Otto Neurath an Louis Rougier, Kopie an Carnap, 2. April 1935 April 1935

RC 029-09-63; Typoskript

Herrn Prof. Louis Rougier

Paris

2.April 1935

Mein lieber Rougier!

Ihr heutiger Brief ist eine bedrückende Mitteilung. Ich hatte aus Ihrem letzten Brief entnommen gehabt, daß Sie aus persönlichen Gründen nicht mehr die Vorbereitung des Kongresses ablehnen müßten, und habe sich dementsprechend weitergegeben, daß man alles für Paris vorbereiten könne. Nun telegraphierten Sie gestern und schrieben mir heute, daß Ihre Freunde der Meinung sind, man könne nicht bis September einen Kongreß organisieren, der den Anforderungen der Publizität entspreche. Wir sollten also den Kongreß vorschrieben, um ihn 1936 groß und wenn wir bis 1937 warten wollen, ganz groß zu machen.

Carnap, Frank und ich – von Reichenbach habe ich keine so dezidierte Erklärung – sind entschlossen 1935 einen internationalen Kongreß irgendwo abzuhalten. Uns liegt weniger an der Publizität, als daran, daß sich die verschiedenen Menschen treffen und miteinander sprechen. Es sind jetzt schon eine Reihe wichtiger Fragen zur Debatte gestellt, auch technische, wie z. B. Vereinheitlichung der logischen Zeichen usw. Wir sind gänzlich damit einverstanden, daß das Programm vereinfacht würde, und daß ausdrücklich gesagt wird:

Es handelt sich um ein Treffen von Gelehrten aus verschiedenen Ländern, die gemeinsam Fragen besprechen wollen, wobei auch Freunde und Gäste willkommen sind, eine für die größere Öffentlichkeit bestimmte Veranstaltung wird in späterer Zeit geplant. Es genügtvöllig, wenn wir einen großen Verhandlungsraum und einige Sitzungsräume haben. Es kann, wenn es sich trifft uns irgend eine andere Organisation zu öffentlichen Vorträgen einladen, aber das ist nicht nötig. Ich bitte Sie sehr dies zu erwägen. Das NICHTABHALTEN ist an sich schädlich und auch für das Prestige nicht förderlich. Der Rang unseres Kongresses hängt vor allem von dem ab, was wir untereinander besprachen und dann publizieren werden. Die sicherlich auch wichtige Publizität wollen wir dem Kongreß 1937 überlassen. Und wir meiner, daß eine Vorbereitung durch Kongresse 1935 und 1936 nur günstig ist, weil 1937 sich sozusagen alles schon gesammelt hat. Es ist wichtig, daß wir endlich mit den Engländern zu einer gemeinsamen Aussprache kommen, mit den Italienern. Das hat mir der Publizität nichts zu tun.

Überlegen Sie, daß jetzt schon seit einiger Zeit für diesen Kongreß Propaganda gemacht wird, daß eine Reihe von Leuten Themen vorbereiten, ihre Urlaube einzuteilen begonnen haben, dabei höre ich öfter den Ausspruch, die internationale Lage sei so schlimm, daß man froh sei, wenigstens noch 1935 sicher zusammengekommen zu sein. Der Verlag Meiner hat eine Sonderausgabe der Vorkonferenz in Prag mit dem Datum des Pariser Kongresses schon angezeigt, auch sonst ist vielerlei geschehn. Eine Absage würde uns alle weitere Arbeit sehr erschweren und würde von denen, die vor allem die Aussprache wünschen nicht verstanden werden.

Ich schlage also als Kompromiß vor:

Der Internationale Kongreß von 1935 wird in Paris als internationale Zusammenkunftveranstaltet und auch in den Einladungen in der Erläuterung ausdrücklich so gekennzeichnet. Die Tagesordnung wird ganz schlicht abgefaßt, weniger Themen und mehr Zeit für Diskussionen und Aussprachen. Alle Details, die vielleichtnoch hinzukommen, da ja sicherlich einzelne französische Organisationen die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen dürften, um uns einzuladen werden erst knapp vor dem Kongreß eventuell bekanntgegeben. Die Zahl derer, die zur Aussprachewird ungefähr dieselbe sein, wie sonst, wir wissen heute schon von Freunden, die sehr gerne kommen, und wenn wir – natürlich ist die Zahl unbegrenzt, die kommen darf – auch nur mit 40 bis 60 aus der Fremde Kommenden rechnen, und dazu etwa ebenso viele Franzosen, so wird es eine Tagung, die durch ihre Vielgestaltigkeit auf alle Fälle in den BERICHTEN, die über sie erscheinen werden, Eindruck macht.

Wenn es Ihnen unmöglich ist am 7. April nach Brüssel zu kommen, bin ich bereit – vorausgesetzt, daß die Reise tatsächlich von Paris aus gedeckt wird – am 6. April nach Paris zu fahren und erbitte Ihr Telegramm.

Da ich diesen Brief möglichst rasch absenden will, geht er ihm Durchschlag auch an Carnap, Frank, Reichenbach. Ich hoffe sehr, daß Sie einen Weg finden in Paris Sept eine internationale Zusammenkunft im angedeutet Sinne möglich zu machen, sonst würden wir wieder an Kopenhagen denken. Denn man kann eher eine solche Sache die im Rollen ist geographisch verlegen, als chronologisch. Kopenhagen hätte den Nachteil, daß die Italiener schwer hinkommen, daß wir die Gemeinschaft mit den Franzosen, die so wichtig ist, nicht intensiver gestalten können und daß auch den Engländern die Fahrt nach Paris leichter fällt, als nach Kopenhagen.

Bitte überlegen Sie diese unsere Einstellung, die darauf fußt, daß wir gern auf Publizität verzichten und uns mit einem Treffen begnügen.

In der Voraussicht uns auf alle Fälle bald zu sprechen, und in der Hoffnung, daß wir uns rasch einigen und die Vorarbeiten für Sept. 1935 gut weitergehen können, mit herzlichen Grüßen, wie immer Ihr


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