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Lieber Schlick‚
besten Dank für Deinen Brief. Ich bin gerade dabei, den Aufsatz
Meine Bemerkung zur Frage der Verifizierbarkeit war nicht als Sinnkriterium gemeint, sondern als Vorschlag einer Präzisierung, was wir unter „grundsätzlich verifizierbar“ verstehen wollen. Nach dieser Präzisierung kann dann erst darüber diskutiert werden, ob jeder wissenschaftliche Satz diese Eigenschaft haben muß. Dein Vorschlag, den Begriff weiter zu fassen, ist gewiß auch durchführbar; aber mein Vorschlag scheint mir doch besser zum üblichen Sprachgebrauch zu passen. Nehmen wir ein Beispiel. Man nennt einen Körper rot, wenn er, mit weißem Licht bestrahlt, rot aussieht. Analog könnte jemand ein Prädikat „\(E\)“ durch folgende experimentierendeelle Methode definieren wollen: wir wollen sagen, ein Körper habe die Eigenschaft \(E\), wenn er, mit Kathodenstrahlen von Überlichtgeschwindigkeit bestrahlt, das und das Verhalten zeigt. Mir scheint, es würde dem üblichen Sprachgebrauch besser entsprechen, wenn wir sagen würden, daß dies keine Angabe einer Verifikationsmethode ist, weil die Bedingungen des Experimentes physikalisch unmöglich sind, wenn wir also sagen würden, der Satz „Dieses Stück Eisen hat die Eigenschaft \(E\)“ sei nicht verifizierbar, und zwar nicht nur technisch unverifizierbar (wie es der Satz über den Krater auf der Rückseite des Mondes ist), sondern grundsätzlich unverifizierbar. – Wenn Dir das gegen das Sprachgefühl geht, möchte ich vorschlagen, daß wir den Ausdruck „grundsätzlich unverifizierbar“ vermeiden und ihn in die beiden Fälle der physikalischen und der logischen Unmöglichkeit aufspalten. Wir haben dann im Ganzen 4 Fälle der Nicht-Verifizierbarkeit: die Verifikation ist 1) nur praktisch unmöglich (Mond-Beispiel), 2) physikalisch unmöglich (\(E\)-Beispiel), 3) logisch-unmöglich (das sind die Fälle, die Du im Auge hast).
Deinen Aufsatz über das Fundament der Erkenntnis
Mit besten Grüßen
Dein
R. Carnap
Brief, msl., 1 Seite, MS 95/Carn-44 (Dsl. RC 029-28-03); Briefkopf: gestempelt Prof. Dr. Rudolf Carnap  /  Prag XVII.  /  N. Motol, Pod Homolkou 146, msl. den 23. Januar 1935.