W.V.O. Quine an Rudolf Carnap, 23. September 1935 September 1935

Lieber Herr Carnap!

Es freut uns sehr, zu lernenerfahren, daß Sie früh nach Amerika kommen werden! Wir sehen dasem Ende Dezembers mit größtem Vergnügen entgegen. Es ist der Hauptzweck dieses Briefes, Sie zu überzuzeugen, daß es am besten ist, hinreichend früh abzureisen, mindestens eine Woche bei uns verbringen zu können, bevor Sie nach Baltimore fahren werden.

Ich habe schon festgestellt, daß Sie als Gast bei der “Kerlgesellschaft”ISociety of Fellows Harvard, Cambidge MA [eine bei mir übliche Bezeichnung, die von einer Zweideutigkeit des englischen Wortes “fellow” abhängt]1Klammer vom Autor. am Abend des 23. Dezember höchst willkommen sind, wenn es auch es sonst keinen der üblichen wöchentlichen Schmäuse so nah an den Weihnachten geben würde; es wird nämlich letztenfalls einen besonderenr um Ihren willen gehalten, worin alle diejenigen der GesellschaftISociety of Fellows Harvard, Cambidge MA teilnehmen werden, die noch so nah an den Weihnachten vorhanden sind. [Auch habe ich gelerntgehört, daß einige vorhanden sein werden, wenn Sie da sein werden, die sonst weg sein würden.]2Klammer vom Autor. Da würden Sie einige der wichtigsten der Behörden kennen lernen, u. a. den Dekan der UniversitätP, möglicherweise den Preäsident der U[niversität]P, bestimmt den vormaligen Preäsident, auch HendersonPHenderson, Lawrence Joseph, 1878–1942, am. Chemiker und CurtisPCurtis. Auch würden Sie während Ihrers Aufenthalts die verschiedenen Philosophen kennenlernen. Ich meine sehr (so meint auch mein Freund Dr. SkinnerPSkinner, B. F., 1904–1990, am. Psychologe), daß es Ihnen vom Standpunkt einer zukünftigen hiersigen Professur sehr vorteilhaft wäre, betreffende Gelehrte möglichst früh kennenzulernen. Die Räder mahlen langsam.

Sofern handelt es sich nur um akademische Vorteile. Nun möchte ich hinzufügen, daß es unser ernster Wunsch ist, Sie beide möglichst bald zu sehen, und Sie bei uns für die Weihnachten zu haben. Ich möchte Sie also pressendrängen, ein Schiff direkt für Boston zu nehmen [dadurch würden Sie die ungefähr 15 Dollars sparen, die es zwei Personen kostet, von Neu-York nach Boston mit Zug zu fahren]3Klammer vom Autor., derart, daß Sie vor dem 23. Dez. ankommen werden. In unserer neuen Wohnung haben wir Platz genug; und Sie werden bei uns so viel arbeiten dürfen, wie Sie wollen. Nah am Ende des Jahres werden Sie und ich zusammen nach Baltimore fahren können, mit irgendeinem anderen, z. B. CooleyPCooley, John C., am. Philosoph, der eine Auto besitzt. Inm Vergleich mit dem Zugfahrgeld würde das Verteilen der Autodepense uns viel Geld sparen; auch würde es angenehmer sein. Inzwischen wird InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap mit NaomiPQuine, Naomi, 1907–1997, geb. Clayton, 1932–1947 verh. mit Willard Van Orman Quine bleiben können, und umzu solcher Zeit nach Chicago abreisen, mit Ihnen während der Reise zusammenzukommen. (Sie würden vermutlich von Baltimore nach Chicago direkt mit einem Zug fahren.)

Ich hoffe sehr, daß dieser Vorschlag annehmlichbar sein wird.

Besten Dank für die Schriften 5B1926@Physikalische Begriffsbildung, Karlsruhe, 1926, 8B1928@Scheinprobleme in der Philosophie. Das Fremdpsychische und der Realismusstreit, Berlin-Schlachtensee, 1928, 13FB und 19FB, die zu besitzenes mich sehr freut, zu besitzen. Außerdem hatte ich 5B1926@Physikalische Begriffsbildung, Karlsruhe, 1926 und 13FB sogar nie gelesen; ihr Lesen hat mir vieles Vergnügen und (insbes[ondere] 5B1926@Physikalische Begriffsbildung, Karlsruhe, 1926) vielen Nutzen geleistetgebracht.

Besten Dank für die schöne RezensionB, die Sie meinem BucheBQuine, Willard Van Orman!1934@A System of Logistic, Cambridge MA, 1934 gewährt haben, und für die Exemplare davon, die Sie mir geschickt haben.

CurtisPCurtis war sehr erfreut, Ihre drei Sendungen zu bekommen, und hat mich unterrichtetgebeten, Ihnen seinen herzlichen Dank mitzuteilen. Eine Antwort von HaskellPHaskell, Edward, 1906–1986, bulgar.-am. Philosoph wird hier beigeschlossen.

Die Gastfreundlichkeit, womit Sie meinen Freund Tom ChambersPChambers, Tom, am. Chemiker bewill🕮kommennet haben, wird von ihm unddanken er und auch von mirich Ihnen sehr verdankt. Der Besuch bei Ihnen, und der Ausflug anuf den Hradschin bilden für ihn angenehme Erinnerungen.

Deras Exemplar meiner voriges Jahr begehaltenen Vorträge über Ihrer ArbeitenB ist mir noch nicht zurückgeschickt worden. Waenn ich es bald bekommen werden, werde ich es Ihnen gleich schicken; sonst werden Sie es in Amerika lesen können.

Wir haben jetzt ein gesundes 26 Tage altes „Elisabeth“PQuine, Elizabeth, *1935, Tochter von Willard Van Orman und Naomi Quine gennantes Kind. NaomiPQuine, Naomi, 1907–1997, geb. Clayton, 1932–1947 verh. mit Willard Van Orman Quine hat Schwierigkeit gehabt, ist jetzt aber genesend.

Ihr Brief an LangfordPLangford, Cooper Harold, 1895–1964, am. Philosoph hat mich sehr interessiert. Damit bin ich natürlich ganz einverstanden, meines Studiums Ihrer Arbeit wegen‚ganz einverstanden.

Die Bezeichnung „Scientific Philosophy“ bringt die Philosophie der Naturwissenschaften (die vielmehr „Philosophy of Science“ zu bezeichnen wäre) gar nicht bei, sondern die in wissenschaftlicher Weise getriebene Philosophie. Insofern scheint die Bezeichnung zu passen. Nichtsdestoweniger klingt sie mir gar nicht gut – ich weiß nicht genau warum. Vielleicht hängt dies irgendwie von dem Mißbrauch ab, den das Wort „scientific“ in Amerika geleidetitten hat (z. B. in den unredlichen Geschäftsreklamen – für Zahnpaste usw.–, auch beim religiösen Fadismus). Das Wort bleibt gebraäuchlich, aber man muß auf den Klang ders Zusammenhangs sehr aufpassen. Ich kann keine allgemeine-Regel aufstellen, nur mein Gefühl in eEinzelfällen mitteilen. Z. B. klingt mir „Philosophy as a Science“ ganz gut – auch „Scientific Method in Philosophy“, wenn dies nicht schon von RussellPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph, in zweiter Ehe verh. mit Dora Russell, ab 1936 verh. mit Patricia Russell vorgekauftweggenommen wäre Oder warum nicht Ihr früher angewandter Titel „Philosophy and Logical Syntax“?

Mit besten Grüßen Ihnen beiden, auch von NaomiPQuine, Naomi, 1907–1997, geb. Clayton, 1932–1947 verh. mit Willard Van Orman Quine

Ihr
W. V. Quine

P.S. Ich sende gleichzeitig noch einige Exemplare meiner Rezension Ihres Buches.4hsl.

Brief, msl., 2 Seiten, WQ; Briefkopf: msl. 91 Washington Avenue  /  Cambridge, Mass., U.S.A.  /  d. 23. Sept. 1935.


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