\brief{Friedrich Bachmann an Rudolf Carnap, 4. März 1935}{März 1935} %Münster(Westf.), den 4.3.1935 \anrede{Sehr verehrter, lieber Herr Professor Carnap!} \haupttext{Endlich komme ich dazu, diesen immer wieder verschobenen Brief an Sie abzufassen, der sich Ihnen nun als Vierteljahrsbericht präsentiert. Zunächst danke ich Ihnen sehr für die Zusendung ihres Antinomien-Aufsatzes\IC{\msantinomien} und für Ihre Karte von der Schlesischen Baude. Das Geld ist damals sehr pünktlich und vollzählig eingetroffen. Nun zunächst eine Frage: In meiner Besprechung\IW{} Ihrer Syntax\IC{\logischesyntax} habe ich behauptet, daß eine in der Syntaxsprache aufgebaute Modalitätslogik gewisse Deutungsschwierigkeiten zum Verschwinden bringt, die auftreten, wenn man die bisher aufgestellten mehrwertigen Satzkalküle in der üblichen Weise modalitätstheoretisch deutet. Ich hatte damit insbesondere gemeint, daß die syntaktische Modalitätslogik die Wertetafeln des dreiwertigen LUKASIEWICZ\IN{\lukasiewicz}-Kalküls -- an den ich zunächst gedacht hatte, da er der einzige mehrwertige Kalkül ist, der mir vertraut ist -- erfüllt. Ich hatte mir das aber nicht gründlich überlegt und habe bald eingesehen, daß ich mich geirrt hatte und daß Ihr Übersetzungsvorschlag für ,,möglich`` für die aussagenlogischen Verbindungen (Konjunktion, Implikation. Äquivalenz) zweier ,,möglicher`` Sätze nicht generell die [bei] LUKASIEWICZ\IN{\lukasiewicz} angegebenen ,,Aussagewerte`` liefert. Ebensowenig genügen andere Kombinationen der syntaktischen Prädikate den Wertetafeln von LUKASIEWICZ\IN{\lukasiewicz}. Dies scheint mir eine ganz grundsätzliche Schwierigkeit, die darauf beruht, daß die Aussageverknüpfungen von Möglichkeitsaussagen im allgemeinen keine Wahrheitsfunktionen der Verknüpfungsbestandteile sind. Sie besteht daher auch für die LEWISsche\IN{\lewis} Logik, da sie durch Wertetafeln erfaßt werden kann. -- Nun treten dieselben Schwierigkeiten auf, wenn man versucht, die mehrwertigen Logiken mit Hilfe des inhaltlichen Möglichkeitsbegriffs zu deuten. Ich sehe den Wert Ihrer Übersetzungen der Modalitäten in syntaktische Begriffe daher darin, daß sie \uline{eine präzise Erfassung der inhaltlichen Modalitätsbegriffe} ermöglichen. Zur Interpretation der mehrwertigen Kalküle scheinen mir die inhaltlichen und Ihre syntaktischen Modalitäten gleichermaßen ungeeignet. Wie denken Sie darüber? Nun ein paar Mitteilungen: Die [z]weite Hälfte des vergangenen Wintersemesters ist für mich sehr unruhig verlaufen, sodaß ich die Extremalaxiome nicht sehr wesentlich habe fördern können. Vor Weihnachten habe ich mich mit Unabhängigkeit von Axiomen in ASen, die durch ein Extremalaxiom abgeschlossen sind, und mit der ,,Verschiebbarkeit`` von Axiomen in solchen ASen beschäftigt. Jetzt bin ich aber an die Förderung dieser Dinge gegangen und habe zunächst eine allgemeine Anschreibung für die q-stufige Isomorphie ausgedacht. Ich hoffe, bis zum 1.\,April den Aufsatz\IW{} im Rohbau fertig zu stellen, da ich im Sommersemester in Marburg bei REIDEMEISTER\IN{\reidemeisterkurt} Geometrie arbeiten möchte. Im Augenblick bin ich zudem sehr stark durch die Doktoranden von SCHOLZ\IN{\scholzheinrich} in Anspruch genommen, die bis Ostern fertig werden wollen. Es werden daher innerhalb des nächsten halben Jahres in den SCHOLZschen For\neueseite{}schungen zur Logistik die drei Arbeiten H. SCHWEITZER\IN{}, Die Theorie der sog. Definitionen durch Abstraktionsklassen und --relationen\IW{} E. ROTH\IN{\rotheugen}, Axiomatische Untersuchungen zur projektiven, affinen und metrischen Geometrie\IW{} W. KINDER\IN{}, Die reellen Zahlen in logistischer Konstituierung\IN{} \noindent erscheinen. SCHOLZ\IN{\scholzheinrich} selbst ist leider wieder zu einer vierwöchigen Liegekur gezwungen. In den vergangenen Wochen habe ich versucht, nach Kräften für die Verbreitung der Gedanken Ihrer ,,Syntax``\IC{\logischesyntax} zu sorgen und in Marburg im Mathematischen Kolloquium\II{\mathkolloquium}, in Göttingen in einer Vortragsreihe der Mathematischen Fachschaft\II{} und hier in Münster vor den versammelten Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Schulmännern der Provinz\II{} in gewissen Variationen über das Thema: Gibt es unentscheidbare mathematische Sätze? (ein Ragout aus GÖDELs\IN{\goedel} Aufsatz\IW{} in Ihrer Fassung\IC{} und Ihren beiden Aufsätzen\IC{\msantinomien} \IC{\gueltigkeitskriterium} in den Monatsheften\II{\monatshefte}) vorgetragen. Es hat mir viel Spaß gemacht, aber die Reaktionen des deutschen Menschen aus dem Jahre III des dritten Reiches auf diese Dinge können sehr merkwürdig sein. Die Enzyklopädie der Mathematischen Wissenschaften\II{\emw} wird allmählich neu aufgelegt. Der erste Band über Algebra soll auch einen Artikel\IW{} über mathematische Logik und Grundlagenforschung enthalten, den SCHOLZ\IN{\scholzheinrich} und ich übernehmen werden. Außerdem wird der von FREGE\IN{\frege} so scharf angegriffene Artikel\IW{} von SCHUBERT\IN{} über die Zahlen neu vergeben. Ob wir ihn auch erhalten, ist noch ungewiß. Herr BERNAYS\IN{\bernays} hat mir auf meine Blätter ,,Frege als konstruktiver Logizist``\IW{} sehr ausführlich geantwortet. Er macht mich nochmals auf den CHURCH\IN{\church} aufmerksam. Sie sagten damals, die Arbeit von CHURCH\IN{\church} enthielte einen Widerspruch. Nun gibt es aber außer der in Ihrer ,,Syntax``\IC{\logischesyntax} genannten Arbeit ein second paper von 1933\IW{}. Bezog sich Ihre Bemerkung auch auf die in diesem durchgeführte Modifikation? Sie wissen, daß ich schon lange auf der Jagd nach Druckfehlern in der ,,Syntax``\IC{\logischesyntax} war. Endlich habe ich einen wesentlichen und einen unwesentlichen entdeckt. S.\,92 hinter dem GÖDELschen\IN{\goedel} Satz fehlt ,``, S.\,VII 2.\,Zeile fehlt ,)`. Sie werden auch inzwischen die Arbeit\IW{} von HELMER\IN{\helmer} erhalten haben; ich schicke Ihnen den Durchschlag eines Briefes an ihn mit, der Sie vielleicht wegen des Vollständigkeitsaxioms interessieren wird. HEMPEL\IN{\hempel} hat uns vorgestern auf dem Weg nach Brüssel besucht. Können Sie uns Genaueres über den Pariser Kongreß für die Einheit der Wissenschaft\II{\pariserkongress} im September mitteilen? SCHOLZ\IN{\scholzheinrich}, BECKER\IN{\beckeralbrecht} und ich würden gern hinfahren. Sind wohl noch Vorträge zu vergeben? Das wäre für uns wegen der Devisenzuteilung und der Möglichkeit, uns um Reisezuschüsse bewerben zu können, wichtig. Ihre Frau\IN{\ina} ist nun hoffentlich im Vollbesitze einer voll leistungsfähigen Uhr; ich muß zu dem Fall noch Folgendes nachholen: nach meinem Uhrmacher ist die Behauptung seines Prager Kollegen, er habe die Feder ausgewechselt, gelogen. Federn auswechseln sei ausgesprochene Spezialarbeit, an die man bei so kleinen Werken nur Leute mit entsprechenden Maschinen und zehnjähriger Erfahrung heranließe. Wenn der Prager Mann es versucht hätte, würde er acht Tage daran gesessen haben und doch einen Fehler von einigen Minuten pro Tag nicht haben eliminieren können. Ich lege Ihnen ein Exemplar meines Artikels\IW{} zu Scholzens\IN{\scholzheinrich} 50. Geburtstag bei. Leider mußte er unter sehr starkem Druck fertiggestellt werden. Grüßen Sie bitte Ihre Frau\IN{\ina} von mir; den NEURATH\IN{\neurath} hat BECKER \neueseite{} mir schon seit Wochen entführt, hoffentlich wird er noch nicht vermißt, ich werde für seine baldige Rückkehr nach Prag sorgen. Als Komplement schicke ich zwei Aufsätze\IW{} \IW{} von SCHOLZ\IN{\scholzheinrich} mit, die ich gelegentlich zurückzuschicken bitte. Mit freundlichen Grüßen} \grussformel{Ihr ergebener\\ F. Bachmann} \ebericht{Brief, msl., 3 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/855446}{RC 028-02-01}; Briefkopf: msl. \original{Mündter (Westf.), den 4.\,3.\,1935}.}