\brief{Rudolf Carnap an Otto Neurath, 10. Juli 1935}{Juli 1935} \haupttext{ Carnap. Bemerkungen zu Neuraths Entwurf des Kongreßprogramms. \medskip \uline{Allgemeines}. In großen Zügen einverstanden. Die Hauptthemata sind gut gewählt, ebenso die Verteilung der Redner auf die Themata. Betonung der gemeinsamen Sitzungen ist gut. Trotzdem wird Einschränkung dieser Sitzungen unerläßlich sein, aus Zeitmangel. Sicherlich werden sich in den beiden Monaten noch sehr viele zu Vorträgen anmelden. Da hilft nur: mehr Halbtage für Sektionen hergeben (obwohl das gewiß schmerzlich ist) und: mehr Sektionen gleichzeitig (obwohl die Nachteile auch ersichtlich). Darum kann ich dem Prinzip „an den beiden ersten Tagen keine Sektionen“ nicht unbedingt zustimmen, sondern nur, falls das gut geht. Vorm\editor{ittags} höchstens 5, nachm\editor{ittags} höchstens 4; ja! Höchstens! Besser sogar noch weniger, um Raum für Diskussion zu lassen. Aber an Sektions-Halbtagen auf keinen Fall auch noch gemeinsamen Vortrag! Nachher ganz unmöglich, weil die Sektionen zu verschiedenen Zeiten enden. Und vorher sehr schlecht, weil viel Zeit durch die neue Verteilung der Leute verloren geht und die Sektionen zeitlich zu kurz kommen würden. Ich plädiere noch einmal dringend für Anfang 9\textonehalf{} Uhr!\fnAmargin{Hsl. \original{ja!}.} Prinzip: Diskussion nicht nach den einzelnen Vorträgen, sondern nach allen Vorträgen eines Halbtags. Nach den Prager Erfahrungen unbedingt nötig. \medskip Ich mache einen unverbindlichen Entwurf, nur als Anregung, im Wesentlichen Neuraths Entwurf, mit Modifikationen: \begin{list}{}{\setlength{\leftmargin}{4mm} \setlength{\itemindent}{-4mm}} \item \uline{I. Tag. Vorm\editor{ittag}:} „Einheitswiss\editor{enschaft} u\editor{nd} Phys\editor{ik}“. Russell, Kotarbiński, Bachelard, Neurath (Allgemeineres, nicht nur üb\editor{er} Soziologie; mit prakt\editor{i"-schen} Ausblicken auf Kooperation der Einzelwiss\editor{enschaften}, auf Enzyklopädie usw.). \item \uline{Nachm\editor{ittag} Sektionen.} 1) Anwendung des Physikalismus: Frank, Boll (oder anderer üb\editor{er} Psychol\editor{ogie}), Neurath (kurz über Soziol\editor{ogie}). Dann Zeit für Disk\editor{ussion} üb\editor{er} Physikalismus!\\ (oder IV. Vorm\editor{ittag}) 2) Mathematik: Lautman, Mariani, Mania, \ldots{} \item \uline{II. Vorm\editor{ittag}} Log\editor{ische} Syntax; Empirismus u. Logik. Carnap, Morris, Rougier, Feigl, (Ajdukiewicz ?) \item \uline{Nach\editor{mittag}}Emp\editor{irismus} u.Logik. Enriques, Tarski („Philosophie, Semantik u. Syntax“ oder ähnliches), \ldots{} \item \uline{III. Vorm\editor{ittag}} Induktion, Wahrsch\editor{einlichkei}, Mehrwertige Logik. \L{}ukasiewicz, Reichenbach, Popper (Induktion); Diskussion. \item \uline{Nachm\editor{ittag} Sektionen.} 1) Induktion u. Wahrsch\editor{einlichkeit} Hosiasson, Schlick (vorgelesen), \ldots{}; Disk\editor{ussion}: Siwek, \ldots{}\\ 2) Ausschaltung von Scheinproblemen. Matisse, Vouillemin, \ldots{}\\ 3) Erk\editor{enntnis}-Th\editor{eorie} u. Psychol\editor{ogie} Tranekjær\fnA{\original{Trankjär}}, \ldots{} \item \uline{IV. Vorm\editor{ittag} Sektionen.} 1) Verifikation, Protokollsätze, Poznanski, (Hempel?), (Carnap?), Braithwaite, \ldots{}\\ 2) Sprache. Massignon, Masson-Oursel, Nicolle, Chevalley.\\ (Viell.: 3) Mathem\editor{atik}, siehe I. Nachm\editor{ittag}) \item \uline{Nachm\editor{ittag} frei.} \item \uline{V. Vorm\editor{ittag} Sektionen.} 1) Wissenschaftslogik einzelner Wissenschaften. Woodger, Hempel, \ldots{}\\ 2) Logik. Gonseth, Lindenbaum, Grelling, Reymond, Sperantia.\\ 3) Soziol\editor{ogie} u. Gesch\editor{ichte} d\editor{er} Wiss\editor{enschaften} Zilsel, Hollitscher, \ldots{} \item \uline{Nachm\editor{ittag} Sektionen}. (Falls dieser Nachm\editor{ittag} nicht noch durch wei \neueseite{} tere Vortragsanmeldungen besetzt werden muß, viell\editor{eicht} ohne festes Programm lassen, damit er offen bleibt für Sektionsdiskussionen, die sich im Laufe des Kongresses als wünschenswert erweisen). \item \uline{VI. Vorm\editor{ittag} Sektionen}. 1) Enzyklopädie. Neurath, \ldots{}\\ 2) \ldots{} (hier keine wichtigen Sekt\editor{ionen} damit alle wichtigen Leute zu (1) kommen; es wird aber nötig sein, auch für weniger Referate noch Zeit anzusetzen). \item \uline{Nach\editor{ittag} Schlußsitzung}. Jörgensen, Rougier. -- Schlußwort (von einem würdigen Herrn, z.\,B. \L{}ukasiewicz ?). \item \uline{VIII.} (Mo.) \uline{Vorm\editor{ittag}}. Kommissionen. 1) Vereinheitlichung der Terminologie und Symbolik der Logik. Carnap, Helmer, Becker. (Ich werde ausführlichen Entwurf eines Fragebogens zur Terminologie vorlegen, der dann später veröffentlicht oder vervielfältigt werden soll. Ich werde vorher noch mit den inbetracht Kommenden darüber korrespondieren.) \end{list} Aus den Prager Erfahrungen ist zu lernen: 1) In der allerletzten Zeit vor dem Kongreß kommen immer noch Vortragsanmeldungen, darunter manche, die man nicht gern abweisen wird. 2) Es müssen unbedingt Sektionen für weniger wichtige Vorträge geschaffen werden; die können ruhig gleichzeitig mit Sektionen, die uns wichtig sind, sein; die meisten Leute werden dann trotzdem zu der wichtigen Sektion kommen. } \grussformel{R. C.} \ebericht{Brief, msl. 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/808987}{ON 220 (Dsl. RC 029-09-27)}; Briefkopf: msl.: \original{10. Juli 1935.} und \original{\uline{für 21. Juli. MITNEHMEN ZU ROUGIER!\,/\,Spezialmappe.}}; Unterschrift fehlt \blockade{eher kein eigener Brief, sondern Beilage}.}