Otto Neurath an Rudolf Carnap, 29. Juli 1935 Juli 1935

Lieber Carnap!

Mit wirklicher Verwunderung las ich Deinen lieben und so durchaus verständigen Brief, nachdem ich gestern auf Rougiers Brief hin ein wenig betrübt geschrieben hatte. Du Weißt es ist technisch übel, und auch prestigemäßig nicht gut, wenn im letzten Moment der Gesamtplan eines Kongreß geändert wird. Aber Rougier schrieb so bestimmt, daß ich annahm, Du habest – was mir natürlich unverständlich war, weil Du mich ja möglichst orientierst – eben mit Tarski und Lutman etwas besprochen, was gänzlich außer der Linie lag. Rougier, der lebhafte Franzose ist stark beeindruckbar, besonders wenn man ihm etwas so intensiv beim Thee vorträgt, wie dies Tarski und Lutman getan haben. Nun bin ich doch Tarski im höchsten Masse gewogen, aber ich bin sehrdagegen etwas grundsätzlich zu ändern, was man intensiv publiziert hat, sosehr ich einverstanden bin, innerhalb einer Generallinie alles hin-und herzuschieben. Dein Brief beruhigt mich wirklich sehr. Ich bitte Dich dringend bleibe bei diesem Entschluß, der ausgezeichnet gut paßt. So sehe ichs.

Ich antworte nun punktweise:

Ich setze an im Programm, falls wirs irgendwo publizieren:

16. September: Carnap: Die Auflösung der Erkenntnistheorie durch den logisierenden Empirismus. Paßt ausgezeichnet als Fortsetzung von Reichenbach. Wenn Du Gelegenheit hast, schreibe Rougier, wie sehr Du meinen Vorschlag begrüßt, durch eine dauernd brummende Glocke nach 20 Minuten jedes Weiterreden physisch auszuschließen. Es kann ja jeder in der Diskussion nachtragen, was er sagen wollte, dadurch wird die Diskussion reicher. Sogar unser lieber Reichenbach wird sich fügen müssen.

Ich setze weiter ins Programm, dort wo jetzt Braithwaite steht von Dir: Über Wahrheit und Bewährung. Ich halte es für sehr gut, daß Du an erster Stelle sprichst und nicht erst in der Diskussion. In der kann ich ja Dir sekundieren. Mir ist es sehr erwünscht, wenn Du die Frage Schlick-Neurath weiter klärst. Ich habe ja sehr betont, daß alles entweder Realwissenschaften oderLogik sein müsse. Die Diskussion über Wahrheit und Bewährung halte ich für wichtig, weil ja in meiner Darstellung, dies beides näher beinanderliegt, als bei fast allen anderen Anschauungen. Ich werde ja ein wenig darüber sagen, wenn ich über Stellung der Einzelwissenschaften sprechen will im Rahmen der Einheitswissenschaft. Ich weiß noch nicht welchen genauen Titel ich wähle. „Vom metaphysischen System zur systematischen Enzyklopädie“ wäre nicht schlecht glaube ich und knüpft an unsere Pläne am 21.an. Ich halte ja die Enzyklopädie das “Modell“ unserer Wissenschaft, nichtdas „System“. Darüber kann man sehr wichtiges sagen. Das hängt mit dem Problem der Querverbindungen usw. zusammen.

Deine Worte über die Schwierigkeit ein Programm festzustellen sind auf mein wundes Herz geträufelt. Rougier, der ja so nett und umgänglich ist, glaube ich verletzt leichter als ich ohne es zu wollen Menschen (ich tus oft genug, jeder von uns) so hat er offenbar Boll in Wut versetzt. Und ich bin jetzt beim umdisponieren in einem schon gedruckten Detailprogramm, sehr vorsichtig. Im allgemeinen soll man nach vorneverlegen. Ich kann z. B. Braithwaite den Einführungsvortrag nehmen und Dir geben, wenn er dafür weiter nach vorn kommt, wenn auch vorn und hinten sachlich motiviert ist. Aber er sieht sich nun an einer bestimmten Stelle usw. Aber kommt er an den ersten Tag nimmt ers hin. Außerdem, wird ja Deiner Anregung entsprechend, siehe meinen Brief an Rougier, am 17. Nachmittag kein gemeinsamer Vortrag sein! Du „führst“ in Richelieu. Wer in im Descartes „führen“ wird, weiß ich noch nicht.

Es steht ganz genau, daß der ersteVortrag immer im Richelieu ist und die anschließenden Vorträge sind die „zu ihm passenden“ so daß die Diskussion für den gemeinsamen Richelieuvortrag immerim Richelieu sein werden. Sieh nochmals den Entwurf an, dann wirst Du das sehn. Also immer der in der erstgenannten Sektion. (I. Sektion-Saal Richelieu) (II. Sektion-Saal Descartes) (III. Sektion-Saal Turgot). Ich glaube mit meinem Kompromiß, daß wir nur an den drei Vormittagen 17.18.19. gemeinsame Vorträge haben bist Du einverstanden. Und am 19. zwei Reichenbach und Łukasiewicz . Damit wird die große Debatte Induktion. Empirie, usw. eingeleitet, die am Tag vorher mit Deinem Vortrag „Wahrheit und Bewährung“ vorbereitet wurde, der aber mehr logisch aufklärend ist und nicht gerade das Induktionsproblem anschneidet, wenn ich recht verstehe. Jedenfalls hast Du es in der Hand so zu sprechen, daß allen der Mund wässert, am nächsten Tag über Induktion usw. näheres zu hören. Ich werde für den 17. Nachmittag im Anschluß an die von Dir geführte Reihe Hempel als Diskussionsredner voranmelden. Er hat das wohl verdient, daß er dazu als erster spricht.

Da jetzt Tarski, den doch die Wiener sicher hören wollen, am 17. September Vormittag spricht, möchte ich Deinem guten Rat folgend, statt Feigl zu Hempel zu setzen, Hempel zu Tarski setzen, was sehrgut geht, weil ich ja Chwistek nach vorn dirigiert habe. Rougier, Tarski, Hempel – das sind sozusagen Wiener Stars. Und die Dr Lutman gehört doch dazu, die kennen wir doch von Prag her. Außer Matisse sind wie sozusagen intim beieinander. Das hat sehrviel für sich. Und ich habe mich ja überall bemüht, das zu berücksichtigen, auch hinsichtlich der anderen, und dennoch die nationale Mischung zu erreichen. Z.B. dieser Tag:

Franzose, Franzose, Pole, Pole, Deutscher, - Fein gel? Ein Puzzlespiel, mit viel Ärger.

Jetzt haben wir folgende Diskussionen sicher

Am 16. Vor-und Nachmittag zusammen. Physikalismus, Einheitswissenschaft.

Am 17. Vormittag Wissenschaftslogik und Semantik. Pseudoprobleme.

Am 17. Nachmittag Protokollsätze usw.

Am 18. Ganzen Tag: Induktion, Wahrscheinlichkeit usw.

Am 20. Vereinheitlichung der Symbolik usw.

Ich bin jetzt ungemeinzufrieden.


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