Otto Neurath an Rudolf Carnap, 28. Dezember 1934 Dezember 1934

Lieber Carnap!

Dir und der schweigsamen InaPCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap viele gute Neujahrswünsche! Auch von mir. MRaHsl. Einschub (von Marie Reidemeister).

So. Und nun „Dienst“:

Wenn Du die Bibliographie auf etwa 10 Nummern reduzieren könntest! Am ehesten kann vielleicht weg: 1., 2. weil doch wohl soweit wesentlich im späteren enthalten. 14., 15. weil speziell.aKsl. 1 und 2 ganz streichen; bei 14, 15 Begleittext streichen!. Vielleicht erwähnst Du 14. und 15. lieber im Literatur-Hinweis am Schluß Deines Vortrags!

Du, die Sätze-Klassifikations-Tafel ist jetzt nicht sehr gut im Druck.1Carnap, „Formalwissenschaft und Realwissenschaft, S. 33. Du mußt mehr Linien einführen, meine ich.

Also.

  1. Von allen Verfassern der Berichte und Ergänzungen kommen Biblio- und Biographie.

  2. Ausführlichere Bibliographie zu AjdukiewiczPAjdukiewicz, Kazimierz, 1890–1963, poln. Philosoph.

  3. Ausführlichere Bibliographie zu MorrisPMorris, Charles W., 1901–1979, am. Philosoph, bis 1951 verh. mit Trude Morris, danach mit Ellen Ruth Morris-ArtikelB, den er erst sendet. ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach hat Raum beigestellt. Heft 1 wird also 4 Bogen, Heft 2 bis 6 Bogen stark.

  4. Sonstige Bibliographie. Noch nicht klar, wie groß der Kreis gemacht werden kann. GrellingPGrelling, Kurt, 1886–1942, dt. Philosoph und ich besprechen sozusagen die verschiedenen konzentrischen Kreise, wenn A drin ist, dann muß auch…usw., wenn aber C nicht, dann auch nicht D…

OlgaPNeurath, Olga, 1882–1937, geb. Hahn, auch Neuräthin und Peterl, öst. Philosophin und Mathematikerin, verh. mit Otto Neurath, Schwester von Hans Hahn und Louise Fraenkel-Hahn hat sich sehr über Gabe gefreut. Differenz geht an angegebene Adresse, wenn nicht gerade Schillinge einlaufen.

Ich würde doch, da MorrisPMorris, Charles W., 1901–1979, am. Philosoph, bis 1951 verh. mit Trude Morris, danach mit Ellen Ruth Morris es ausdrücklich wünscht, Deinen Namen nennen.

2. Jan. 1935

Fröhlich Neujahr. Inzwischen hast Du selbst die Tabelle geändert, all right. Ich hoffe sehr, daß unser Bericht schön wird und eine wirkliche Bedeutung bekommt.

Deine Art, mit den Paradoxen fertig zu werden, ist auch für den, der nicht alles selbst genau nachkontrolliert, ein wirklicher Genuß. Auch MannouryPMannoury, Gerrit, 1867–1956, niederl. Mathematiker und Philosoph war schon über die Andeutungen in der log[ischen] SyntaxB1934@Logische Syntax der Sprache, Wien, 1934 sehr erfreut und lobte Deine Technik sehr. Seine BesprechungB wird sehr nett.

Schreib mir umgehend, ob ich auch meine Schuld an FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank auf das Londoner Konto zahlen kann, worauf Du ihm entweder Tschechen2Gemeint sind offensichtlich tschechische Kronen. gibst, oder er es bei Dir in London hat. Ich suche übrigens all meine Schulden rasch abzubürden, damit später einmal der Testamentsvollzieher nicht so viel Mühe hat, wenn doch das große Gas kommt – zunächst wohl im großen Ozean.

Ich würde erhebliches Gewicht darauf legen, die Diskussionsbeiträge zum PhilosophenkongreßIInternationaler Kongress für Philosophie@8. Internationaler Kongress für Philosophie, Prag, 2.-7.IX.1934 zur Durchsicht zu bekommen, so weit es sich um mein Territorium und die Nachbarn handelt.

Mit KrausPKraus, Oskar, 1872–1942, tschech. Philosoph🕮 wechsle ich kuriose Briefe. Zum Teil über unsere „Vaterfetische“ BrentanoPBrentano, Franz, 1838–1917, dt.-öst. Philosoph und MachPMach, Ernst, 1838–1916, öst. Physiker und Philosoph.3Vgl. Oskar Kraus an Otto Neurath, 28. März 1934, bzw. Otto Neurath an Oskar Kraus, 13. Dezember 1934 (beide ON 258).

Lieber CarnapPCarnap, Rudolf, 1891-1970, dt.-am. Philosoph, 1917-1929 verh. mit Elisabeth Carnap und ab 1933 mit Ina Carnap. Ein Rat. Sorge dafür, daß die ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift, die so wichtig für uns ist, nicht zu breite Sachen bekommt, die Raum nehmen und niemanden recht freuen. Fred Bon hätte man doch ohne Kränkung sagen können, er solle seine Sache kürzer vorlegen, dann drucke man sie.4Bon, „Der Gegenstand der Psychologie“. Ich habe ernsthaft nachgedacht, wen der ArtikelBBon, Fred!„Der Gegenstand der Psychologie“ freuen soll? Unsere Leute sicher nicht, und für die anderen ist er doch wieder nicht genug Polemik gegen uns. JuhosPJuhos, Béla, 1901–1971, ung.-öst. Philosoph ist dagegen am PlatzBJuhos, Béla!„Kritische Bemerkungen zur Wissenschaftstheorie des Physikalismus“.5Juhos, „Kritische Bemerkungen zur Wissenschaftstheorie des Physikalismus“. Auch so was könnte kürzer sein, muß aber nicht. Aber Fred BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph? Eigentlich sollten als Rezensenten nur Leute erscheinen, die zu uns gehören, nicht so fremdartige Typen, die so unvollkommen sind. Gibt uns eine solche BesprechungBBon, Fred!„Gätschenberger, Zeichen, die Fundamente des Wissens einige Sicherheit?6Bon, „[Rezension von:] Gätschenberger, Zeichen, die Fundamente des Wissens“. Oder hast Du über BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph Freundliches gehört? Die drei Hefte der Sammlung EinheitswissenschaftIEinheitswissenschaft, Schriftenreihemüssen, und zwar von jemandem Ordentlichen, besprochen werden. Es ist doch schon lächerlich, daß unsere Arbeiten in unserer ZeitschriftIErkenntnis, Zeitschrift nicht behandelt werden, während diese arme ZeitschriftI unsere Artikel und Diskussionen bringen muß. Auch die empirische SoziologieBNeurath, Otto!1931@Empirische Soziologie. Der wissenschaftliche Gehalt der Geschichte und Nationalökonomie, Wien, 1931muß kommen.7Vgl. dazu oben, Brief Nr. . Bitte laß Dir mal von HempelPHempel, Carl Gustav, 1905–1997, dt.-am. Philosoph, verh. mit Eva Hempel, ab 1947 mit Diane Hempel eine Analyse der BonarbeitBBon, Fred!„Der Gegenstand der Psychologie“ und der BonrezensionBBon, Fred!„Gätschenberger, Zeichen, die Fundamente des Wissens machen. Natürlich ists gut, daß man ihn zur Diskussion zuläßt. Aber etwas schmaler. Wie vieles unterdrücken wir, das enorm wichtig ist, weil wir wissen, es ist wenig Raum da.

Natürlich kommt die Mitteilung über den Internationalen Kongreß für Einheit der WissenschaftIKongressfuerEinheit@1. Kongreß für Einheit der Wissenschaft/Congrès International de Philosophie Scientifique, Paris, 16.-21.IX.1935 gleich am Anfang. Ich dachte nur die speziellen Mitteilungen über Paris, mit der ungefähren Tagesordnung ganz am Ende, hinter allem sozusagen als Endfanfare zu bringen (umso mehr, als ja nicht ganz sicher ist, ob ParisIKongressfuerEinheit@1. Kongreß für Einheit der Wissenschaft/Congrès International de Philosophie Scientifique, Paris, 16.-21.IX.1935 wird. RougierPRougier, Louis, 1889–1982, fr. Philosoph verhandelt mit dem „Quai“8Gemeint ist das französische Außenministerium mit dem Sitz am Quai d’Orsay. und zieht ihn mit einem Seil – hoffen wir das Beste). Es würde dann der BerichtB mit den Schalmeien und den Hörnern beginnen – dann folgen die Tenöre (Bässe – Schurken haben wir ja nicht), die Soprane (Jugend, Sängerknaben) und die Primadonnen (SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick im unübertroffenen ContertanzbContertranz9Beim Kontertanz (auch „Kontratanz“) stehen Tänzer/Tänzerinnen in der Grundaufstellung einander gegenüber. mit JordanPJordan, Pascual, 1902–1980, dt. Physiker) – und dann nach allerlei qui pro quos der Diskussion (zum Teil mehrstimmige Chöre) und der Bibliographie und Biographie (manches Satyrspiel nach der Tragödie), wie ich schon sagte, die Schlußfanfare mit PARIS. PARIS. Posaunenbläser bereits bestellt, die Noten zur Fanfare liegen bereit. WIR warten auf den QUAI. Wenn er nicht zu sehr mit Saarfrage usw. beschäftigt ist‚10Die Zugehörigkeit des Saargebietes wurde durch eine Volksabstimmung im Januar 1935 entschieden; siehe dazu auch unten, Brief Nr. , Anm. . bekommen wir via Kairo bald Antwort, und zwar per Flugpost (so modern verkehren RougierPRougier, Louis, 1889–1982, fr. Philosoph und ich miteinander).

Ich wiederhole immer wieder, so weit ich Einfluß habe drucke ich an Bibliographie und Information alles so früh als möglich. Nach uns die Vergasung. Wie schön, wenn wir im gasdichten Keller wenigstens sagen können, daß unsere Bibliographie der staunenden Nachwelt erhalten bleiben wird. Im Ernst. Was weiß ich, ob überhaupt noch ein Kongreß sein wird, was weiß ich, was 1936 sein wird, wie viele Weltkriege oder sonstige Erschütterungen dann im Gang sind. Aber natürlich alles mit Dir und ReichenbachPReichenbach, Hans, 1891–1953, dt.-am. Philosoph, ab 1921 verh. mit Elisabeth Reichenbach, ab 1946 verh. mit Maria Reichenbach im Einvernehmen, ich habe ja gar keine Kompetenz von mir aus. Wer weiß, ob nicht so eine Publikation in vielem ein Schwanengesang ist. Ich bin jetzt an diese Art von Lyrik sehr gewohnt und nutze den Tag. Carpe diem, sagten die Lateiner.

Ich würde sehr gerne Deinen Titel so haben, daß er sich von dem unterscheidet, den MorrisPMorris, Charles W., 1901–1979, am. Philosoph, bis 1951 verh. mit Trude Morris, danach mit Ellen Ruth Morris hat.11Carnap, „Formalwissenschaft und Realwissenschaft“, bzw. Morris, „The Relation of the Formal and Empirical Sciences within Empiricism“. Es wirkt erfreulicher, wenn ein neues Instrument durch eine kleine Spezialflöte eingeleitet wird. Aha, jetzt kommt was anderes!

Nein, die vollständige Besetzung der Räume mit Beispielen erwartet eigentlich jeder, der solche Schemen liebt, wie ich z. B. 🕮

Armer VogelPVogel, Thilo, *1903, dt. Philosoph. Um den möchte ich mich etwas kümmern. Ich lege Dir die Liste des großen Komitees bei.12Beigelegt ist keine Liste, sondern eine englischsprachige Einladung zum Eintritt in das „Permanent Committee“ zur Organisation der Kongresse für Einheit der Wissenschaft (msl., 1 Seite, RC 029-10-02; hsl. eingefügt ist „Carnap zur Kenntnis (statt Liste)“). Aufgelistet sind dabei: die Mitglieder des „Temporal Committee“ (Carnap, Frank, Jørgensen, Łukasiewicz, Morris, Neurath, Reichenbach, Rougier, Schlick), diejenigen, die diese Einladung bereits angenommen haben, sowie diejenigen, deren Antwort noch aussteht. BollPBoll, Marcel, 1886–1971, fr. Physiker und Philosoph hofft FrankPFrank, Philipp, 1884–1966, öst.-am. Physiker und Philosoph, verh. mit Hania Frank, Bruder von Josef Frank noch zu fangen. Mir läge sehr daran, SchlicksPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick Stellungnahme zu unserer Haltung kennen zu lernen. Ich fürchte, daß dort, wo er nicht allgemein den Standpunkt der Wissenschaft vertritt (Jordandisk[ussion]PJordan, Pascual, 1902–1980, dt. Physiker, Ganzheit usw.)BSchlick, Moritz!„Ergänzende Bemerkungen über P. Jordans Versuch einer quantentheoretischen Deutung der Lebenserscheinungen“13Schlick, „Einige Bemerkungen über P. Jordans Versuch einer quantentheoretischen Deutung der Lebenserscheinungen“ bzw. „Über den Begriff der Ganzheit“. uns durch seine wittgensteinelnde Privatphilosophie etwas belastet. Oder nicht?

Ich würde doch auf Fred BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph antworten. Ich unterließ es, weil Du Dich auf dieses Wild abonniert hattest. Es wirkt jetzt etwas sonderbar, daß Fred BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph so lang und ausführlich attackiert und keine Antwort kommt. Ich habe viele von meinen Argumenten nicht gebracht, um Dir nicht das Konzept zu verderben.14Auf Bon geht Neurath nur am Rande ein; vgl. Neurath, „Radikaler Physikalismus und ‚Wirkliche Welt‘“, S. 360 / GphmS 622. Auch finde ich, daß Du in Verbindung damit die noch restlichen Bemerkungen zu SchlickPSchlick, Moritz, 1882–1936, dt.-öst. Philosoph, verh. mit Blanche Guy Schlick bringen kannst, ich würde aber verstehen, wenn Du unseren Standpunkt – ich nehme an, daß wir im großen und ganzen einig gehn – gegen Fred BonPBon, Fred, *1871, schweiz. Philosoph verteidigen wirst. Sagen wir auf 4 oder 6 Seiten, wenn Du nicht mehr willst. Aber mindestens eine programmatische Erklärung. Natürlich darf nicht die ErkenntnisIErkenntnis, Zeitschrift zu einem Diskussionsherd über Protokollsätze werden. Was meinst Du zu JuhosPJuhos, Béla, 1901–1971, ung.-öst. Philosoph?

Mit dem Terminus BILDERSPRACHE verfahre ich, wie Du andeutest. Mein Buch für OgdenPOgden, Charles Kay, 1889–1957, brit. Linguist und Philosoph heißt, wie ich Dir schrieb, INTERNATIONAL PICTURE LANGUAGEBNeurath, Otto!1936@International Picture Language, London, 1936. Es ist nur in der Literatur der Terminus Bilderschrift da, und es ist natürlich etwas anderes, ob eine Bildersprache da ist mit eigener Syntax oder eine Bildersprache ohne eigene Syntax. Sozusagen Wort für Wort übersetzbar. Selbst die deutsche Schriftsprache ist eine andere wie die deutsche Sprechsprache. Vor allem im „Stil“, der auch Sprache ist.

Über MannouryPMannoury, Gerrit, 1867–1956, niederl. Mathematiker und Philosoph werde ich mal zusammenhängend Dir schreiben. Das Leben verlangt so viel Kraft und man muß noch immer Spaß haben, Spaß machen…sonst kann man ja gleich zusperren, diese Theaterhalle.

Mit Grüßen an Dich und die SchweigsamePCarnap, Ina (eig. Elisabeth Maria immacul[ata] Ignatia), 1904–1964, geb. Stöger, heiratete 1933 Rudolf Carnap!

Herzlichst

Dein
Otto Neurath

Brief, msl., 3 Seiten, RC 029-10-01 (Dsl. ON 219); Briefkopf: gedr. Munda"-neum Institute The Hague mit näheren Angaben, msl. Herrn Dr. Rudolf Carnap\,/\,Prag und 28. Dez. 1934. Nur der erste Teil des Briefes wurde am 28. Dezember verfasst, der Hauptteil erst am 2. Januar.


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