\brief[Carnap an Neurath, Pistyan (Piešťany), 4.~Juli 1935]% {Rudolf Carnap an Otto Neurath, 4. Juli 1935}{Juli 1935} \anrede{Lieber \textit{Neurath},} \haupttext{besten Dank für Deinen Brief vom 21.~Juni u. den v. 25.~Juni. \cutcn{Leider konnte ich den letzteren nur ganz schnell am Bahnhof mit Frank\IN{\frankphilipp} besprechen, da wir uns schnell entschlossen, vor Pistyan noch einige Tag nach Wien zu fahren. Frank\IN{\frankphilipp} und ich sind beide der Meinung, daß es sowohl für deutsche als tschechoslowakische Zeitschriften-Propaganda zu spät ist. Es gibt nur sehr wenige, von denen zwischen jetzt und dem Kongreß\II{\pariserkongress} noch ein Heft erscheint, und wahrscheinlich noch viel weniger, die in dieses Heft unsere Propaganda aufzunehmen gewillt wären. Zudem sitze ich hier für mindestens 3 Wochen und habe keine Adressen zur Hand. Frank\IN{\frankphilipp} will auch in dieser Woche nach Wien fahren, seine weiteren Pläne standen noch nicht fest. Zeitschriftenpropaganda hätte vor \nicefrac{1}{2} Jahr begonnen werden müssen. Von Deutschen wird außer dem Scholzkreis wohl nur Grelling\IN{\grelling} kommen; er will vortragen ,,Über Theorie der Wahrnehmung``. Schlick\IN{\schlick} kommt nicht nach Paris\II{\pariserkongress}, will aber schriftliche Beiträge senden. Bitte schicke mir die im Brief vom 25.6. angekündigten 50 Einladungen jetzt nicht, da ich sie hier nicht verwenden kann. Wenn Du meinst, bei der einen oder andern Zeitschrift noch Erfolg zu haben, so schreibe bitte selber dorthin; vielleicht kannst Du irgendwie herausbekommen, welche in der Zwischenzeit noch ein- oder mehrmals erscheinen. Welchen größeren Vortrag hast Du eigentlich für mich bestimmt? Ich denke, daß Du über Physikalismus sprechen wirst. Soll ich dann über ,,Logische Syntax`` sprechen? Oder was sonst schlägst Du mir vor? Wir meinen, daß man den päpstlichen Professor\IN{\siwek} ruhig reden lassen soll. Er muß ja wissen, in welchem Kreis er spricht. Popper\IN{\popper} sagte mir, daß er Dir vor einigen Wochen einen Brief geschrieben habe, in dem er seinen Vortrag anmeldet. Hast Du den nicht bekommen? Ich wurde von mehreren Seiten gefragt, wie früh die Ermäßigung in Frankreich gelte, d.\,h. wie lange vor dem Kongreß\II{\pariserkongress} man schon die Reiseermäßigung bekomme. Es wäre mir sehr lieb, wenn Du Dich mit Frank\IN{\frankphilipp} freundschaftlich über die Besprechung Deiner ,,Soziologie``\IW{\neurathneuesbuch} einigen würdest und nicht ich als Herausgeber mahnend an ihn herantreten müßte. Wärest Du denn damit einverstanden, daß jemand anderer die Besprechung übernimmt? Ich habe den Eindruck, daß Frank\IN{\frankphilipp} sie gerne abgäbe.\fnE{Die längst überfällige Rezension von Neurath, \textit{Empirische Soziologie}, wurde schließlich von Heinrich Neider unter Verwendung eines Pseudonyms verfasst; siehe unten, Brief Nr.~\refcn{1935-11-26-Carnap-an-Neurath}.} Aber er hat das Rez\editor{ensions-}Ex\editor{emplar} verloren oder verlegt. Da müßte er wohl für einen andern ein neues Ex\editor{emplar} kaufen? Grelling\IN{\grelling} hat die Besprechung der 3 ersten Hefte\IW{\hahnlmn}\IW{\neuratheinheitswissenschaftbuch}\IW{\aufgabederlogik} ,,Einheitswissenschaft``\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe} bereits übernommen\IW{\grellingrezensioneinheitswiss}.\fnE{Grelling, ,,[Rezension von:] Einheitswissenschaft``.} Es scheint mir nicht gut angängig, daß ich eine Gesamtwürdigung der Sammlung\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe} schreibe, wo ich nicht nur Mitherausgeber, sondern auch Mitautor bin. Die Schlicksammlung\II{\schriftenwisswelt} ist ja auch nie als solche besprochen worden; der Schluß, daß man mit der Erkenntnis\II{\erkenntnis} wegen dieser Sammlung\II{\einheitswissenschaftschriftenreihe} auf gespanntem \neueseite{}\zzz Fuß stehe, scheint mir daher unsinnig. Daß Du eine Besprechung über Kaufmanns\IN{\kaufmannfelix} neues Buch\IW{\kaufmannmethodensoz} schreiben willst, ist mir recht. Ich werde es durch Meiner\IN{\meinerfelix} für Dich anfordern lassen, wenn es erscheint. Ich habe nichts gegen die Aufnahme Stebbings\IN{\stebbing} ins große Komitee\fnA{\original{Kommittee}}. An Tinbergen\IN{\tinbergen} werde ich schreiben. Ich schrieb seinerzeit Malisoff\IN{\malisoff}, daß Du und Frank\IN{\frankphilipp} in der ,,Philosophy``\II{\philosophyofscience}\fnE{Gemeint ist die Zeitschrift \textit{Philosophy of Science}.} \textkritik{im Beraterstab}\fnA{Hsl. Korrektur von \original{als Mitwirkende}.} genannt werden solltet. Er versprach mir, es dem Stab vorzutragen, und zu erfüllen, wenn die einverstanden sind. Er hat dann nichts mehr darüber geschrieben.} ,,\uline{Physikalismus}``. Ich stimme Dir zu, daß es sehr wichtig für uns ist, eine zusammenfassende Bezeichnung für unsere Gesamtanschauung als einen Block zu haben. Als solche Bezeichnungen haben wir bisher etwa verwendet ,,Wissensch\editor{aftliche} Weltauffassung``, ,,Logistischer Positivismus``, ,,Auffassungen des Wiener Kreises\II{\schlickzirkel}`` und ähnliche. Es ist ja bedauerlich, daß keine von diesen Bezeichnungen völlig befriedigend ist. Ich hoffe, Du, als Schöpfer von Schlagworten, erfindest uns eines Tages doch noch eine gute Bezeichnung. Aber ich bin gar nicht für Deinen Vorschlag, das Wort ,,Physikalismus`` als eine solche Bezeichnung unserer Gesamtanschauung zu verwenden. Das würde nur zu Unklarheiten und Verwirrungen führen. ,,Physikalismus`` ist doch nun einmal die Bezeichnung für eine bestimmte Auffassung über die möglichen Leistungen der physikalischen Sprache. Dieses Wort wird jetzt in der Öffentlichkeit schon allgemein in diesem Sinn verstanden, und ich bin entschieden dafür, es für diese speziellere Bedeutung beizubehalten. Das Wort ist seiner Herkunft nach, als Derivat von ,,Physik`` oder ,,physikalisch``, gar nicht geeignet als Bezeichnung unserer Gesamtanschauung. Eine Bezeichnung der Gesamtanschauung muß anklingen an ,,wissenschaftlich``, ,,logisch``, ,,empirisch`` oder ähnliche umfassende Wörter. Waismanns\IN{\waismannfrau}\IN{\waismann} erwarten im September ein Kind! \textkritik{Er will sein Buch\IW{\waismannbuch} im Okt. fertig haben.}\fnA{Hsl. Einschub.} Tarski\IN{\tarski} kommt vielleicht für einige Zeit hierher.%\fnE{Ein Besuch Tarskis in Pistyan, kam nicht zustande, vgl. TB~6.\,7.\,1935\diaryref{TB-6-7-1935}.}\fnSE{FÄNDE ICH ÜBERTRIEBEN --- Ein Besuch Tarskis bei Carnaps Kuraufenthalt in Pistyan (Piešťany/Slowakei) kam nicht zustande.} Gödel\IN{\goedel} wird im Sept.\fnA{Hsl. Korrektur von \original{Februar}.} wieder nach Amerika gehen. Mit herzlichen Grüßen} \grussformel{Dein\\R. Carnap}%\Apagebreak \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/810203}{ON 220 (Dsl. RC 029-09-37)}; Briefkopf: gedr. \original{Prof. Dr.~Rudolf Carnap\,/\,Prag XVII.\,/\,Pod Homolkou 146}, msl. \original{Pistyan, den 4.~Juli 1935\,/\,Cyrilhof}.}