\brief{Karl Popper an Rudolf Carnap, 31. März 1935}{März 1935} %\{31.3.35\} \anrede{Sehr geehrter Herr Professor,} \haupttext{zunächst möchte ich Ihnen für Ihren sehr lieben Brief vom 29.\,Jänner danken. Ich möchte Ihnen aber auch aufrichtig sagen, daß mich Ihr Brief, so sehr ich mich über Ihre lieben Worte gefreut habe, in einer Hinsicht doch enttäuscht hat: Sie schreiben mir zu meinem Bedauern eigentlich fast nichts sachliches über mein Buch\IW{\popperldf}. Ja, Ihre einzige in diese Richtung gehende Bemerkung (,,Im Allgemeinen \ldots{} betont hätten.``) hat mich sogar besonders enttäuscht, denn ich glaube aus ihr zu sehen, daß Ihnen mein Buch\IW{\popperldf} wenig oder nichts Neues sagen konnte, und daß das, was mir neu erschien, Ihnen nur als Betonung von terminologischen Differenzen erscheint! Ich kann dazu nur versichern, daß ich, wo Differenzen von geringerer Bedeutung vorliegen, über diese sehr oft einfach hinweggegangen bin und daß ich mich bemüht habe, die Gegensätze, die mir als sachlich belangvoll erschienen, niemals aufzubauschen. Ich bin mir nicht bewußt, terminologische Differenzen jemals betont zu haben. -- Aber ich hoffe doch noch, näheres von Ihnen über das Buch\IW{\popperldf} zu hören; umso mehr, als, wie mir Kaufmann\IN{\kaufmannfelix} dieser Tage schrieb, Sie die Besprechung\IC{\rezensionpopper} in der Erkenntnis\II{\erkenntnis} übernommen haben. Ich habe mich darüber sehr gefreut, da mir Ihr Urteil (sei es nun günstig oder ungünstig) unter allen Umständen höchst kompetent und interessant ist und ich auf diese Weise doch jedenfalls eine ausführliche Beurteilung von Ihnen zu hören bekommen werde! (Wenn ich Sie daher um etwas bitten darf, so wäre es allein: eine gewiße Ausführlichkeit). Reichenbachs\IN{\reichenbach} Wahrscheinlichkeitslehre\IW{\reichenbachwahrscheinlichkeit} würde ich sehr gerne bespre\neueseite{}chen\IW{}, aber ich weiß nicht, wie ich zu einer Besprechung kommen soll, da Menger\IN{\menger} mir sagte, daß er mit der Redaktion der Monatshefte\II{\monatshefte} gar nichts zu tun habe. Außer von Kaufmann\IN{\kaufmannfelix}, dem, wie er Ihnen wohl geschrieben hat, mein Buch\IW{\popperldf} sehr gefiel und der in der rührendsten Weise Propaganda für das Buch\IW{\popperldf} macht, habe ich nur eine sehr erfreulich-temperamentvolle, wenn auch ablehnende Bemerkung Neuraths\IN{\neurath} über meinen ,,Basissatzstandpunkt``; ferner hielt ich in Mengers Kolloquium\II{\mengerscolloquium} ein Referat\IW{} über den mathematischen Teil der Wahrscheinlichkeitstheorie (mit einigen Ergänzungen, die über das im Buch\IW{\popperldf} dargestellte hinausgehen) und Menger\IN{\menger}, der übrigens nur diesen Teil des Buches\IW{\popperldf} gelesen hat, äußerte ein sehr weitgehendes Lob. Das ist aber auch so ziemlich alles, was ich bisher in dieser Richtung berichten kann. Ich habe das Gefühl, daß niemand das Buch\IW{\popperldf} liest (es sei denn, daß er von Kaufmann\IN{\kaufmannfelix} in freundschaftlicher Weise dazu gepresst wird!) schließlich und begreiflicherweise hat die Welt heute ganz andere Sorgen! Was nun diese betrifft, so dürften wohl auch Sie deren genug haben, und auch uns geht es entsprechend; und die Verhältnisse im Beruf spitzen sich eben, wie alles, immer mehr zu. -- Ihre zweite angekündigte Arbeit\IC{} aus den Monatsheften\II{\monatshefte} habe ich bisher nicht erhalten. Kommen Sie in absehbarer Zeit nach Wien? Henni\IN{\popperfrau} und ich grüßen Sie und Ihre Frau\IN{\ina} herzlichst!} \grussformel{Ihr\\ Karl Popper} \briefanhang{31.\,März 1935,\\ \noindent{}Wien 13., Anton Langergasse 46} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/871685}{RC 102-59-43}.}