für Ihren Brief sehr, sehr herzlichen Dank! Er traf mich in einem Zeitpunkt schlechtester Stimmung (Schule…!) und hat mich aus dieser Stimmung herausgerissen!
Ich bin Ihnen auch noch Dank schuldig für die Zusendung des „Gültigkeitskriteriums“B1935@„Ein Gültigkeitskriterium für die Sätze der klassischen Mathematik“, Monatshefte für Mathematik und Physik 42 (1), 1935, 163–190 und des PragerIInternationaler Kongress für Philosophie@8. Internationaler Kongress für Philosophie, Prag, 2.-7.IX.1934 VortragesB. Insbesondere das „Gültigkeitskriterium“B1935@„Ein Gültigkeitskriterium für die Sätze der klassischen Mathematik“, Monatshefte für Mathematik und Physik 42 (1), 1935, 163–190 habe ich mit allergrößter Spannung gelesen. Wieder finde ich es, ebenso wie bei den AntinomienB1934@„Die Antinomien und die Unvollständigkeit der Mathematik“, Monatshefte für Mathematik 41 (1), 1934, 263-284, sehr schade, daß Sie diesen hochinteressanten Abschnitt aus der „Syntax“B1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 streichen mußten.
Erst durch diese ArbeitB1935@„Ein Gültigkeitskriterium für die Sätze der klassischen Mathematik“, Monatshefte für Mathematik und Physik 42 (1), 1935, 163–190 ist mir klar geworden, worin – wenigstens glaube ich es – die logische Hauptleistung der SyntaxB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 liegt: In der Einführung der f-Begriffe und der Untersuchung ihres Verhältnisses zu den a-Begriffen. Das ist – soviel ich weiß – nicht nur eine wirkliche Neuerung, sondern auch eine fruchtbare Neuerung. Wichtig vor allem, weil sie zeigt, daß fundamentale Begriffe der alten Logik (Folge) in der bisherigen Logistik nicht hinreichend erfaßt wurden, daß sie aber erfaßt und präzisiert werden können. Ich habe, wie anscheinend viele andere, gegenüber der Logistik immer ein Gefühl gehabt, daß hier eine gewisse Lücke vorliegt; dieses Gefühl ist nun geschwunden. Ich habe den Eindruck eines gewaltigen Fortschrittes. –
Ich habe in der letzten Zeit meine Gedanken über die QuantenmechanikB näher ausgearbeitet. Ich lege diese Arbeit bei. Sie ist sehr leicht zu lesen und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sie 1.) lesen, 2.) ev[entuell] in Ihrer Rezension berichtigen, 3.) mir raten wollten, wo ich sie veröffentlichen kann. Ich glaube durch diese Arbeit einiges wirklich endgültig aufgeklärt zu haben. Das erkenntnistheoretisch Interessanteste steht in Punkt F; zumindest diesen Punkt sollten Sie sicher lesen. (EhrenhaftPEhrenhaft, Felix, 1879–1952, öst.-am. Physiker hat diese ArbeitB an EinsteinPEinstein, Albert, 1879–1955, dt.-am. Physiker, verh. mit Else Einstein geschickt; ich schicke sie an HeisenbergPHeisenberg, Werner, 1901–1976, dt. Physiker, SchrödingerPSchrödinger, Erwin, 1887–1961, öst. Physiker, BohrPBohr, Niels, 1885–1962, dän. Physiker.)
Auf Ihre Rezension freue ich mich sehr. Selbstverständlich habe ich nicht das allermindeste dagegen, wenn ein abweichender Standpunkt geltend gemacht wird.
Damit komme ich zu ReichenbachsPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach AuslassungenB, für deren Zusendung ich herzlichst danke.
Diese sind natürlich nicht ernst zu nehmen. Ich habe mich über sie gar nicht geärgert, weil ich glaube, daß (a) jeder, der mein BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 kennt, zumindest eines merken muß: daß die Polemik keine rein sachliche ist, (b) der, der mein BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 nicht kennt, einigermaßen mißtrauisch werden muß, daß ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach einem so schlechten Buch 16 ErkenntnisseitenIErkenntnis, Zeitschrift widmet!
Sachlich ist nicht sehr viel zu sagen. Immerhin möchte ich drei Punkte erwähnen
1.) Zur „logischen Wahrscheinlichkeit“ (ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach, Punkt III): R[eichenbach] scheint überhaupt nicht das Besondere meiner Bewertung von Theorien bemerkt zu haben; die (logisch) unwahrscheinlicheren (= besser prüfbaren) werden bei mir höher bewertet als die wahrscheinlichen, nicht nur beim Aufstellen (vgl. mein BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935, Abschnitt 31-43), sondern auch nach ihrer Prüfung (Bewährungswert, vgl. Abschnitt 83), bei ihm niedriger; und das, obwohl R[eichenbach]sPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach Ungleichung (vgl. ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach Punkt III und mein BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 S. 153)
wie er selbst sieht, jedenfalls zur Folge hat, daß meine „logische Wahrscheinlichkeit“ und seine „Wahrscheinlichkeit“ gleichsinnig verlaufen. (Bei gleichsinnig definierten Begriffen entgegenlaufende Bewertung!)
2.) Zur Begründung der Wa[hrscheinlichkeits]-Rechnung (ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach Punkt V): „Die logische Ordnung, die man (!) für den Aufbau der Wahrscheinlichkeitsrechnung benutzen muß (!), wird dabei vollständig verkannt …“ usw. (Auch in HempelsPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel DissertationBHempel, Carl Gustav!1934@Beiträge zur logischen Analyse des Wahrscheinlichkeitsbegriffs, Diss., Berlin, 1934 (die mir erst kürzlich bekannt wurde) findet 🕮 sich die Ansicht, daß ReichenbachsPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach „formale“ Wa[hrscheinlichkeits]-Axiomatik einen Fortschritt gegenüber v. MisesPMises, Richard von, 1883–1953, öst.-am. Mathematiker „inhaltlicher“ Wa[hrscheinlichkeits]-Axiomatik bedeutet). Ich habe, um eine Polemik zu sparen, diese Auffassung ReichenbachsPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach in meinem BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 nicht widerlegt; sie ist aber ganz unbegründet. Denn R[eichenbach]PReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach kann nur für jenen Teil der Axiomatik einen Widerspruchslosigkeitsbeweis führen, für den dieser trivial ist (inhaltlich; für die allgemeine Theorie von Häufigkeitslimites ohne Ordnungsaxiome, also auch ohne BernoullischesPBernoulli, Daniel, 1700–1782, schweiz. Mathemaiker und Physiker Theorem). Interessant ist jedoch nur die Theorie der das BernoullischePBernoulli, Daniel, 1700–1782, schweiz. Mathemaiker und Physiker Theorem befriedigenden Folgen, die R[eichenbach]PReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach „normal“ nennt. Denn obwohl R[eichenbach]PReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach immer wieder betont, daß auch andere als „normale“ Folgen in der Physik eine Rolle spielen, so setzt doch gerade die Theorie dieser Folgen (mit Nachwirkung) die der „normalen“ voraus. Ich halte daher R[eichenbach]sPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach Aufbau für wenig durchsichtig und unpraktisch. (Das sind nur kurze Andeutungen).
R[eichenbach]PReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach berücksichtigt nicht die von mir erzielten Wa[hrscheinlichkeits]-Fortschritte: daß ich als erster nachwirkungsfreie Folgen konstruiere, daß ich die Identität (die er leugnet) dieser mit den „normalen“ beweise, usw.
Zusammenfassend habe ich (dieser Meinung ist z. B. auch MengerPMenger, Karl, 1902–1985, öst.-am. Mathematiker, verh. mit Hilda Menger, in dessen KolloquiumIMathematisches Kolloquium von Karl Menger ich referierte) als erster eine Häufigkeits-Axiomatik geliefert, die (beweisbar) so wenig als möglich verlangt (da nämlich ihre formale Äquivalenz mit der klassischen Wa[hrscheinlichkeits]-Theorie für 2 Merkmale beweisbar ist) und die Widerspruchsfreiheit dieser Axiomatik nachgewiesen.
Was R[eichenbachs]sPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach Meinung ist (Schluß von V) – er vertritt sie widerholt, zuletzt in seinem BuchBReichenbach, Hans!1935@Wahrscheinlichkeitslehre. Eine Untersuchung über die logischen und mathematischen Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Leiden, 1935– daß die Existenz eines limes aus viel weniger besagenden Forderungen mit Hilfe des „verschärften Bernoullischen“ (= Polyaschen) Theorems ableitbar ist, so befindet er sich hier (seit 6 Jahren) in einem ganz merkwürdigen Irrtum, der leicht aufgeklärt werden kann (er hängt damit zusammen, daß R[eichenbach]sPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach Begriff einer „gegen 1 konvergenten Wahrscheinlichkeit“, so wie er ihn anwendet, zu Widersprüchen führt); ich gehe besser hier nicht näher darauf ein, da dieser Brief sehr lang zu werden beginnt!
3.) R[eichenbach]PReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach hat früher niemals gesagt, wie er sich die Hypothesen als „Satzfolgen“ vorstellt. Seine Ausführungen in IV übernehmen einfach (ohne das zu sagen) meine Analyse (BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935, S. 191 f). Sie kommen aber gegen die dort entwickeltem Einwände nicht auf, sodaß ich eigentlich nichts zu ergänzen habe. (Ähnliches gilt für seine Ausführungen in III., S.7)** Was Ihren Vorschlag betrifft, einen Artikel zu schreiben und indirekt oder nebenbei zu antworten, so ist diese Form in der Tat die einzige, die in Frage kommt. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob ich das schnell genug zusammenbringen werde, daß der Artikel in Heft 5 erscheinen kann. Aber ich werde mich beeilen! Danke für den Rat!
Nun zum Pariser KongreßIKongressfuerEinheit@1. Kongreß für Einheit der Wissenschaft/Congrès International de Philosophie Scientifique, Paris, 16.-21.IX.1935!
Ich möchte sehr gern nach Paris kommen und habe sogar schon um Urlaub (sogar um einen längeren, siehe unten) gegen Karenz der Gebühren angemeldet, um das möglich zu machen. Kann ich durch Sie ein ReferatB anmelden?
Ich habe das Programm bereits zugeschickt bekommen; danach würden, soviel ich sehe, folgende Themen für mich in Frage kommen:
(1) 18. September, vormittag: (a) Induktion (ev[entuell] Koreferat zu Reichenbach); (b) Über die Prüfbarkeit von Wahrscheinlichkeitsaussagen (dazu habe ich allerlei neues); nachmittag (c) Kausalität und Quantenmechanik (vgl. die beigelegte Arbeit, Punkt F).
(2) Das letzte Thema könnte unter dem Titel: „logische Analyse des sogenannten Kausalproblems“ ev[entuell] auch am 17. Sept., vormittag, oder auch am 16. Sept. nachmittag untergebracht werden.
(3) Ev[entuell] auch am 16. Sept.: Falsifizierbarkeit als Kriterium der empirischen Theorien. 🕮
Das Thema (1), c wäre für mich am interessantesten (ich habe es, nebenbei bemerkt, schon in Prag bei NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath angemeldet).
Bitte, schrieben Sie, was Sie von den Themen denken.
Wie oben angedeutet, habe ich für das nächste Schuljahr um einen Urlaub angesucht, da ich (unter Verwendung von etwas erspartem und etwas erborgtem Geld) arbeiten will, was ich neben der Schule nicht kann. Ich hätte, wie Sie sich denken können, gern ein Stipendium bekommen, aber wie?
Ich hoffe also sicher, Sie spätestens in Paris zu sehen. Falls Sie vorher nach Wien kommen, verständigen Sie mich doch? Was wir im Sommer machen, ist noch ganz ungewiß; falls Sie Lust dazu haben, würden wir Sie sehr gern irgendwo heimsuchen!
Die herzlichsten Grüße an InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap (\(2 \rightarrow 2\)) und nochmals sehr herzlichen Dank für Ihren lieben Brief