\brief{Rudolf Carnap an Carl Gustav Hempel, 23. Jänner 1935}{Jänner 1935} %Prag, den 23.Januar 1935. \anrede{Lieber Hampelante,} \haupttext{es tut mir schrecklich leid, daß Du krank zu Bett liegst, und so weit weg, daß man Euch gar nicht mal etwas helfen kann. Hoffentlich hat Dich die Geschichte nicht zu sehr geschwächt, sodaß Du bald wieder munter an die Arbeit gehn kannst. Alles Wichtige hat Ina\IN{\ina} schon geschrieben. Dein englischer Vortrag\IW{} ist sehr erfreulich. Und wie gut, daß Du zur Stelle warst, um die argen Mißverständnisse von Black gleich aufzuklären. Wir machen doch immer wieder die Erfahrung, daß wir viel mehr mit Mißverständnissen als mit Einwänden zu tun haben. Ein paar \uline{Bemerkungen zum englischen Vortrag:\IW{}} \uline{1.} Ich bin nicht ganz sicher, ob es zweckmäßig ist, unsere Auffassung als Kohärenztheorie zu bezeichnen. Ich möchte so nur eine Auffassung benennen, die die Übereinstimmung der Sätze untereinander \uline{als einziges Wahrheitskriterium} verwendet. \uline{2}. S.\,3. Daß Sätze nur mit Sätzen verglichen werden, ist allerdings eine Formulierung von N[eurath]\IN{\neurath} also Dein Bericht historisch richtig. Da Du Dich aber sonst mit Erfolg bemüht hast, die Thesen nicht nur einfach wiederzugeben, sondern möglichst auch zu präzisieren, wäre es wohl gut, diese schlechte Formulierung wegzulassen. Ich glaube nach langem Bemühn habe ich auch N[eurath]\IN{\neurath} endlich von der Falschheit dieser Formulierung überzeugt. Also nur negativ: ,,nicht Sätze mit Atomfakten vergleichen``. \uline{3}. S.\,8 unten. ,,Wahr`` ist aber kein syntaktischer Begriff, kann nicht formal charakterisiert werden! Lieber so: es gibt kein theoretisches Wahrheitskriterium im Gebiet der synthetischen Sätze. (So richtig S.\,11). \uline{4.} S.\,14 Zeile\,10. ,,and Neurath's\IN{\neurath}`` vielleicht streichen; diese Einsicht habe ich mit Mühe N[eurath]\IN{\neurath} beibringen müssen, und ich bin noch heute nicht sicher, ob er nicht (durch ,,Behauptung`` seiner Protokollsatzform und ,,Widerlegung`` der von andern angenommenen) wieder dagegen verstößt. -- Im übrigen aber ist es sehr gut, daß die Verdienste des armen N[eurath]\IN{\neurath} von Dir gut herausgestrichen worden sind; Schlick\IN{\schlick} schreibt mir soeben, daß N[eurath]\IN{\neurath} in Wien nur mehr von Neider\IN{\neider} ernst genommen wird! -- Ich habe gestern \uline{Reichenbachs\IN{\reichenbach} Buch\IW{\reichenbachwahrscheinlichkeit}} bekommen. Eine große und schöne Leistung; eine gute Basis für die weiteren Diskussionen des Wahrscheinlichkeitsproblems. 1. Leider sind die Formulierungen der grundlegenden Bestimmungen seines Systems oft nicht korrekt. In Abschnitt II (Logistik) sind mehrere unkorrekte Stellen, dabei 5, die ich ihm im MS\IW{\reichenbachwahrscheinlichkeit} korrigiert hatte, die er aber, eigensinnig wie er ist, nicht geändert hat (z.\,B. die dauernde Verwechslung zwischen Implikation und Folgebeziehung). 2. In Abschnitt III (AS der elementaren W.) ist die Symbolik und besonders die Technik der Abkürzungen nicht korrekt. Besonders 3 Stellen sind sehr bedenklich: die Abkürzung (2) S.\,60, (5) S.\,61 und (9) S.\,62. An der 2. und 3. Stelle ist es mir schon gelungen, einen Widerspruch abzuleiten; ich vermute, daß es auch an der ersten möglich ist. 3. Die Verwendung von x\textsubscript{i} und y\textsubscript{i} scheint mir überflüssig; \uline{ein} \neueseite{} solcher Ausdruck genügt. (Übrigens ist dieser Ausdruck keine Variable, wie R[eichenbach]\IN{\reichenbach} glaubt; sondern x\textsubscript{i} ist eine Funktorkonstante, i ihr Argument, also besser so zu schreiben: ,,k(i)`` d.\,h. ,,der Gegenstand mit der Nummer i``.) Definieren wir g`(x)=\textsubscript{Df} g(\{smbol\} y (e(x,y))), so nimmt (4) S.\,59 die einfachere Form (6) an (aber mit 6`). 4. In (3) S.\,57 und (4) S.\,59 stehen Alloperatoren. Durch Einsetzung eines Einzelwertes ergibt sich eine singuläre Wahrscheinlichkeitsaussage. Eine solche wird aber später als sinnlos erklärt. -- Es fehlen überhaupt Formbestimmungen. (Über (3) und (4) haben wir vielleicht schon mal gesprochen?) Die spätern Abschnitte habe ich noch nicht gelesen, besonders noch nicht die Wahrscheinlichkeitslogik. \uline{Nagel}\IN{\nagel} schreibt aus \uline{Wien}: ,,I attended one meeting of the Wiener Kreis\II{\schlickzirkel}. Schlick\IN{\schlick} translated from Lewis'\IN{\lewis} paper\IW{} and he and the others disposed of the examples of meaningful but allegedly unverifiable propositions. Schlick\\begin\IN{\schlick} remarked, referring to the ``Notes for a reply to Lewis''\IC{} which you sent him, that `Carnap\IN{\carnap} hat sich getroffen gefühlt` on the score of some of Lewis'\IN{\lewis} criticism of the positivists. He implied, so I understood him, that he himself never held any of the positions which you thought necessary to disawow. I must say that if that is the case I never understood Schlick's\IN{\schlick} position, for I distinctly recollect his maintaining what seems to me a mistaken form of logical atomism. My own impression of the meeting is that, with the exception of Menger\IN{\menger} and Kaufmann\IN{\kaufmannfelix}, it had the air of a congregation with the members singing in chorus with Schlick. I had the distinct sense that you were very conspicuous by your absence -- an impression which Kaufmann later verified. At the next meeting Schlick\IN{\schlick} will read from the unpublished manuscripts\IW{} of Wittgenstein\IN{\wittgenstein}. Everybody must promise to make proper acknowledgments if he should publish anything on the basis of what he hears. I expect to go, and hope to write you about what goes on.'' Dir und Eva\IN{\hempelfrau} herzliche Grüße und die besten Wünsche für Deine Gesundung!} \grussformel{Dein\\{} \blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 2 Seiten, \href{https://doi.org/10.48666/848313}{RC 102-14-42}; Briefkopf: msl. \original{Prag, den 23.\,Januar 1935}.}