Rudolf Carnap an Karl Popper, 5. November 1935 November 1935

Lieber Herr Popper!

Ich habe mehrmals mit FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank und dem jetzigen Dekan, Prof. Wenzel PollakPPollak, Leo Wenzel, 1888–1964, tschech.-irischer Geophysiker (Geophysiker) über die Frage Ihrer Habilitation gesprochen. Zunächst habe ich über die erforderlichen Formalitäten folgende Auskunft bekommen. Sie müßten zuerst hier ein Doktorat haben. Es hier neu zu machen, würde sicherlich zu teuer sein, da mindestens 2 Semester hiesiges Studium (d. h. belegen) gefordert werden, die nicht erlassen werden können; die Studiumsgebühren sind für Ausländer sehr hoch. Dazu kommen dann die hohen Promotionsgebühren. Es wäre also richtiger, wenn Sie Ihr Wiener Doktorat hier nostrifizieren lassen würden. Gebühr 1800 Kč, dazu 250 Kč für Promotion (1 öst.S = ungefähr 4‚50 Kč). Das Nostr[ifizierungs]-Gesuch würde wahrsch[einlich] vom MinisteriumI bewilligt werden, aber etwa ½ Jahr dauern. Dann müßte die mündliche Prüfung hier wiederholt werden, vielleicht aber nur die Hauptprüfung. Das würde ja für Sie nur eine Formalität sein. Dann erst könnten Sie ein Habil[itations]-Gesuch einreichen. Als Arbeit könnten Sie Ihr BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 nehmen. Sie müßten während der Hab[ilitations]-Angelegenheiten nicht dauernd hier sein, aber zweimal herkommen: für Colloquium und f. Probevorlesung. Das würde etwa 1 Semester dauern. Dann geht die Sache ans MinisteriumI. Und da ist nun der Haken. Das Min[isterium]I scheint nicht sehr geneigt, Ausländer zu habil[itieren]; es lehnt nicht gerade ab, um die FakultätIPhilosophische Fakultät der Deutschen Universität Prag nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern behandelt die Sache einfach nach alt-österr[eichischer] Tradition „dilatorisch“. So ist z. B. die Habil[itations]-Angelegenheit von BeckPBeck, Guido, 1903–1988, tschech.-argentin. Physiker, der inzwischen schon gar nicht mehr hier ist, sondern schon seit 1 Jahr in Amerika Vorlesungen hält, noch nicht erledigt, es ist bisher überhaupt keine Antwort erfolgt; und dabei lagen für B[eck]PBeck, Guido, 1903–1988, tschech.-argentin. Physiker vorzügliche Urteile ausländischer Physiker vor. – Schließlich hatte der DekanPPollak, Leo Wenzel, 1888–1964, tschech.-irischer Geophysiker noch ein Bedenken. Die Nostr[ifizierung] könnte zwar schon gemacht werden; aber die Hab[ilitations]-Angelegenheit möchte er nicht gern vor die Fak[ultät]IPhilosophische Fakultät der Deutschen Universität Prag bringen, bevor die Angelegenheit der Berufung von Freundlich an unsre Fak[ultät]IPhilosophische Fakultät der Deutschen Universität Prag ganz im Reinen ist, damit nicht diese Angel (bei der schon Bedenken von einigen Antisemiten vorlagen, die aber im Hinblick auf die Ansicht der Majorität der Fak[ultät]IPhilosophische Fakultät der Deutschen Universität Prag zurückgestellt wurden) durch eine neue Aufrollung der prinzip[iellen] Frage in einer polit[ischen] Diskussion vielleicht noch in letzter Stunde wieder ins Schwanken gerät.

Ich weiß also nicht recht, was ich Ihnen raten soll. Die Frage ist augenblicklich, ob Sie die hohen Kosten der Nostrif[izierung] dranwenden wollen, solange nicht klar ist, ob und wann die weiteren Schritte gemacht werden können. Vielleicht ist es da doch ratsamer, zunächst abzuwarten. Falls Sie aber doch wollen, werde ich Ihre Angelegenheit selbstverständlich mit allen Kräften unterstützen.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr
ksl.

Dem Prof. BenjaminPBenjamin, Abram Cornelius, 1897–1968, am. Philosoph aus Chicago, der vor einigen Tagen von hier nach Wien gefahren ist, habe ich Ihre Adresse gegeben; ich weiß aber nicht, ob Sie schon aus England zurück sind.

Brief, msl. Dsl., 1 Seite, RC 102-59-40; Briefkopf: msl. Prag, den 5. Nov. 1935.


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