\brief[Carnap an Neurath, Prag, 26.~März 1935]% {Rudolf Carnap an Otto Neurath, 26. März 1935}{März 1935}\labelcn{1935-03-26-Carnap-an-Neurath} \anrede{Lieber Neurath,} \haupttext{ich habe Dir geschickt: Auszug aus einem polnischen Aufsatz, übersetzt von Rand\IN{\rand}, zum Behalten.\fnE{Rand promovierte 1937 mit einer Arbeit über Kotarbiński; vgl. auch Rand, ,,Kotarbińskis Philosophie auf Grund seines Hauptwerkes: ,Elemente der Erkenntnistheorie, der Logik und der Methodologie der Wissenschaften\grq\grqq.} -- Rezension Hempel\IN{\hempel} über ,,Wissenschaftslogik``\IC{\aufgabederlogik};\fnSE{Eine entsprechende Rezension Hempels konnte nicht eruiert werden.}\fnE{Eine Rezension Hempels von Carnap, \textit{Die Aufgabe der Wissenschaftslogik}, ist offenbar nicht erschienen. In der \textit{Erkenntnis} wurde diese Schrift in einer Sammelrezension von Grelling besprochen; Grelling, ,,[Rezension von:] Einheitswissenschaft``.} vielleicht ist sie für den von Neider\IN{\neider} geplanten Prospekt geeignet. -- Ich schicke Dir jetzt: Bavink\IN{\bavink} über ,,Wissenschaftslogik``\IC{} (vielleicht auch etwas für Prospekt entnehmbar) und über Schlick\IN{\schlick};\fnEE{Bavink, ,,Naturwissenschaftliche Umschau [10/1934]`` enthält Besprechungen von Carnap, \textit{Die Aufgabe der Wissenschaftslogik}, und Schlick, ,,Über das Fundament der Erkenntnis``, wobei Carnaps Arbeit rundweg abgelehnt wird.} diese beiden Dinge bitte zurück! Ferner Adressenliste II, III.\fnE{Diese Listen (beide datiert mit ,,März 1935``) finden sich unter ON 380/R.14-10.} Es wäre gut, wenn Du eine Kartothek einrichten würdest, statt mit räudigen Listen zu arbeiten. Der American Express hat die von Euch verzeichnete Zahlung nicht angezeigt;\fnE{Eine hsl. Notiz von Marie Reidemeister (RC 029-09-69, vermutlich Beilage zu Brief Nr.~\refcn{1935-03-16-Neurath-an-Carnap}) enthält eine entsprechende Mitteilung.} vielleicht solltet Ihr reklamieren. Der A\editor{merican} E\editor{xpress} ist nachlässig in Buchungen und Mitteilungen. Neider\IN{\neider} schreibt heute: ,,Sie haben sicher auch Hempels\IN{\hempel} Aufsatz\IW{\hempeltheoryoftruth} in der \glq Analysis\grq\II{\analysis} gelesen. Ich finde die historische Darstellung sehr gut und auch die Bemerkung gegen Schlick\IN{\schlick} sehr glücklich. Eben sprach ich Schlick\IN{\schlick}, der erklärte, daß er eine \glq humoristische\grq\ Erwiderung auf Hempels\IN{\hempel} Aufsatz\IW{\hempeltheoryoftruth} geschrieben habe. Eine ernsthafte scheint er leider nicht mehr fertig zu bringen. Schade! Franks\IN{\frankphilipp} Besuch im Schlickzirkel\II{\schlickzirkel} scheint nun das Ende dieser Körperschaft herbeizuführen. Waismann\IN{\waismann} ist über seine öffentliche Kennzeichnung als \glq Scholastiker\grq\ so erbost, daß er erklärt, nicht mehr in der Öffentlichkeit erscheinen zu wollen.``\fnEE{Heinrich Neider an Rudolf Carnap, 25.~März 1935 (\href{https://doi.org/10.48666/870456}{RC~029-07-07}); die beiden erwähnten Texte sind: Hempel, ,,On the Logical Positivists' Theory of Truth``; Schlick, ,,Facts and Propositions``.} Ich würde doch auch sagen, daß der Wiener Kreis\II{\schlickzirkel} zwar nicht von Wittgenstein\IN{\wittgenstein} ausgeht, aber doch in seiner früheren Phase ihm nicht nur Anregungen verdankte, sondern doch zum wesentlichen Teil auf W\editor{ittgenstein}s\IN{\wittgenstein} Anschauungen beruhte. Bei einer Darstellung der heutigen Lage würde ich das natürlich nicht sehr betonen, da unsere Entwicklung ja doch sehr von ihm weggeführt hat. Schlick\IN{\schlick} hat einen Aufsatz\IW{\schlickbeziehung} für eine französ\editor{ische} Zeitschrift\II{} geschrieben, dessen deutsches MS\IW{\schlickbeziehung} er mir zugeschickt hat.\fnEE{Schlick, ,,Über die Beziehung zwischen den psychologischen und den physikalischen Begriffen``; die französische Übersetzung erschien als ,,De la relation entre les notions psychologiques et les notions physiques``.} Darin ist die Bemerkung, daß er selber die These des Physikalismus (nämlich, daß alle Sätze in der phys\editor{ikalischen} Sprache formulierbar seien) schon in seiner ,,Erkenntnislehre`` aufgestellt und vertreten habe.\fnE{Schlick, ,,Über die Beziehung zwischen den psychologischen und den physikalischen Begriffen``, S.\,375f.} Ich habe nachgesehen und es stimmt wirklich. Wieso haben wir das nicht früher bemerkt? Und war nicht Schlicks\IN{\schlick} Einstellung, als wir beide im Zirkel\II{\schlickzirkel} über Physikalismus zu diskutieren begannen, gegen diese These? \cutcn{Zum neuen Rundschreiben: ich bin auf jeden Fall für Kongreß 1935 in Paris\II{\pariserkongress}. Ich hoffe sehr, daß R\editor{ougier}\IN{\rougier} doch noch einiges tun wird, um seine Beziehungen auszunützen. Und wenn nicht, muß es auch so gehn. Der Druck und Versand der Einladungen ist ja wohl durch das bisher zugestandene Geld gedeckt. R\editor{ougier}'s\IN{\rougier} weitere Aufgabe wäre ja wohl gewesen, ev\editor{en}t\editor{uell} mehr Geld zu bekommen, Säle unentgeltlich und ev\editor{en}t\editor{uel}l verbilligte Wohngelegenheiten. Wenn wir kein weiteres Geld mehr bekommen können, müßten wir aus dem Erträgnis der Kongreßbeiträge Saalmiete u.\,dgl. bestreiten. Und verbilligte Wohngelegenheit ist gut, wenn es möglich ist, gabs aber in Prag ja auch nicht. Ich sehe nicht ein, warum die Zahl der Teilnehmer deshalb auf 40 beschränkt werden soll, warum nicht gerade so gut 100 oder 150 kommen können. Das Weitere hängt nun doch nur mehr von den Teilnehmern ab. Zum Programm-Entwurf: Anfang 9 Uhr scheint mir viel zu \neueseite{}\zzz früh! Frühestens geht es um 9\,\nicefrac{1}{2} Uhr! Ich wäre ferner dafür, den Tee am Sonntag wegzulassen. Wenn Geld dafür vorhanden ist, kann er im endgültigen Programm später angekündigt werden. Was sind ,,comissions d'\'{e}tudes``?} Der Daumen heilt und Ina\IN{\ina} ist schon wieder vergnügter. Frank\IN{\frankphilipp} und ich haben hier eine Art Kolloquium\II{\carnapfrankzirkel} eingerichtet,\fnEE{Siehe Anm.~\refcn{pragerzirkel}.} das bisher 2 mal getagt hat. Thema: ,,Physik und Biologie``. Es kommen eine ganze Anzahl Studenten und einige Biologie- und Physik- und Mathematikdozenten. Ob viel dabei herauskommen wird, weiß ich noch nicht, aber es ist so weit ganz nett und erfreulich. Bisher hat Frank\IN{\frankphilipp} 2 mal referiert, nächstes Mal kommt Gicklhorn\IN{\gicklhorn}\fnA{\original{Gickelhorn}} dran. (Frank\IN{\frankphilipp} über Jordan\IN{\jordanp}, Jensen\IN{\jensen} u.\,dgl., G\editor{icklhorn}\IN{\gicklhorn} will im Anschluß an ihn sprechen). Für September 19\uline{36} habe ich eine Einladung zu einem Vortrag an die Harvard Universität\II{\harvard} erhalten (300jahrfeier) mit Zahlung der Reisekosten. In der Zeitung stand, daß künftig in Deutschl\ekl{an}d Zeitungen und Zeitschriften keine Zeile nichtarischer Verfasser mehr bringen dürften. Ich habe bei Meiner\IN{\meinerfelix} angefragt, ob das auch für Fachzeitschriften und für ausländische Mitarbeiter gilt. Wenn ja, wäre das ja wohl ein sanfter Tod der ,,Erkenntnis``\II{\erkenntnis}. Ich hoffe aber, es trifft uns nicht. Es bestand oder besteht noch die Absicht, Freundlich\IN{\freundlich} hierher zu berufen. Darauf Protest der Nazistudenten und anscheinend auch teilweise heftige Opposition im Lehrkörper. Halt die übliche Schweinerei, so wie im Vorjahr bei Kelsen\IN{\kelsen}.\fnEE{Erwin Finlay-Freundlich bekleidete (nach drei Jahren Tätigkeit in Istanbul) 1936--39 eine Professur in Prag; zur gegen vielerlei Widerstände durchgesetzten Berufung Kelsens nach Prag siehe Olechowski, \textit{Hans Kelsen}, 599--603.} Wie weit ist eigentlich Deine Illustrationssache für Ogden\IN{\ogden}? Euch allen sehr herzliche Grüße, auch von Ina\IN{\ina}. } \grussformel{Dein\\Carnap} \ebericht{Brief, msl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/812336}{ON 220 (Dsl. RC 029-09-66)}; Briefkopf: gedr. \original{Prof. Dr.~Rudolf Carnap\,/\,Prag XVII.\,/\,Pod Homolkou 146}, msl. \original{den 26.~März 1935}.}