Rudolf Carnap an Otto Neurath, 31. Juli 1935 Juli 1935

Lieber Neurath!

Den Vorschlag der Kombination CarnapPCarnap, Rudolf, 1891-1970, dt.-am. Philosoph, 1917-1929 verh. mit Elisabeth Carnap und ab 1933 mit Ina Carnap-TarskiPTarski, Alfred, 1901–1983, poln.-am. Mathematiker und Logiker-LutmanPKokoszynska@Kokoszyńska-Lutman, Maria, 1905–1981, poln. Logikerin erfuhr ich erst aus Deinem Brief vom 26. und gleichzeitig aus einem Brief von RougierPRougier, Louis, 1889–1982, fr. Philosoph.1Louis Rougier an Rudolf Carnap, 28. Juli 1935, RC 029-24-03. Beiliegend Durchschlag meiner Antwort an ihn.2Rudolf Carnap an Louis Rougier, 31. Juli 1935, ON 220; der Vorstoß Rougiers resultierte aus der veralteten Titelangabe von Carnaps erstem Vortrag im gedruckten Programm „Logische Syntax“ (von Carnap mittlerweile ersetzt durch „Von der Erkenntnistheorie zur Wissenschaftslogik“ ). Mir schreibt er es als Vorschlag von sich aus. An Frau LutmanPKokoszynska@Kokoszyńska-Lutman, Maria, 1905–1981, poln. Logikerin hatte ich nur geschrieben, daß mich ihr MSBKokoszyńska-Lutman, Maria!1936@„Syntax, Semantik und Wissenschaftslogik“, Actes du Congrès international de philosophie scientifique, Sorbonne, Paris 1935 III, Paris, 1936, 9-14 sehr interessiert, und daß die Hauptgedanken daraus für KongreßIKongressfuerEinheit@1. Kongreß für Einheit der Wissenschaft/Congrès International de Philosophie Scientifique, Paris, 16.-21.IX.1935 sehr geeignet wären; nichts über meinen Vortrag. Möglicherweise habe ich in Wien eine Bemerkung zu TarskiPTarski, Alfred, 1901–1983, poln.-am. Mathematiker und Logiker gemacht, das unsre 3 Vorträge gut zusammenpassen würden (dem Inhalt nach). Da Du meine beiden Vortragspläne billigst, stimme ich Dir zu, daß es am besten ist, die Generallinie des Programms aufrecht zu erhalten.

Zum Programm (v. 29.). Im allgemeinen sehr einverstanden. Ich hatte voriges Jahr nur 1 Sektion zu deichseln.3Beim 8. Internationalen Kongreß für Philosophie in Prag leitete Carnap die Sektion (bzw. einen Teil der Sektion) „L’importance de l’analyse logique pour la connaissance“. Daher weiß ich gut zu würdigen, was Du leistest, nicht nur das Maß an Mühe, sondern auch, daß Du es mit so gutem Erfolg zustande bringst, die Leute unter einheitliche Themata zu ordnen. – Wird nicht vielleicht 16. Vormittag zu ermüdend mit 9 Referaten? Referat allein ohne Diskussion ermüdet viel mehr. Mindestens ChwistekPChwistek, Leon, 1884–1944, poln. Mathematiker verschieben, vielleicht auch SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick. – TarskiPTarski, Alfred, 1901–1983, poln.-am. Mathematiker und Logiker, LutmanPKokoszynska@Kokoszyńska-Lutman, Maria, 1905–1981, poln. Logikerin 17. Vormittag scheint mir gut. – Aber alle werden dahin gehn, keiner zu WoodgerPWoodger, Joseph Henry, 1894–1981, Sok[c]rates genannt, brit. Biologe und Philosoph, verh. mit Eden Woodger. Findest Du nicht für den irgendwo ein Plätzchen in einer Vorzugssektion? Meist ist doch eine der Sektionen, die gleichzeitig sind, die wichtigste, wo die meisten unseres engeren Kreises zugegen sein werden. – Bin mit Kompromiß über gemeinsame Vorträge gern einverstanden.

Redezeit für Diskussion festsetzen? Vielleicht gleich bestimmen, daß Ausnahmen gewährt werden für solche, deren Arbeiten oder Probleme in den Vorträgen behandelt worden sind, z. B. für Dich nach meinem Vortrag über Wahrheit, für mich nach TarskiPTarski, Alfred, 1901–1983, poln.-am. Mathematiker und Logiker, für ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach nach HosiassonPHosiasson-Lindenbaum, Janina, 1899–1942, poln. Logikerin, verh. mit Adolf Lindenbaum usw.

Wenn Du Programm druckst, gib die Themen der einzelnen Tage dabei an! Wenn Du schon mal schön ordnest, sollens die Leute auch merken!

Enzyklopädie. Interessiert mich sehr stark. Mit Grundsätzlichem einverstanden. Ich habe aber nicht ersehen können, wie das Äußere geplant ist, welcher Umfang etwa, wieviel Mitarbeiter etwa, wieviel Hefte gleichzeitig erscheinen. Hat GeroldIVerlag Gerold Kapital genug für so großes Werk? – Ich möchte vielleicht dazu referieren über „Logische Probleme der Vereinheitlichung der Begriffe“.4Publiziert als Carnap, „Über die Einheitssprache der Wissenschaft“. Da will ich aber weniger auf die Vereinheitlichung der Terminologie eingehen, als auf die logische Vereinheitlichung, im Zusammenhang mit dem Physikalismus und mit einigen neueren Überlegungen über Begriffsbildung. Dazu müßte ich aber mindestens 15 min. haben; die übliche Diskussions-Zeit wäre nicht genug.

Mein Vortragsthema. Mit „log. Empirismus“ hatte ich „logischen“ oder „logistischen“ gemeint; „logisierend“ gefällt mir nicht sehr gut. Schreib „logistisch“, oder bloß: „Die Auflösung der Erkenntnistheorie“. 🕮

Bin sehr für strenge Zeitbegrenzung der Redner. In Prag (großer Kongreß)IInternationaler Kongress für Philosophie@8. Internationaler Kongress für Philosophie, Prag, 2.-7.IX.1934 waren wir zu nachsichtig. Aber Dauerglocke ist doch wohl zu arg; die meisten Vorsitzenden werden das nicht mögen und dann gar nichts tun. Vielleicht so: nach 15 min. Glockenzeichen und Mitteilung „15 Minuten; bitte zum Abschluß kommen!“; nach 20 Minuten schließen (oder vielleicht, wenn Redner verlangt, das Publikum fragen, ob weitere höchstens 5 min. bewilligt werden). Laß „Anweisung für die Vorsitzenden“ (wohl französisch) vervielfältigen! Schick vorher Entwurf zur Besprechung an die 5!

Deine RossPRoss, Alf, 1899–1979, dän. Philosoph-RezensionBNeurath, Otto!Rezension „A. Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis“ hab ich schon im Nov. an ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach geschickt. Das hätte er jetzt in Heft 4 setzen müssen, hat es aber verbummelt. Ich werde ihn erinnern, damit es ins nächste kommt, wo auch Dein AufsatzBNeurath, Otto!„Pseudorationalismus der Falsifikation“5Gemeint ist die ist Neuraths Auseinandersetzung mit Popper, schließlich publiziert als Neurath, „Pseudorationalismus der Falsifikation“. erscheinen wird, wenn Du ihn rechtzeitig bringst.

Mit herzlichen Grüßen

Dein
Carnap

Wir reisen morgen ab.aHsl. Einschub.

Brief, msl., 2 Seiten, ON 220 (Dsl. RC 029-09-15; diese Nummer ist zweimal vergeben); Briefkopf: gedr. Prof. Dr. Rudolf Carnap\,/\,Prag XVII.\,/\,Pod Homolkou 146, msl. Prag, den 31. Aug. 1935, hsl. korrigiert zu Juli.


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