Anbei meine Antwort an unseren lieben KaufmannPKaufmann, Felix, 1895–1949, öst.-am. Philosoph.1Otto Neurath an Felix Kaufmann, 21. Juni 1935 (RC 029-09-46). Der Brief enthält eine Entgegnung auf Kaufmanns Kritik am Physikalismus in dessen Methodenlehre der Sozialwissenschaften; zur hier dargelegten Auffassung der Protokollsätze siehe auch Uebel, Empiricism at the Crossroads, 379f.1Neurath an Kaufmann, 21. Juni 1935, (RC 029-09-46). Das Schreiben enthält vor allem eine Entgegnung auf Kaufmanns Kritik am Physikalismus in seiner Methodenlehre der Sozialwissenschaften. Den entsprechenden Teil des Manuskripts (ON 387/R.34-1) hatte Neurath von Carnap erhalten; vgl. Rudolf Carnap an Felix Kaufmann, 7. Juni 1935 (RC 028-20-03). Zu Neuraths Brief und seiner dort dargelegten Auffassung der Protokollsätze siehe auch Uebel, Empiricism at the Crossroads, 379f. Ich sehe, daß Deine konziliante Art doch ihre Bedenken hat. Indem Du von „psychologischer“ Sprache sprichst, erweckst Du falsche Hoffnungen. Ich habe seinerzeit dagegen nicht protestiert, weil ich es für möglich hielt, daß Du so jemandem unsere Sache näher bringst. Ich bin aber doch mehr dafür, immer für die eine physikalistische Sprache zu plädieren und zu leugnen, daß es eine wirklich ausgebildete psychologische Sprache gibt. Ein paar Fetzen, inkonsistent und inkohärent. So meine ich. Was meinst Du?
Wir haben eine Fülle von Vorträgen beisammen, so gegen 40. Ich weiß noch gar nicht, wie unterbringen. Ich habe ein ganzes Puzzle-Spiel eingerichtet und schiebe herum. Daß RussellPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph kommt, ist natürlich eine wunderbare Sache, zumal er die Kongresse nicht leiden kann. Jetzt hab ich ihm einen schmelzenden Brief geschrieben, damit er auch redet.
Über die Sätze schreibe ich nächstens.2Gemeint sind möglicherweise Protokollsätze („P-Sätze“).
Ich schätze RussellPRussell, Bertrand, 1872–1970, brit. Philosoph sehr, aber ich glaube, Deine „Generation“ hat mehr von ihm gelernt als meine, damals war erst wenig zugänglich. Ich wußte nur so etwas über seine logischen Sachen. Erinnere mich, in Berlin über Typenlehre gesprochen zu haben. Aber wissenschaftslogisch kommen wir absolut von den Franzosen her. Frag übrigens mal FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank, wies bei dem war. Die Amerikaner haben wieder von den Franzosen wenig Eindrücke empfangen.3Siehe die Diskussion über Neurath, Le développement du Cercle de Vienne et l’avenir de l’Empirisme logique, oben, Brief Nr. und .
Daß SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick sich oberflächlich benimmt, ist klar – ein Ergebnis seines Dünkels. Er glaubt, daß er alles von vornherein weiß, nicht nur besser weiß (das sowieso, auch wenn er etwas noch gar nicht aufgenommen hat). Wie sehr man zu Mißverständnissen Anlaß gibt, zeigt KaufmannsPKaufmann, Felix, 1895–1949, öst.-am. Philosoph Auffassung Deiner Ausführungen, wobei er betont, wie klar Du formulierst.4Vgl. die Auseinandersetzung mit dem Physikalismus in Kaufmann, Methodenlehre der Sozialwissenschaften, 136–144; S. 141 ist von Carnaps „mustergültigen Klarheit“ die Rede. Wenn jemand nicht schon im ganzen mit einem einig geht, ist überhaupt wenig zu erwarten. Ob man nun so oder so formuliert. Und daß Du SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick darunter begreifst, „wie Gegner einmal sind“5Oben, Brief Nr. .– ist jedenfalls putzig, denn eigentlich ist er doch unser Nährvater. Er hat doch immer gepredigt, daß alles Lyrik ist, was nicht Wissenschaft ist, und daß über das Denken selbst philosophieren Metaphysik – usw.6Zur Qualifzierung von Schlick’schen Formulierungen als Lyrik vgl. Neurath, „Radikaler Physikalismus und ‚Wirkliche Welt‘“, 362 / GphmS 623.🕮
Nun aber zu PHYSIKALISMUS. Gerade weil ich weiß, daß man eine Anschauungsweise nur durch viele Elemente kennzeichnen kann, definiere ich den Physikalismus als Anschauungsweise, wie etwa den PRAGMATISMUS, oder den MATERIALISMUS, oder den EPIKUREISMUS oder den MARXISMUS usw. Und es kommt nun darauf an, sich darüber zu einigen, was man alles dazu rechnet. Aber ein Element mit dem Namen zu versehen wäre verfehlt, solange wir nicht für jedes Element ein Zeichen haben, und dann eine Anschauung \(A_4R_6S\) oder \(A_2SP_5W_6\) usw. nennen können. Ich würde es nicht vorziehen, von uns zu sagen, daß wir die These und die und die und die usw. vertreten, sondern, wies immer üblich war und wohl noch lange üblich sein wird: NAME kennzeichnet eine Richtung. Ich rechne z. B. wesentlich zum Physikalismus, daß man nicht davon spricht, den logischen Gehalt eines Satzes mit der Wirklichkeit zu vergleichen usw.
Ob man alles genau angeben kann, was zu einer Anschauung zählt oder nicht, ist nicht so wichtig, als daß im ganzen klar ist, was der so geschaffene Block bedeutet. In der Welt gibts nicht gar so viel Blöcke. Ich würde also von der Gesamthaltung des PHYSIKALISMUS sprechen. Empfehle Dir das gleiche zu tun. Natürlich steht SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick dem Physikalismus nahe, aber seine „Konstatierungen“ gehören kaum in ein physikalistisches Anschauungsgebäude hinein, aber auch vieles andere nicht. Wenn jemand etwa sagt: Man kann die ganze Wirklichkeit in der physikalistischen Sprache abbilden, nenne ich ihn keinen Physikalisten. Denn dieser Terminus „Wirklichkeit“ ist kein physikalistischer Terminus. Nur wer so schreibt, daß man alles, was er sagt, physikalistisch sagen kann, wäre ein Physikalist. Ich hoffe, daß Dir diese Haltung plausibel ist.
MalisoffPMalisoff, William, 1895–1947, russ.-am. Philosoph schrieb mir schon. Was ist übrigens damals aus Deiner Anregung geworden, daß FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank und ich auch an seiner ZeitschriftI als Mitwirkende zu nennen seien?
OgdenPOgden, Charles Kay, 1889–1957, brit. Linguist und Philosoph hatte ich in Prag vorgeschlagen, er stand schon auf der Tafel, wurde aber wieder gelöscht, ich glaube fast nach einer kleinen Debatte. Aber man kann ihn wieder hineinnehmen. Wie ists eigentlich mit der StebbingPStebbing, Susan, 1885–1943, brit. Philosophin. Gehört die genügend zu uns? Kann die ins große Komitee genommen werden? Sie ist halt so viel nett mit mir, wenn ich sie was frag, und betreut den Kongreß wirklich. MalisoffPMalisoff, William, 1895–1947, russ.-am. Philosoph wird mich wohl vor der Reise nach Moskau aufsuchen.
ISOTYPE – ist das Wort für unsere Bilderschrift, wir sind froh, daß wirs haben, ReidemeisterPNeurath, Marie, 1898–1986, geb. Reidemeister, auch Reidemeisterin, Mieze, MR, Mary, dt.-brit. Pädagogin und Sozialwiss., Schwester von Kurt Reidemeister, heiratete 1941 Otto Neurath hat es sozusagen systematisch erarbeitet:
I-nternational S-ystem O-f TY-pographic P-icture E-ducation.
Und es bedeutet sonst „gleiche Typen verwendend“, was wir nämlich tun. Ich hoffe, damit in der Logik keine Verwirrung anzurichten.
Ein Professor der PONTIFICA UNIVERSITA GREGORIANA in Rom will über Induktion sprechen. Was weißt Du über ihn. Oder FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank? Ist das ein Theologe, wenn er von dort kommt, er heißt: PAUL SIWEKPSiwek, Paul, 1893–1986, poln.-ital.-am. Geistlicher und Philosoph. Hinter seinem Namen ist so ein Krigel Kragel, das SJ heißen könnte.