Moritz Schlick an Rudolf Carnap, 16. April 1935 April 1935

Lieber Carnap‚

vielen Dank für Deinen Brief. Ich freue mich ganz besonders, daß Du die Einladung nach Amerika erhalten hast und gratuliere dir herzlich dazu. Ich glaube bestimmt, daß es Dir dort leicht werden wird, auch mit andern Universitäten Fühlung zu nehmen.

Es freut mich auch, daß Du mit meinen beiden MSSBB im wesentlichen einverstanden bist; ich habe das natürlich auch angenommen. Allerdings glaube ich, daß der Inhalt zu dem, was ich in dem „Fund.“BSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 sagen wollte, keineswegs in Widerspruch steht. Ich muß mich in den Fund.BSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 wohl sehr unklar ausgedrückt haben, sodaß nicht deutlich wurde, daß mein Thema dem Sinne nach wesentlich psychologisch war. Ich habe bisher auch keinen Grund gefunden, meine Meinung zu ändern. Man muß bedenken, daß ich das MSB auf einem Balkon in Amalfi schrieb, wie es mir gerade in den Sinn kam, daß ich auf strenge Formulierungen kein Gewicht legte, und daß mein persönliches Motiv 🕮 die Reaktion gegen einen höchst versteckten Rationalismus war, von dem, wie ich auch heut noch glaube, die Protokollsatz-Diskussion angekränkelt ist. Ich habe die erste Niederschrift, ohne die geringste Änderung, in den Druck gegeben. Daß Du NeurathsPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath Gegenargumente nur „unklar“ nennst, finde ich sehr milde. Ich bitte Dich, ihm unter keinen Umständen mein MS über die psychophysische FrageB– oder sonst irgendetwas von mir Geschriebenes – zu senden; es genügt vollständig, wenn er die Sachen sieht, nachdem sie gedruckt sind.

Eine kleine sachliche Differenz zwischen Dir und mir scheint sich trotz allem hinter den Diskussionen zu verbergen; ich werde sie gelegentlich zu formulieren versuchen, wenn ich sehr viel Zeit habe. Es ist etwas kompliziert. Hier in diesem Paradiese schreibe ich nur Kulturphilosophie, die mir augenblicklich ziemlich wichtig vorkommt. Ich schreibe diese Zeilen auf einem Felsen hoch über dem Meere in der köstlichsten Morgenfrische – es ist unsagbar schön.

Ich bitte Dich, H. ScholzPScholz, Heinrich, 1884–1956, dt. Philosophsehr herzlich von mir zu grüßen, wenn Du ihn besuchst. Auch Herrn HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel grüße bitte vielmals, und ich lasse ihn nochmals bitten, die humorist[ische] Form meines ArtikelsB in „Analysis“IAnalysis, Zeitschrift nicht übel zu nehmen. Ich konnte wirklich nicht anders.

Viele herzliche Wünsche und Grüße für Dich und Deine GattinPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap

Dein
M. Schlick

Brief, hsl., 2 Seiten, RC 102-70-14; Briefkopf: hsl. Dubrovnik, Jugoslavien  /  Hotel Belvedere und 16. 4. 35.


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