Neurath an Carnap, Den Haag, 28. Januar 1935 Otto Neurath an Rudolf Carnap, 28. Januar 1935 Januar 1935

Lieber Carnap!

Ad Jonas CohnPCohn, Jonas, 1869–1947, dt.-brit. Philosoph. Ich halte es für völlig abwegig, in der ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift Auseinandersetzungen mit der traditionellen Philosophie zu bringen. Man hat kaum Raum für die internen Sachen. Ich würde Euch ohnehin raten, die Aufsätze normal auf 16 Seiten und nur ausnahmsweise auf 24 Seiten und ganz selten auf 32 Seiten anwachsen zu lassen. Das „biologische“ Heft mit den zwei weitschweifigen Artikeln war höchst langweilig. Das Wesentliche wäre weit kürzer sagbar gewesen. Wir haben gar kein Interesse daran, uns mit den „typischen“ Einwänden auseinanderzusetzen. Es ist viel wichtiger, sich z. B. mal mit PoppersPPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper Dingen auseinanderzusetzen. Denn in seinem in vielem so anregenden BuchBPopper, Karl R.!1935@Logik der Forschung, Wien, 1935 stehen auch einige sehr bedenkliche Dinge, vor allem ist die Art, wie er die Schulphilosophen als die notwendigen Lehrmeister der armen Positivisten hinstellt, geradezu aufreizend. Oder bist Du da maßvoller. Dieser Zurückweg zu FriesPFries, Jakob Friedrich 1773–1843 hat mich sehr interessiert. Die Mängel bei GrellingPGrelling, Kurt, 1886–1942, dt. Philosoph sind von anderer Seite her via NelsonPNelson, Leonard, 1882–1927, dt. Philosoph von FriesPFries, Jakob Friedrich 1773–1843 abzuleiten. Bei PopperPPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper kommt auch KantPKant, Immanuel, 1724–1804, dt. Philosoph wieder mal besser weg als bei uns. Ich glaube, er kennt so die richtige Philosophie wenig und tritt für sie ein wie manche für die katholische Kirche, wenn sie ein paar feinere theologische Sachen gelesen haben. Also gegen Jonas CohnPCohn, Jonas, 1869–1947, dt.-brit. Philosoph. Ich fand ja Fred BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph reichlich überflüssig.

Ich habe heute SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick geschrieben, Brief folgt anbei in Durchschlag.3Neurath an Schlick, 28. Januar 1935, (RC 029-09-90).

Bei PopperPPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper gibt es offenbar neben den logischen und den realwissenschaft"-li"-chen Sätzen noch eine dritte Kategorie6Siehe dazu unten, Brief Nr. , Anm. .– das bringt ihn KaufmannPKaufmann, Felix, 1895–1949, öst.-am. Philosoph näher. Und psychologistisch verwendet er doch auch auf meine Formulierung der Protokollsätze angewendet, wo doch nichts weiter passiert, als daß physikalische Termini auftreten, die aus dem Behaviorbereich sind. Es wird aber nur der logische Gehalt besprochen, besprochen, ob man Klammerausdrücke selbständig zuläßt usw. Auch sonst scheint er das Wort psychologistischnicht wie wir zu verwenden, als Kontrast gegen logisch, sondern, wenn man in realwissenschaftlichen Sätzen Wahrnehmungsbehavior auftreten läßt. Was zweckmäßig sei oder nicht. Es ist jedenfalls physikalistisch. PopperPPopper, Karl Raimund, 1902–1994, öst.-brit. Philosoph, verh. mit Josefine Popper tut das ironisch ab, als ob nur eine Erlebnisterminologie als Physikalismus bezeichnet werden solle.

Ich würde fast meinen, daß HempelsPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel VortragBHempel, Carl Gustav!1935@„On the Logical Positivists’ Theory of Truth“, Analysis 2, 1935, 49–59 sowohl deutsch als englisch erscheinen sollte. Ich kenne den Text nicht. Nach dem Referat in BrüsselB würde ich nur wünschen, soweit eine historische Bemerkung vorkommt, daß wir nicht als Ableger von WittgensteinPWittgenstein, Ludwig, 1889–1951, öst.-brit. Philosoph erscheinen. Ich bin es sicher nicht.

Mit guten Grüßen

Dein
ON

Brief, msl., 2 Seiten, RC 029-09-89 (Dsl. ON 220); Briefkopf: gedr. Mundaneum Institute The Hague mit näheren Angaben, msl. Herrn Prof. Dr. R. Carnap\,/\,Prag und 28. Jan. 1935.


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