Neurath an Carnap, Den Haag‚ 24. November 1935 Otto Neurath an Rudolf Carnap, 24. November 1935 November 1935

Lieber Carnap!

Jetzt muß man Dir bald fröhliche Reise wünschen. Leider habe ich von Dir keine Bemerkungen zu meinen KongreßtextenBNeurath, Otto!„Une Encyclopédie internationale de la science unitaire“BNeurath, Otto!„Einzelwissenschaften, Einheitswissenschaft, Pseudorationalismus“BNeurath, Otto!1936@„Mensch und Gesellschaft in der Wissenschaft“, Actes du Congrès international de philosophie scientifique, Sorbonne, Paris 1935 II, Paris, 1936, 32-40 bekommen, wohl aber von HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel.1Von Neurath erschienen in den Kongreßakten: „Einzelwissenschafen, Einheitswissenschaft, Pseudorationalismus“, „Mensch und Gesellschaft in der Wissenschaft“, „Une Encyclopédie internationale de la Science unitaire“. Auf letzteren Text (bzw. das deutsche Manuskript) hatte Carnap bereits oben, Brief Nr. , reagiert.1Von Neurath erschienen in den Kongreßakten: „Einzelwissenschafen, Einheitswissenschaft, Pseudorationalismus“, „Mensch und Gesellschaft in der Wissenschaft“, „Une Encyclopédie internationale de la Science unitaire“; im Folgenden nimmt Neurath vor allem auf erstgenannten Aufsatz Bezug. Er hat zu meinem Entwurf geäußert, daß man den Eindruck bekomme, als ob ich der Empirie, dem Experiment usw. nicht genug Raum gewähre.2Vgl. Hempels Bemerkungen zu Neurath, „Einzelwissenschafen, Einheitswissenschaft, Pseudorationalismus“, die auch an Carnap gingen (RC 110-02-04). Ich hatte schon Dir geschrieben, daß ich es trivial fände‚ so was noch zu betonen. Aber nunmehr habe ich mir überlegt, daß, wenn so freundschaftlich eingestellte Menschen das sagen, irgendwas nicht in Ordnung sei. Ich habe nun überdacht, ob die Grundanschauung nicht stimme – da glaube ich ist alles vertretbar. Aber ich habe nunmehr eine ausdrückliche Erklärung über Sätze, in denen von Experimenten usw. gesprochen wird, in der Schlußfassung eingefügt und alles im Sinne dieser Betonung gefärbt. Ich hoffe, daß das jetzt genügt. Ich würde mich freuen, wenn der TextB jetzt eine eirenische Färbung bekommen hat. Wir sind doch sozusagen allesamt arme Sünder. Selbst Du, der Du doch das „Vorschlagen“ vorgeschlagen hast, brachtest die „Wahrheit“ nicht als Vorschlag.

Ich hoffe, Du wirst das ändern und vielleicht andeuten, weshalb Du meinen doch immerhin auch konsequenten Vorschlag‚aKsl. (das hat Lutman in diesem Aufsatz gezeigt). den Terminus „Wahr“ für die bevorzugte Satzmasse zu reservieren, einfach ablehnen mußt. Aber wichtig ist das nicht.

Wichtiger ist schon, daß Du eine Form für die Auseinandersetzung über die unwiderruflichen Sätze findest, die nicht SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick wieder ärgert und ihm Anlaß gibt zu sagen, er sei mißverstanden worden. Man muß doch lieb mit ihm sein, wenn er auch so ungut ist. Aber wenn wir untereinander nicht Frieden halten, wie wollen wir Frieden verbreiten.

Ich denk mir aber freilich auch, daß Du Deine Bemerkung über das „Vergleichen“ von Sätzen und Dingen auf das Maß bringst, das vielleicht zweckmäßiger wäre. Denn ich würde ja später mal feierlich erklären, wie ich Dir sagte, daß ich sowohl den Satz zulasse: R vergleicht den Satz A in Bezug auf dies und das mit dem Ding B, als R macht ein Experiment und betrachtet in Verbindung damit den Satz A, um ihn daraufhin in B zu ändern. Ich würde aber meinen, daß man den Terminus „vergleichen“ da vermeiden soll, wenn man nicht sagt in Bezug worauf. Ich wiederhole das aus meinem vorigen Brief, weil ich dies unverändert so sehe.3Vgl. Neuraths Bemerkungen zu Carnap, „Wahrheit und Bewährung“, RC 110-02-01, S. 3–5. Aber Deine liebevolle Gesinnung wird schon einen Weg finden, mir eine kritische Note zukommen zu lassen, ohne mir prinzipiell unrecht zu tun, was, wie mir scheint, jetzt der Fall ist.

Es würde mich sehr freuen, wenn meine jetzige SchlußfassungBNeurath, Otto!„Einzelwissenschaften, Einheitswissenschaft, Pseudorationalismus“ Dir zusagt.4Gemeint ist wohl Neurath, „Einzelwissenschaften, Einheitswissenschaft, Pseudorationalismus“, eventuell auch „Mensch und Gesellschaft in der Wissenschaft“. Wenn Du was an Änderungen vorschlägst, schreib es rasch, vielleicht muß ich mit Absendung des ManuskriptsBNeurath, Otto!„Einzelwissenschaften, Einheitswissenschaft, Pseudorationalismus“ noch warten, weil noch ein und der andere Text kommt. Es ist das allermeiste schon da! Fein! Ich denke, Anfang 1936 ist alles gedruckt. Na, was sagt man. Und der Prager PhilosophenkongreßIInternationaler Kongress für Philosophie@8. Internationaler Kongress für Philosophie, Prag, 2.-7.IX.1934 hat noch immer nicht publiziert, obgleich er doch vorher die Referate druckte. Bitte wann kommt das?

Jetzt war zu unserer großen Freude Pepi FrankPFrank, Josef, 1885–1967, öst.-schwed. Architekt da. Man schmiedet Pläne, brütet Chancen aus, arbeitet viel im Büro, es häufen sich Aufträge, aber die Finanzen sind noch nicht saniert. Ich habe weitere Vorträge usw. vor. Hoffentlich gelingt es Dir, in USA etwas für die EnzyklopädieIFoundations of the Unity of Science und für mich zu erreichen.

Die Weltereignisse beschäftigen uns sehr, zumal auch manche unserer Büroarbeiten sich auf sie beziehen. FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank hat mir leider die EnzyklopädiekorrekturenBNeurath, Otto!„Une Encyclopédie internationale de la science unitaire“ von Dir noch nicht geschickt.5Gemeint sind Carnaps Anmerkungen zu Neurath, „Une Encyclopédie internationale de la Science unitaire“; vgl. oben, Brief Nr. .

Gute Grüße von uns allen an Euch zwei beide.

Gruß

Dein
Nth

Brief, msl., 1 Seite, RC 102-50-07 (Dsl. ON 220); Briefkopf: msl. 24. Nov. 1935.


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