können wir nicht mehr Gemeinsamkeit herauspressen, als da ist. BITTE SCHICKT MIR GLEICH EURE BEMERKUNGEN!} Eben höre ich von Olga\IN{\neuratholga}, daß Frank\IN{\frankphilipp} mit Gödel\IN{\goedel} beisammen war, daß es ihm sehr gut geht, daß er nach USA kommen will usw. Wie gut, daß auch die Psychosen ihre Unsicherheiten haben. Wie sagt der Kirchenvater \glqq Intra cloacas et urinas nascimur\grqq\ -- und andererseits \glqq Intra depressiones et manias vivimus\grqq \ldots\ Was meint Ihr beide, soll man nun Gödel\IN{\goedel} einladen?\fnAmargin{Ksl. \original{\textsp{ja}}.} Statt Menger\IN{\menger}\fnEE{Gemeint ist die Einladung, in der \textit{Encylopedia of Unified Science} das Heft über Mathematik zu verfassen.}? Er hat sehr viel mit uns ge"-meinsam und vor allem mit Dir und Tarski\IN{\tarski} so viel Berührungspunkte. Bitte um Eure Meinung. Ich wollte Dir sofort schreiben. Aber da hat sich wieder eine Menge ereignet. Am Freitag hatte ich, kaum angekommen, eine wichtige Sitzung und darnach -- unerwartet -- eine Besprechung mit einem der führenden Verleger, der einen wundernetten Vertrag über ein Buch mit Bildern abschloß,\fnEE{1939 erschien Neurath, \textit{Modern Man in the Making}.} ein schönes soziologisches Thema, das ich früher mal angeregt hatte. Zahlt \gesperrt{vorher}. Option auf meine kommenden Werke dieser Art usw. Es war sehr erfreulich. Dann schrieben die Compton-Leute\IN{\compton}, wahrscheinlich durch den Lauf der Ereignisse stimuliert, sie wollten schon für diese Auflage Bilder unseres Instituts haben\fnEE{Ford (Hrsg.), \textit{Compton's Pictured Encyclopedia} erschien ab 1922 in vielen Auflagen. Ab den 1940er Jahren und auch noch posthum scheint Otto Neurath im Verzeichnis der Mitarbeiter auf (z.\,B. 1952 Edition, Bd.~1, XI). Die Bände enthalten verstreut einige Illustrationen im ISOTYPE-Stil zu unterschiedlichsten Themen.} -- wieder fein. Da mußte ich einige Vorschläge zusammenstellen. Am Sonntag erschien der feine Artikel von Kaempffert\IN{\kaempffert} in der TIMES,\fnEE{Kaempffert, ,,Language of Isotypes``.} der sich als sehr nützlich erwiesen hat. Das ist alles so günstig. Jetzt haben wir etwa 2 Jahre Ruhe im Haag, wahrscheinlich länger. Und statt täglich Zeit zu vergeuden, um irgendwie die Existenz zu retten und alle Kräfte zu zersplittern, kann ich jetzt endlich wieder mal ruhig arbeiten. Das ist mir vor allem wegen der Enzyklopädie wichtig. Abgesehn davon, daß ich mein eigenes Heft gründlich bearbeiten kann, werde ich nun mit Mitarbeitern zusammen die Terminologie der Enzyklopädie systematisch vorbereiten können unter Verwendung vorhandener Speziallexika usw. Man kann, wenn man Zeit und etwas Mittel hat, wirklich viel Nützliches machen. \neueseite{}\zzz \cutcn{Von Morris habe ich noch keine Nachricht -- sollte ein Brief verloren gegangen sein. Das kommt hier nicht so selten vor. Es ist mir unangenehm, weil Kaempffert einige Spalten über die Enzyklopädie bringen will, aber unter Zugrundelegung unserer Abmachungen mit einem Verlag. Damit man schön Fanfare blasen kann. Gib ihm einen Stuppser. Ich schreibe ihm übrigens gleichzeitig. Von Meiner\IN{\meinerfelix} kam die Korrektur des \IN{\bohr}Bohrvortrags.\fnE{Bohr, ,,Kausalität und Komplementarität``.} Er gibt sich gigantische Mühe mit uns zusammen zu rudern und redet sogar am Schluß von der Einheit der Wissenschaft. Ich seh ihn jetzt. Er hält am Donnerstag und Freitag Vorträge. Bin froh, daß ich ihn nicht mahnen muß. Du siehst, ich hatte alles vorgekehrt, was nötig war. Jetzt kann das Heft erscheinen, andere \glqq Restanten\grqq\ sollen uns nicht aufhalten. Daß alles den höchsten Grad der Klarheit hätte, könnte ich nicht sagen, aber Du weißt ja, nach Bohrs Komplementarität ist eine Sache, die zu klar ist, nicht fruchtbar, und soll sie fruchtbar sein, muß sie noch Werde-Unklarheit haben \ldots\ Ich schick den Artikel an Kaempffert, vielleicht kann er eine Begrüßungssache starten und dabei unseres Kopenhagener Kongresses Erwähnung tun. Rougiers Mutter gestorben. Armer Mensch, erst seine Frau, nun seine Mutter. Er glaubt, in Paris werde alles gut gehn. Reichenbach hält im Sommer Vorträge in Paris über Wahrscheinlichkeit. Kommt zum internationalen Kongreß der Philosophen. Ich habe ihn zur Enzyklopädie eingeladen usw.} Ich hoffe sehr, daß Du mit Deinem Gürtel gute Erfolge hast und daß es Euch beiden gut geht. Wenn nur die gesamte Weltlage nicht so trostlos wäre. Und was es da alles für sonderbare Prozesse gibt, und was man sonst alles hört, z.\,B. aus Wien. Es ist betrüblich, bedrückend. Aber man atmet etwas freier trotz allem, wenn man weiß, daß man wieder mal ruhiger wissenschaftlich arbeiten kann. Grüß mir Inen\IN{\ina}, die Spenderin kalter Wundertränke. Grüß mir den schreibfaulen Morris\IN{\morris} und sei selbst gegrüßt von } \grussformel{Deinem\\Nth} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/846361}{RC 102-51-81 (Dsl. ON 221)}; Briefkopf: msl. \original{George Washington Hotel\,/\,Room 1020\,/\,23, Lexington Avenue. New York City}, am Briefende hsl. \original{24.~Jan. 37}.}