\brief[Carnap an Olga Neurath, \ekll{Chicago,} 31.~Oktober 1936]% {Rudolf Carnap an Olga Neurath, 31. Oktober 1936}{Oktober 1936} \anrede{Liebe Olga!} \haupttext{ Wir waren sehr erfreut, Deinen Mann für drei Tage hier zu haben. Es war natürlich wieder eine dolle Hetze, aber am letzten Tag fanden wir endlich doch auch etwas Gelegenheit, für uns zu diskutieren. Meine Hauptaufgabe war da, Tarskis\IN{\tarski} Definition der Wahrheit gegen Neuraths\inneurath{} gewaltig affektbeladene Einwände zu verteidigen. Er hat hier und überhaupt in Amerika große Triumphe gefeiert. Er findet viel Anerkennung und Interesse, hat schon wieder eine Unzahl von Beziehungen an allen Orten, neuerdings auch nach China, und gilt als der große internationale Mann. Infolge dessen ist auch seine Stimmung wieder erheblich besser als voriges Jahr in Paris und nochmehr als damals in Prag. Er sieht wieder eine Menge Gelegenheiten zur Aktivität vor sich, tatsächlich mehr als selbst er bewältigen kann. Herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Brief. Also, sobald Du mal beschließt, Dich etwas mit Englisch zu befassen, schreibs mir; dann bestelle ich Dir die Zeitschrift. Wir planen, nächsten Sommer hinüberzukommen, vorausgesetzt, daß das alte Schiff Europa noch so lange hält; es scheint doch schon bedenklich in den Fugen zu krachen. Wir hoffen sehr, Dich dann auch zu sehen. Ich nehme an, daß Neider\IN{\neider}, Hollitscher\IN{\hollitscherwalter}, Kaufmann\IN{\kaufmannfelix}, Waismann\IN{\waismann} und Rand\IN{\rand} Dich gelegentlich besuchen. Bitte grüße die alten Freunde. Besonders um Waismanns\IN{\waismann} Schicksal bin ich sehr besorgt. Du wirst ihm sicher auch schon zugeredet haben, beschleunigt seinen Doktor fertig zu machen.\fnEE{Waismann promovierte Ende 1936 bei Robert Reininger; vgl. McGuinness, ,,Waismann, The Wandering Scholar``, 11f.} Außerdem sollte er Englisch lernen. Bevor diese beiden Bedingungen erfüllt sind, ist hier gar nichts für ihn zu tun; selbst danach ist es schwierig genug. Popper\IN{\popper} erfüllt zum Glück beide Bedingungen; ich habe schon verschiedentlich versucht, etwas für ihn zu tun; er ist ja in einer bedauernswerten Lage; aber es ist schwer etwas zu finden, für das er sich eignet und wo man ihn haben will. Wir würden uns sehr freuen, von Dir zu hören, wie Du in Wien lebst und wen Du triffst und sprichst. Mit vielen herzlichen Grüßen} \grussformel{Dein\\R.\,C.} \ebericht{Brief, Dsl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/846417}{RC 102-52-16}; Briefkopf: msl. \original{31.~Okt. 1936}.}