\brief{Hans Reichenbach an Rudolf Carnap, 8. Juni 1935}{Juni 1935} %8. 6. 1935 %Herrn Dr. Rudolf Carnap, %Prag XVII, Pod Homolkou 146 \anrede{Lieber Carnap,} \haupttext{besten Dank für Ihren Brief vom 12.\,Mai. Inzwischen werden Sie die Korrekturen meines Popper\IN{\popper} Aufsatzes\IW{} bekommen haben. Ich glaube nicht, daß ich Popper falsch interpretiert habe; er sagt z.\,B. S.\,3, daß die Einführung eines Induktionsprinzips überflüssig ist. Die Frage, ob das Induktionsverfahren ein Schluß ist, halte ich für rein terminologischer Natur. Verstehen Sie unter einem Schluß ein Verfahren, mit dem man von gegebenen wahren Aussagen zu anderen wahren Aussagen kommt, so ist das Induktionsprinzip gewiß kein Schluß. Aber so etwas habe ich ja auch nie behauptet. In der Wahrscheinlichkeitslogik und meiner Theorie der Setzung nimmt die Induktionsregel zwar eine ähnliche Rolle ein wie eine Schlußregel; aber es wird nicht behauptet, daß sie zu wahren Aussagen führt, sondern nur zu den günstigsten Setzungen. Daß Menger\IN{\menger} die mathematischen Fehler bei Popper\IN{\popper} nicht bemerkt haben soll, kann ich mir nur dadurch erklären, daß er Poppers\IN{\popper} Schrift\IW{\popperldf} nur oberflächlich durchgesehen hat. In meinem Aufsatz\IW{} finden Sie ja die betreffenden Stellen genau angegeben. Ich habe diese Stelle in der Korrektur noch etwas verdeutlicht; so muß man auf Seite 13 beachten, daß das Intervall von p1 + q1 bis p2 + q2 nicht völlig ausgefüllt zu sein braucht. Sodann habe ich in einer Fußnote noch einige Bemerkungen hinzugefügt, die sich auf Poppers\IN{\popper} Verwendung des Begriffs der nachwirkungsfreien Folge beziehen. Aber von allen Fehlern abgesehen, bleibt es vollständig unverständlich, wie Popper\IN{\popper} glauben kann, daß seine Theorie der Wahrscheinlichkeit auch nur den geringsten Fortschritt bedeutet; denn alle Einwände gegen \neueseite{} die limes-Deutung gelten bei ihm genauso. In Heft V, 3 soll: Dürr\IN{\duerr}, Die Bedeutung der Negation, Grundzüge der empirischen Logik\IW{} Hempel\IN{\hempel}, Über den Gehalt von Wahrscheinlichkeitsaussagen\IW{} Reichenbach\IN{\reichenbach}, Über Induktion und Wahrscheinlichkeit.\IW{} Reichenbach\IN{\reichenbach}, Bemerkungen zu C. Hempels\IN{\hempel} Versuch einer finitistischen Deutung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs\IW{} Bemerkungen zu Karl Poppers\IN{\popper} ,,Logik der Forschung``\IW{} Für die nächsten Hefte habe ich einen Aufsatz von mir über: Karl Marbes statistische Untersuchungen zur Wahrscheinlichkeitsrechnung.\IW{} Ferner ein Aufsatz von Freundlich\IN{\freundlich}: Das Alter der Welt und die Energiequellen der Gestirne\IW{} und eine Kritik an Jordan\IN{} \IW{} von Bünning\IN{} in Jena. Schlicks\IN{\schlick} Ethik\IW{\schlickethik} geht also an Dubislav\IN{\dubislav} zur Besprechung\IW{}. Ein Rezensionsexemplar von Franks\IN{\frankphilipp} Kausalgesetz\IW{\frankkausalgesetz} kann ich hier nicht finden. Es ist sehr schön, daß der Pariser Kongreß\II{\pariserkongress} jetzt in Schwung kommt. Mitteilungen über meine eigenen Vorträge habe ich schon an Neurath\IN{\neurath} geschickt. Ich glaube doch, daß man Scholz\IN{\scholzheinrich} einladen sollte zu einem Vortrag in einer Fachsitzung. Seine Bemühungen um die Logistik halte ich für sehr ehrlich, und schließlich ist er der einzige deutsche Ordinarius, den wir einladen können. Übrigens glaube ich kaum, daß er kommen wird. Herzliche Grüße} \grussformel{Ihr\\{}[Hans Reichenbach]} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/848533}{HR 013-41-19}; Briefkopf: msl. \original{8.\,6.\,1935 \,/\, Herrn Dr. Rudolf Carnap \,/\, Prag XVII, Pod Homolkou 146}.}