Carnap an Olga Neurath, Rangeley/Maine, 27. August 1936 Rudolf Carnap an Olga Neurath, 27. August 1936 August 1936

Liebe Olga!

Wir haben entdeckt, daß das Magazin „Reader’s Digest“ eine Braille Edition herausbringt und haben Dir eine Nummer zuschicken lassen. Das Magazin ist ja leider nicht besonders gut, aber vielleicht macht es Dir doch Spaß. Wenn das der Fall ist, möchten wir es Dir dauernd zuschicken lassen. Es ist das die einzige amerikanische Zeitschrift, die eine Brailleausgabe herstellt. Wenn Du Dir lieber etwas anderes wünschen möchtest, dann sags, bitte.

Wie es uns so ergangen ist, wirst Du ja wohl von Neurath gehört haben. Es ist immer sehr viel Betrieb, sodaß man nicht recht zum Briefeschreiben kommt. Die Vorlesungsvorbereitungen in Englisch nehmen immer noch viel Zeit in Anspruch und dann gibts natürlich auch viel mehr Privatgespräche als in Europa. Es macht ja Spaß und trägt zum Teil auch gute Früchte, ist aber doch recht anstrengend. Im Mai und Juni waren wir in Virginia in den Bergen; da wollte ich nur schnell ein Manuskript über „Testability“ fertig machen, das ich im vorigen Sommer geschrieben hatte, und sonst vorwiegend Ferien machen. Aber wie das schon so geht, habe ich doch die ganzen 6 Wochen daran gewendet und die Sache ziemlich neu geschrieben. Und dann kam die Summer School in Harvard. An sich wars recht erfreulich, denn ich hatte in dem Kurs für Fortgeschrittene ein besonders gutes Auditorium, fast nur Doktoren und Philosophie-Instructors. Aber da hat mich die Hitze und das frühe Aufstehen (ich hatte einen Kurs jeden Tag um neun) ganz schlapp gemacht, so daß ich schon wirklich sehr begierig war auf die 2 Wochen Ferien, die ich jetzt mit InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap und FeiglPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl mache. Wir sind an einem großen See in Maine; es ist schon richtig herbstlich und kühl. Mitte September ist dann der große Klimbim in Harvard. Vorher halte ich 2 Vorträge, im allgemeinen dürfte das ein ruhigerer Monat werden. Daß ich von Chicago eine Einladung für drei Jahre habe – die dann unter normalen Umständen immer wieder auf je drei Jahre verlängert werden soll –, hat Dir Neurath wohl erzählt. Nun wünschte ich nur, daß er die Prager Stelle bekäme. Ich habe übrigens nichts gehört, ob er jetzt im September herüberkommt. Wir sind bis zum 19. Sept. in Cambridge und dann bis Ende September mit dem Auto unterwegs und bekommen da keine Post. Am 1. Okt. fangen die Vorlesungen in Chicago an.

Wir verfolgen mit Spannung die Vorgänge in Spanien, über die die Zeitungen hier täglich ausführlich berichten. Das alles wird starke Rückwirkungen auf die allgemeine Lage in Europa haben!

Mit herzlichen Grüßen, auch von InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap und FeiglPFeigl, Herbert, 1902–1988, öst.-am. Philosoph, seit 1931 verh. mit Maria Feigl, und auch an Neurath und MiezePNeurath, Marie, 1898–1986, geb. Reidemeister, auch Reidemeisterin, Mieze, MR, Mary, dt.-brit. Pädagogin und Sozialwiss., Schwester von Kurt Reidemeister, heiratete 1941 Otto Neurath

Dein
C.

Brief, Dsl., 1 Seite, RC 102-52-33; Briefkopf: msl. Rangeley, Me., den 27. August 1936.


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