\brief{Rudolf Carnap an Felix Kaufmann, 16. Jänner 1935}{Jänner 1935} %, den 16.Januar 1935. \anrede{Lieber Herr \textit{Kaufmann},} \haupttext{Ihr MS\IW{} habe ich mit lebhaftem Interesse gelesen. Ich schicke es Ihnen gleichzeitig eingeschrieben zurück. Wenn ich auch nicht mit allen Einzelheiten einverstanden bin, so glaube ich doch, daß es für die Geisteswissenschaftler eine nützliche Lektüre sein wird. Wo die Abweichungen zwischen unsern Auffassungen liegen, ist Ihnen ja bekannt; es sind hauptsächlich die folgenden: 1. die Interpretation der Logik als Lehre vom deutlichen Denken (aber abstrahierend von Ort, Zeit und Person) ist in meinen Augen ein psychologistischer Restbestand, diese Differenz ist aber wohl weniger bedeutungsvoll; wichtiger ist 2. die Differenz in bezug auf den Physikalismus. Hier scheint mir, daß die Erörterung des psycho-physischen Problems doch nicht ganz frei von Scheinfragen ist. Andrerseits stimme ich Ihnen bei in Ihrer Kritik des Vitalismus und in Ihrer Darlegung über die Werte. Besonders die ausführliche Darstellung der Relationalität der Werte wird für Geisteswissenschaftler sehr aufschlußreich und hilfreich sein. Interessant war für mich auch, daß Sie Lust und Unlust nicht als bestimmte Gefühlsqualitäten ansehen; das würde freilich manche Fragen wesentlich vereinfachen; gibt es Psychologen, die auch diese Auffassung vertreten? Mangels Platz am Rande habe ich meine Bemerkungen jeweils (mit Bleistift) auf die Rückseite des vorhergehenden Blattes geschrieben. Das 1. Kapitel scheint mir übersichtlich genug. Ich selbst allerdings habe die Gewohnheit, in meinen Büchern durchwegs ganz klein Abschnitte mit eigenen Überschriften zu machen; bei schwieriger Materie erleichtert das doch wohl die Lektüre. Ihre empirischen Sätze entsprechen meinen Objektsätzen; Ob Ihre Sätze der rationalen Nachkonstruktion meinen syntaktischen Sätzen entsprechen, könnte man scharf erst dann entscheiden, wenn sie in einer scharf bestimmten Sprache formuliert vorlägen. Immerhin möchte ich vermuten, daß sie sich in syntaktische Sätze übersetzen lassen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß diese Sätze analytisch sind. Poppers\IN{\popper} Buch\IW{\popperldf} habe ich mit großer Freude gelesen. Es ist sehr klar und aufschlußreich, und wird so hoffentlich auch für ihn selbst Erfolg bringen. Für Ihren Gruß aus Mittersill Ihnen und Ihrer Frau\IN{\kaufmannfrau} herzlichen Dank. Wir waren inzwischen einige Tage im Riesengebirge zum Skilaufen, hatten guten Schnee, aber wenig Sonne. Sehr herzliche Grüße 2:3.} \grussformel{Ihr\\ \blockade{ksl.}} \ebericht{Brief, msl. Dsl., 1 Seite, \href{https://doi.org/10.48666/870004}{RC 028-20-08}; Briefkopf: msl. \original{den 16.\,Januar 1935}.}