Rudolf Carnap an Moritz Schlick, 12. April 1935 April 1935

Besten Dank für Deine Karten und die Zusendung der beiden MSeBB. Ich habe sie mit lebhaftem Interesse gelesen, und bin natürlich in den Hauptzügen mit Deiner Auffassung einig. Ich freue mich besonders deshalb darüber, weil mir Deine Ausführungen in dem Aufsatz „Fundament d[er] E[erkenntnis]“BSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 teilweise sehr bedenklich erschienen. Ich glaube, daß das auch bei den meisten der uns Nahestehenden der Fall war. Deshalb möchte ich meinen, daß es doch besser wäre, wenn Du die Kritiken, die dagegen erschienen sind, ernst nähmest, obgleich die Formulierungen von NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath allerdings stellenweise sehr unklar sind; dagegen scheint mir die (leider zu kurze) Bemerkung von HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel klar und zutreffend. Ich freue mich zu sehen, daß Du in den beiden neuen AufsätzenBB die in „Fund[ament der Erkenntnis]“BSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 vertretene Auffassung nicht mehr vertrittst. Es ist allerdings nicht deutlich zu sehen, ob Du sie fallen läßt (mir scheint sie kaum vereinbar mit den neuen Aufsätzen) oder nur stillschweigend beiseitestellst. Ich habe auf „Fund[ament der Erkenntnis]“BSchlick, Moritz!1934@„Über das Fundament der Erkenntnis“, Erkenntnis 4, 1934, 79-99 weder brieflich noch öffentlich erwidert, weil mir verschiedene Punkte unklar erschienen; hier geben die neuen AufsätzeBB aber auch nicht die erforderliche Aufklärung.

Ist es Dir recht, wenn ich das deutsche MSB auch NeurathPNeurath, Otto, 1882–1945, öst. Philosoph und Sozialwiss., heiratete 1912 Olga Neurath und 1941 Marie Neurath zuschicke? Da es vom Physikalismus handelt, ist er ja einer der Hauptbetroffenen, und den französ. TextB wird er nicht gut genug verstehen.

Ich habe angefangen, einen AufsatzB für LewisPLewis, Clarence Irving, 1883–1964, am. Philosoph zu schreiben. Es wäre mir lieb, wenn ich dafür Dein engl. MSB noch länger behalten dürfte. Da es ja über dieselben Fragen spricht und in derselben Zeitschr[ift]I erscheint, werde ich mich an verschied[enen] Stellen darauf beziehen können.

Ich bin sehr froh, die erste Einladung von Amerika bekommen zu haben, wenns auch nur für 1 Vortrag ist. Die Harvard Univ.IHarvard University, Cambridge MA feiert Sept. 1936 ihr 300-jähr[iges] JubiläumISymposium zum 300. Jubiläum Harvard, September 1936; dabei findet eine wiss[enschaftliche] KonferenzISymposium zum 300. Jubiläum Harvard, September 1936 statt; dort soll ich vortragen und mitdiskutieren. Die Reisekosten werden reichlich bezahlt. So hoffe ich, auch mit andern Universitäten dann Fühlung aufnehmen zu können.

Wir fahren jetzt ins Rheinland (zu meiner SchwesterPKaufmann, Agnes, 1890–1976, geb. Carnap, Schwester von Rudolf Carnap, heiratete 1912 Reinhard Kaufmann), ich werde einen Tag ScholzPScholz, Heinrich, 1884–1956, dt. Philosoph, BachmannPBachmann, Friedrich, 1909–1982, dt. Mathematiker u. BeckerPBecker-Freyseng, Albrecht, *1904, dt. Mathematiker in Münster besuchen, und dann auch HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel in Brüssel.

Ich freue mich, daß Du Dich in Deiner geliebten Adria-Sonne gut erholst und wünsche Dir noch recht schöne Wochen dort.

Mit herzlichen Grüßen